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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Reisenden zu Rede; dieser aber antwortete kaltblütig: "Letzthin, als ich
für meinen Begleiter zahlen mußte, war er müde und hatte keinen Hun¬
ger, heute aber ist sein Appetit ganz vortrefflich und er sucht sich zu ent¬
schädigen. Unser Landsmann, der wahrend seines Aufenthalts in Paris
seine Zunge etwas geläufiger im Französischen gemacht hatte, erklärte
hierauf den übrigen Gästen sein früheres Abenteuer und Alle zollten
ihm lachend Beifall.

Die "acht Reisebriefe aus Deutschlands erstem Seehafen", welche
die Grenzboten in No. 28 und 29 enthielten, sind nun in Hamburg
als selbstständige Broschüre im Druck erschienen. Um nun durch diese
fast gleichzeitige Publication nicht in den Verdacht zu kommen, als hat¬
ten wir jene Broschüren für die Grenzboten benutzt, müssen wir erklären,
daß der Herr Verfasser (Dr. Freiherr von R"/.) uns den Artikel im
Manuskript zugesendet hat, mit der Bemerkung, daß er später als eigene
Schrift erscheinen würde. Die Hamburger Verlagshandlung hat jedoch
offenbar diesen Zeitraum gekürzt und die Broschüre ist somit unseren
Heften in wenigen Tagen nachgekommen.

Von den bekannten Briefen Joseph II. ist jetzt die dritte Auflage
erschienen, zeitgemäß eingeleitet und erklärt von Franz Schuselka. Noch
immer darf blos der verbannte Schriftsteller, der mit Heimath und Va¬
terland auf längere Zeit abgeschlossen hat, es wagen für den einzigen
wahrhaft großen Mann, den Oesterreich hervorgebracht, für den hellsten
Punkt seiner Geschichte, offene Begeisterung an den Tag zu legen. Das
Andenken an Kaiser Joseph ist in Oesterreich, wenn auch nicht mehr so
stark proscribirt wie in den zwei verflossenen Jahrzehnten, doch immer
noch als halb revolutionär verdächtigt, und die Censur macht noch im¬
mer ihre röthesten Striche bei jedem vollen Lob des gekrönten Humori¬
sten. Und doch war es eben Joseph II., hinter den man sich flüchtete
bei den schweren Anklagen, die in der galizischen Angelegenheit letzthin
gegen Oesterreich ertönten. Das Urbarialgesetz und wieder das Urbarial-
gesetz wurde den Feinden auf der französischen Tribüne vorgehalten; die¬
ser Rest der Josephinischen Gesetzgebung, den man glücklicherweise nicht
aufgehoben hatte, wie so viele andere wird jetzt als ein Palladium öster¬
reichischer Humanität der Welt vorgezeigt, obschon man den schönen An¬
fang, den der kaiserliche Märtyrer seinen Erben zur Fortbildung für ruhigere
Zeiten vererbte, ganz in seinen primitiven Formen rösten ließ, wie er vor
fünfzig Jahren erschienen. Daß Joseph nicht vergebens gelebt und ge¬
strebt hat sagt Schuselka -- ist am deutlichsten dadurch bewiesen,
daß es eben noch ein mächtiges Oesterreich gibt- Dieses ist dem Grund¬
wesen nach ein Product der Josephinischen Reformen. Erst Joseph hat
aus den planlos zusammengefügten österreichischen Ländern einen wahren
Staat gemacht; er hat die vergrabenen Schätze dieser Länder zugänglich
gemacht und die schlummernden Kräfte der Völker geweckt und befreit.


Grenzvoten. III. tSiv. 36

Reisenden zu Rede; dieser aber antwortete kaltblütig: „Letzthin, als ich
für meinen Begleiter zahlen mußte, war er müde und hatte keinen Hun¬
ger, heute aber ist sein Appetit ganz vortrefflich und er sucht sich zu ent¬
schädigen. Unser Landsmann, der wahrend seines Aufenthalts in Paris
seine Zunge etwas geläufiger im Französischen gemacht hatte, erklärte
hierauf den übrigen Gästen sein früheres Abenteuer und Alle zollten
ihm lachend Beifall.

Die „acht Reisebriefe aus Deutschlands erstem Seehafen", welche
die Grenzboten in No. 28 und 29 enthielten, sind nun in Hamburg
als selbstständige Broschüre im Druck erschienen. Um nun durch diese
fast gleichzeitige Publication nicht in den Verdacht zu kommen, als hat¬
ten wir jene Broschüren für die Grenzboten benutzt, müssen wir erklären,
daß der Herr Verfasser (Dr. Freiherr von R»/.) uns den Artikel im
Manuskript zugesendet hat, mit der Bemerkung, daß er später als eigene
Schrift erscheinen würde. Die Hamburger Verlagshandlung hat jedoch
offenbar diesen Zeitraum gekürzt und die Broschüre ist somit unseren
Heften in wenigen Tagen nachgekommen.

