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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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die Seite der Regierung gestellt. Das "Christliche," das "Positive," das
"Historische" wird hier bis zu Haller'schen Nuancen zum Schiboleth er--
hoben. Et>pas größere Selbstständigkeit und mehr Frische zeigt der Pro¬
fessor Huber in seinem "Janus". Die Möglichkeit einer regsamen Re¬
gierungspresse scheint uns namentlich an ihrer Stellung zur Bureau¬
kratie zu scheitern; die Bureaukratie will an der Presse nur einen be¬
soldeten Handlanger haben, während diese eine selbstständige Macht sein
muß. Das Mißtrauen der Bureaukratie gegen die Presse im Allgemein
nen legt auch einer Regierungspresse in Preußen die größten Schwie¬
rigkeiten in den Weg. Indem man ihr die specielle Einsicht in die
thatsächlichen, factischen Zustände, welche geheimnißvoll von der Bu¬
reaukratie beherrscht werden, verweigert und sie auf ein allgemeines
Raisonnement beschränkt, indem man ihr kein selbständiges Leben
gönnen, sondern sie nur als eine Maschine betrachten will, welche die
bureaukratischen Missionen weiter trägt, muß die preußische Regierungs-
presse auf eine große Macht und Bedeutung verzichten. Ueber die
Stellung der Bureaukratie zu den konservativen Schriftstellern hat na¬
mentlich der or. Hermes in dem Borworte zu seinen "Blicken aus der
Zeit in die Zeit" sehr lehrreiche Data beigebracht.

Wir treten jetzt in die liberale Sphäre der berliner Welt und
wir müssen hier noch einmal darauf hinweisen, daß sich aus besonde¬
ren, früher angegebenen Rücksichten der Liberalismus in Berlin nicht zu
jener Macht erheben konnte, die er in den Provinzen theilweise ge¬
wonnen hat. Dennoch ist seine Wirkung, seine Ausbreitung, seine
Reaction gegen den bestehenden Zustand und sein wachsender Einfluß
auf die bürgerliche Welt auch in Berlin sehr erkennbar geworden. Wenn
man zuweilen die Behauptung hören muß, der berliner Liberalismus
beschränke sich auf die lMHner Zeitungscorrespondenten oder wie der
"Rheinische Beobachter" noch genauer angibt, auf die "Stehely-Lite-
raten," so ist dies eine Unwahrheit. Es ist vielmehr thatsächlich,
daß sich die liberalen Elemente in der Hauptstadt von Jahr zu Jahr
vermehren, daß sie einen steten Zuwachs an dem Geldbesttze bekom¬
men und an der Intelligenz bevorrechteter Stände, aber ebenso wahr
ist es auch, daß die untere Masse der Bevölkerung durchaus indiffe¬
rent gegen die liberalen Elemente und Bestrebungen geblieben ist.
Man wird niemals besser von der Wahrheit dieser Thatsache überzeugt
als dann, wenn sich der berliner Liberalismus zu einigen öffentlichen
Demonstrationen entschließt und fast immer dieselbe kleine Gemeinde,
mit denselben Chyrführem und Rednern sich auf der Bühne unserer


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die Seite der Regierung gestellt. Das „Christliche," das „Positive," das
„Historische" wird hier bis zu Haller'schen Nuancen zum Schiboleth er--
hoben. Et>pas größere Selbstständigkeit und mehr Frische zeigt der Pro¬
fessor Huber in seinem „Janus". Die Möglichkeit einer regsamen Re¬
gierungspresse scheint uns namentlich an ihrer Stellung zur Bureau¬
kratie zu scheitern; die Bureaukratie will an der Presse nur einen be¬
soldeten Handlanger haben, während diese eine selbstständige Macht sein
muß. Das Mißtrauen der Bureaukratie gegen die Presse im Allgemein
nen legt auch einer Regierungspresse in Preußen die größten Schwie¬
rigkeiten in den Weg. Indem man ihr die specielle Einsicht in die
thatsächlichen, factischen Zustände, welche geheimnißvoll von der Bu¬
reaukratie beherrscht werden, verweigert und sie auf ein allgemeines
Raisonnement beschränkt, indem man ihr kein selbständiges Leben
gönnen, sondern sie nur als eine Maschine betrachten will, welche die
bureaukratischen Missionen weiter trägt, muß die preußische Regierungs-
presse auf eine große Macht und Bedeutung verzichten. Ueber die
Stellung der Bureaukratie zu den konservativen Schriftstellern hat na¬
mentlich der or. Hermes in dem Borworte zu seinen „Blicken aus der
Zeit in die Zeit" sehr lehrreiche Data beigebracht.

Wir treten jetzt in die liberale Sphäre der berliner Welt und
wir müssen hier noch einmal darauf hinweisen, daß sich aus besonde¬
ren, früher angegebenen Rücksichten der Liberalismus in Berlin nicht zu
jener Macht erheben konnte, die er in den Provinzen theilweise ge¬
wonnen hat. Dennoch ist seine Wirkung, seine Ausbreitung, seine
Reaction gegen den bestehenden Zustand und sein wachsender Einfluß
auf die bürgerliche Welt auch in Berlin sehr erkennbar geworden. Wenn
man zuweilen die Behauptung hören muß, der berliner Liberalismus
beschränke sich auf die lMHner Zeitungscorrespondenten oder wie der
„Rheinische Beobachter" noch genauer angibt, auf die „Stehely-Lite-
raten," so ist dies eine Unwahrheit. Es ist vielmehr thatsächlich,
daß sich die liberalen Elemente in der Hauptstadt von Jahr zu Jahr
vermehren, daß sie einen steten Zuwachs an dem Geldbesttze bekom¬
men und an der Intelligenz bevorrechteter Stände, aber ebenso wahr
ist es auch, daß die untere Masse der Bevölkerung durchaus indiffe¬
rent gegen die liberalen Elemente und Bestrebungen geblieben ist.
Man wird niemals besser von der Wahrheit dieser Thatsache überzeugt
als dann, wenn sich der berliner Liberalismus zu einigen öffentlichen
Demonstrationen entschließt und fast immer dieselbe kleine Gemeinde,
mit denselben Chyrführem und Rednern sich auf der Bühne unserer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/283>, abgerufen am 24.07.2024.