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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Wollte ich mich auf die Vergangenheit unserer Literatur stützen, welche
sich mit Rom viel beschäftigt hat, so hätte ich fast ein Recht, die¬
sem Dichter zuzurufen: wenn Dir der Papst nicht gefiel, warum hast
Du Dich nicht an Cäsar gehalten?

Doch -- es haben ja auch andere Dichter die Versunkenheit des
heutigen Roms geschildert, und gerade -hier zeigt sich am deutlichsten
Lepel's Verhältniß zu den mit Erfolg eine gewisse Elasticität anstreben¬
den deutschen Dichtern, welche in Rom gesungen haben. Um den
jetzigen Zustand Italiens zu schildern, stellt Lepel es allegorisch
dar als ein schönes Weib, welches kniet und betet: ^v" Nirri". Das
erinnert an ein ganz ähnliches Gedicht bei Platen. - Am Aschermitt¬
woch ruft Platen einem Weibe zu: Wirf den Schmuck schönbusiges
Weib zur Seite, und fordert sie auf vor ihren Heiligenbildern auf die
Kniee zu fallen. Dieses Weib aber ist keine allegorische Figur, sie ist
eine Römerin von ächtem Fleisch und Blut, -- und doch wird hier
ohne alle Reflexion die Versunkenheit von ganz Italien charakteristi¬
scher dargestellt, als in der Lepelschen Allegorie.

Die Lieder von Rom beginnen mit einer Reihe von Gedichten,
welche man schlechtweg italienische Gedichte nennen könnte. Darunter
befindet sich unter andern die Bearbeitung einer römischen Volkslegen¬
de,-i-) deren Keckheit überrascht. Dann folgen italienische Genrebilder,
welche dem Verfasser wohl am besten gelungen sein mögen. Hier
hat sich der Dichter von der Reflexion frei erhalten, und auf der an¬
dern Seite kommt es diesen Genrebildern zu Gute, daß der Le¬
ser bei ihrer Form nicht in Versuchung kommen kann, sie mit den rö¬
mischen Poesien von Goethe oder Platen zu vergleichen.

Hierauf eine Reihe von Gedichten, in denen der Verfasser sich
plötzlich an das Behagen zu erinnern scheint, das der Altvater unsrer
Poesie,

in Italien verspürte, und diesem gewissermaßen nachstrebt. Zu diesen
Poesien gehört z. B. die Wittwe von Capri (S. 149 -- 140). Der
Stoff, eine junge schöne, mit blühenden Kindern gesegnete Wittwe,
welche von italienischen Priestern und Fischern umschwärmt wird, sich
allen kalt, aber nicht unfreundlich zeigt und nur den Fremdling mit



*) Sie wurde in den Grenzboten bereits mitgetheilt.
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Wollte ich mich auf die Vergangenheit unserer Literatur stützen, welche
sich mit Rom viel beschäftigt hat, so hätte ich fast ein Recht, die¬
sem Dichter zuzurufen: wenn Dir der Papst nicht gefiel, warum hast
Du Dich nicht an Cäsar gehalten?

Doch — es haben ja auch andere Dichter die Versunkenheit des
heutigen Roms geschildert, und gerade -hier zeigt sich am deutlichsten
Lepel's Verhältniß zu den mit Erfolg eine gewisse Elasticität anstreben¬
den deutschen Dichtern, welche in Rom gesungen haben. Um den
jetzigen Zustand Italiens zu schildern, stellt Lepel es allegorisch
dar als ein schönes Weib, welches kniet und betet: ^v« Nirri». Das
erinnert an ein ganz ähnliches Gedicht bei Platen. - Am Aschermitt¬
woch ruft Platen einem Weibe zu: Wirf den Schmuck schönbusiges
Weib zur Seite, und fordert sie auf vor ihren Heiligenbildern auf die
Kniee zu fallen. Dieses Weib aber ist keine allegorische Figur, sie ist
eine Römerin von ächtem Fleisch und Blut, — und doch wird hier
ohne alle Reflexion die Versunkenheit von ganz Italien charakteristi¬
scher dargestellt, als in der Lepelschen Allegorie.