Von den bekannten Briefen Joseph II. ist jetzt die dritte Auflage
erschienen, zeitgemäß eingeleitet und erklärt von Franz Schuselka. Noch
immer darf blos der verbannte Schriftsteller, der mit Heimath und Va¬
terland auf längere Zeit abgeschlossen hat, es wagen für den einzigen
wahrhaft großen Mann, den Oesterreich hervorgebracht, für den hellsten
Punkt seiner Geschichte, offene Begeisterung an den Tag zu legen. Das
Andenken an Kaiser Joseph ist in Oesterreich, wenn auch nicht mehr so
stark proscribirt wie in den zwei verflossenen Jahrzehnten, doch immer
noch als halb revolutionär verdächtigt, und die Censur macht noch im¬
mer ihre röthesten Striche bei jedem vollen Lob des gekrönten Humori¬
sten. Und doch war es eben Joseph II., hinter den man sich flüchtete
bei den schweren Anklagen, die in der galizischen Angelegenheit letzthin
gegen Oesterreich ertönten. Das Urbarialgesetz und wieder das Urbarial-
gesetz wurde den Feinden auf der französischen Tribüne vorgehalten; die¬
ser Rest der Josephinischen Gesetzgebung, den man glücklicherweise nicht
aufgehoben hatte, wie so viele andere wird jetzt als ein Palladium öster¬
reichischer Humanität der Welt vorgezeigt, obschon man den schönen An¬
fang, den der kaiserliche Märtyrer seinen Erben zur Fortbildung für ruhigere
Zeiten vererbte, ganz in seinen primitiven Formen rösten ließ, wie er vor
fünfzig Jahren erschienen. Daß Joseph nicht vergebens gelebt und ge¬
strebt hat sagt Schuselka — ist am deutlichsten dadurch bewiesen,
daß es eben noch ein mächtiges Oesterreich gibt- Dieses ist dem Grund¬
wesen nach ein Product der Josephinischen Reformen. Erst Joseph hat
aus den planlos zusammengefügten österreichischen Ländern einen wahren
Staat gemacht; er hat die vergrabenen Schätze dieser Länder zugänglich
gemacht und die schlummernden Kräfte der Völker geweckt und befreit.


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[0279] Reisenden zu Rede; dieser aber antwortete kaltblütig: „Letzthin, als ich für meinen Begleiter zahlen mußte, war er müde und hatte keinen Hun¬ ger, heute aber ist sein Appetit ganz vortrefflich und er sucht sich zu ent¬ schädigen. Unser Landsmann, der wahrend seines Aufenthalts in Paris seine Zunge etwas geläufiger im Französischen gemacht hatte, erklärte hierauf den übrigen Gästen sein früheres Abenteuer und Alle zollten ihm lachend Beifall. Die „acht Reisebriefe aus Deutschlands erstem Seehafen", welche die Grenzboten in No. 28 und 29 enthielten, sind nun in Hamburg als selbstständige Broschüre im Druck erschienen. Um nun durch diese fast gleichzeitige Publication nicht in den Verdacht zu kommen, als hat¬ ten wir jene Broschüren für die Grenzboten benutzt, müssen wir erklären, daß der Herr Verfasser (Dr. Freiherr von R»/.) uns den Artikel im Manuskript zugesendet hat, mit der Bemerkung, daß er später als eigene Schrift erscheinen würde. Die Hamburger Verlagshandlung hat jedoch offenbar diesen Zeitraum gekürzt und die Broschüre ist somit unseren Heften in wenigen Tagen nachgekommen. Von den bekannten Briefen Joseph II. ist jetzt die dritte Auflage erschienen, zeitgemäß eingeleitet und erklärt von Franz Schuselka. Noch immer darf blos der verbannte Schriftsteller, der mit Heimath und Va¬ terland auf längere Zeit abgeschlossen hat, es wagen für den einzigen wahrhaft großen Mann, den Oesterreich hervorgebracht, für den hellsten Punkt seiner Geschichte, offene Begeisterung an den Tag zu legen. Das Andenken an Kaiser Joseph ist in Oesterreich, wenn auch nicht mehr so stark proscribirt wie in den zwei verflossenen Jahrzehnten, doch immer noch als halb revolutionär verdächtigt, und die Censur macht noch im¬ mer ihre röthesten Striche bei jedem vollen Lob des gekrönten Humori¬ sten. Und doch war es eben Joseph II., hinter den man sich flüchtete bei den schweren Anklagen, die in der galizischen Angelegenheit letzthin gegen Oesterreich ertönten. Das Urbarialgesetz und wieder das Urbarial- gesetz wurde den Feinden auf der französischen Tribüne vorgehalten; die¬ ser Rest der Josephinischen Gesetzgebung, den man glücklicherweise nicht aufgehoben hatte, wie so viele andere wird jetzt als ein Palladium öster¬ reichischer Humanität der Welt vorgezeigt, obschon man den schönen An¬ fang, den der kaiserliche Märtyrer seinen Erben zur Fortbildung für ruhigere Zeiten vererbte, ganz in seinen primitiven Formen rösten ließ, wie er vor fünfzig Jahren erschienen. Daß Joseph nicht vergebens gelebt und ge¬ strebt hat sagt Schuselka — ist am deutlichsten dadurch bewiesen, daß es eben noch ein mächtiges Oesterreich gibt- Dieses ist dem Grund¬ wesen nach ein Product der Josephinischen Reformen. Erst Joseph hat aus den planlos zusammengefügten österreichischen Ländern einen wahren Staat gemacht; er hat die vergrabenen Schätze dieser Länder zugänglich gemacht und die schlummernden Kräfte der Völker geweckt und befreit. Grenzvoten. III. tSiv. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/279>, abgerufen am 24.07.2024.