Die Lieder von Rom beginnen mit einer Reihe von Gedichten,
welche man schlechtweg italienische Gedichte nennen könnte. Darunter
befindet sich unter andern die Bearbeitung einer römischen Volkslegen¬
de,-i-) deren Keckheit überrascht. Dann folgen italienische Genrebilder,
welche dem Verfasser wohl am besten gelungen sein mögen. Hier
hat sich der Dichter von der Reflexion frei erhalten, und auf der an¬
dern Seite kommt es diesen Genrebildern zu Gute, daß der Le¬
ser bei ihrer Form nicht in Versuchung kommen kann, sie mit den rö¬
mischen Poesien von Goethe oder Platen zu vergleichen.

Hierauf eine Reihe von Gedichten, in denen der Verfasser sich
plötzlich an das Behagen zu erinnern scheint, das der Altvater unsrer
Poesie,

in Italien verspürte, und diesem gewissermaßen nachstrebt. Zu diesen
Poesien gehört z. B. die Wittwe von Capri (S. 149 — 140). Der
Stoff, eine junge schöne, mit blühenden Kindern gesegnete Wittwe,
welche von italienischen Priestern und Fischern umschwärmt wird, sich
allen kalt, aber nicht unfreundlich zeigt und nur den Fremdling mit



*) Sie wurde in den Grenzboten bereits mitgetheilt.
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[0249] Wollte ich mich auf die Vergangenheit unserer Literatur stützen, welche sich mit Rom viel beschäftigt hat, so hätte ich fast ein Recht, die¬ sem Dichter zuzurufen: wenn Dir der Papst nicht gefiel, warum hast Du Dich nicht an Cäsar gehalten? Doch — es haben ja auch andere Dichter die Versunkenheit des heutigen Roms geschildert, und gerade -hier zeigt sich am deutlichsten Lepel's Verhältniß zu den mit Erfolg eine gewisse Elasticität anstreben¬ den deutschen Dichtern, welche in Rom gesungen haben. Um den jetzigen Zustand Italiens zu schildern, stellt Lepel es allegorisch dar als ein schönes Weib, welches kniet und betet: ^v« Nirri». Das erinnert an ein ganz ähnliches Gedicht bei Platen. - Am Aschermitt¬ woch ruft Platen einem Weibe zu: Wirf den Schmuck schönbusiges Weib zur Seite, und fordert sie auf vor ihren Heiligenbildern auf die Kniee zu fallen. Dieses Weib aber ist keine allegorische Figur, sie ist eine Römerin von ächtem Fleisch und Blut, — und doch wird hier ohne alle Reflexion die Versunkenheit von ganz Italien charakteristi¬ scher dargestellt, als in der Lepelschen Allegorie. Die Lieder von Rom beginnen mit einer Reihe von Gedichten, welche man schlechtweg italienische Gedichte nennen könnte. Darunter befindet sich unter andern die Bearbeitung einer römischen Volkslegen¬ de,-i-) deren Keckheit überrascht. Dann folgen italienische Genrebilder, welche dem Verfasser wohl am besten gelungen sein mögen. Hier hat sich der Dichter von der Reflexion frei erhalten, und auf der an¬ dern Seite kommt es diesen Genrebildern zu Gute, daß der Le¬ ser bei ihrer Form nicht in Versuchung kommen kann, sie mit den rö¬ mischen Poesien von Goethe oder Platen zu vergleichen. Hierauf eine Reihe von Gedichten, in denen der Verfasser sich plötzlich an das Behagen zu erinnern scheint, das der Altvater unsrer Poesie, in Italien verspürte, und diesem gewissermaßen nachstrebt. Zu diesen Poesien gehört z. B. die Wittwe von Capri (S. 149 — 140). Der Stoff, eine junge schöne, mit blühenden Kindern gesegnete Wittwe, welche von italienischen Priestern und Fischern umschwärmt wird, sich allen kalt, aber nicht unfreundlich zeigt und nur den Fremdling mit *) Sie wurde in den Grenzboten bereits mitgetheilt. 3Z-!-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/249>, abgerufen am 24.07.2024.