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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Dann trug ich ihm auch klagend vor,
Wie ich so gar ein armes Blut,
Und bat darauf um Haus und Hof,
Um Bett und Schrein, um Geld und Gut,
Um Garten, Feld und Rebenland,
Um eine ganze Heimath traut,
Darin ich Dich empfangen könnt'
Als reichgeschmückte Herzensbraut.

Der Herr läßt sich zwar darauf nicht ein, verspricht ihm aber
unter Andern":

-- Alles soll besonders blühn
Für Euch, und schöner wo Ihr geht,
Dieweil Euch in mein Paradies
Ein eigen Pförtlcin offen steht.
So führe deine junge Braut
Getrost in deine Heimath ein;
Brautführer foll mein lieblichster
Und allerschönster Frühling sein.

In dieser Weise lebt und webt der Dichter stets in der Natur.
Es stehen jedoch diejenigen Gedichte, welche er selbst unier der Ueber¬
schrift: "Natur" gibt, im Ganzen seinen erotischen Producten nach.
Auch bei Keller sieht man, daß nur der Mensch selbst, keineswegs aber
die Natur ein vollkommen ausreichender Gegenstand für die Kunst ist.
Es gibt wohl in der neuern Lyrik überhaupt nur wenige Gedichte, die
sich mit ihr ausschließlich beschäftigen und dennoch den Stempel der
Vollendung an der Stirn tragen, wie z. B. das Gedicht vom Fichten-
baum, der einsam auf einer Höhe im kalten Norden von einer Palme
träumt, die tief im Süden trauernd hinwelkt. Der Eindruck, den die¬
ses Gedicht macht, liegt doch wohl nur darin, daß Heine hier in die
Natur eine ganz menschliche Seele mit all ihrem Schmerz und Seh¬
nen hineingelegt hat und zwar in einer Weise, die, von der Allegorie
oder wohl gar von der Fabel und selbst von der gewöhnlichen Natur-
bilderei weit entfernt, durchaus keine Reflexion aufkommen läßt, son¬
dern nur die vollkommne Einheit des Menschenherzens mit der Natur
abspiegelt. Diese Einheit ist aber für die meisten Poeten sehr schwer
herauszustellen; selbst die Blicke des sinnigsten Naturbeschauers schwei¬
fen häusig über die Föhrenstille hinaus, und Gottfried Keller hat sich
in solchen Augenblicken, was seiner Dichternatur sonst fern liegt, oft
mit sehr störenden politischen und religiösen Reflexionen zu helfen ge¬
sucht. Die Conservativen, die Orthodoren, und die Leute, die "am


Dann trug ich ihm auch klagend vor,
Wie ich so gar ein armes Blut,
Und bat darauf um Haus und Hof,
Um Bett und Schrein, um Geld und Gut,
Um Garten, Feld und Rebenland,
Um eine ganze Heimath traut,
Darin ich Dich empfangen könnt'
Als reichgeschmückte Herzensbraut.

Der Herr läßt sich zwar darauf nicht ein, verspricht ihm aber
unter Andern»:

— Alles soll besonders blühn
Für Euch, und schöner wo Ihr geht,
Dieweil Euch in mein Paradies
Ein eigen Pförtlcin offen steht.
So führe deine junge Braut
Getrost in deine Heimath ein;
Brautführer foll mein lieblichster
Und allerschönster Frühling sein.

In dieser Weise lebt und webt der Dichter stets in der Natur.
Es stehen jedoch diejenigen Gedichte, welche er selbst unier der Ueber¬
schrift: „Natur" gibt, im Ganzen seinen erotischen Producten nach.
Auch bei Keller sieht man, daß nur der Mensch selbst, keineswegs aber
die Natur ein vollkommen ausreichender Gegenstand für die Kunst ist.
Es gibt wohl in der neuern Lyrik überhaupt nur wenige Gedichte, die
sich mit ihr ausschließlich beschäftigen und dennoch den Stempel der
Vollendung an der Stirn tragen, wie z. B. das Gedicht vom Fichten-
baum, der einsam auf einer Höhe im kalten Norden von einer Palme
träumt, die tief im Süden trauernd hinwelkt. Der Eindruck, den die¬
ses Gedicht macht, liegt doch wohl nur darin, daß Heine hier in die
Natur eine ganz menschliche Seele mit all ihrem Schmerz und Seh¬
nen hineingelegt hat und zwar in einer Weise, die, von der Allegorie
oder wohl gar von der Fabel und selbst von der gewöhnlichen Natur-
bilderei weit entfernt, durchaus keine Reflexion aufkommen läßt, son¬
dern nur die vollkommne Einheit des Menschenherzens mit der Natur
abspiegelt. Diese Einheit ist aber für die meisten Poeten sehr schwer
herauszustellen; selbst die Blicke des sinnigsten Naturbeschauers schwei¬
fen häusig über die Föhrenstille hinaus, und Gottfried Keller hat sich
in solchen Augenblicken, was seiner Dichternatur sonst fern liegt, oft
mit sehr störenden politischen und religiösen Reflexionen zu helfen ge¬
sucht. Die Conservativen, die Orthodoren, und die Leute, die „am


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[0242] Dann trug ich ihm auch klagend vor, Wie ich so gar ein armes Blut, Und bat darauf um Haus und Hof, Um Bett und Schrein, um Geld und Gut, Um Garten, Feld und Rebenland, Um eine ganze Heimath traut, Darin ich Dich empfangen könnt' Als reichgeschmückte Herzensbraut. Der Herr läßt sich zwar darauf nicht ein, verspricht ihm aber unter Andern»: — Alles soll besonders blühn Für Euch, und schöner wo Ihr geht, Dieweil Euch in mein Paradies Ein eigen Pförtlcin offen steht. So führe deine junge Braut Getrost in deine Heimath ein; Brautführer foll mein lieblichster Und allerschönster Frühling sein. In dieser Weise lebt und webt der Dichter stets in der Natur. Es stehen jedoch diejenigen Gedichte, welche er selbst unier der Ueber¬ schrift: „Natur" gibt, im Ganzen seinen erotischen Producten nach. Auch bei Keller sieht man, daß nur der Mensch selbst, keineswegs aber die Natur ein vollkommen ausreichender Gegenstand für die Kunst ist. Es gibt wohl in der neuern Lyrik überhaupt nur wenige Gedichte, die sich mit ihr ausschließlich beschäftigen und dennoch den Stempel der Vollendung an der Stirn tragen, wie z. B. das Gedicht vom Fichten- baum, der einsam auf einer Höhe im kalten Norden von einer Palme träumt, die tief im Süden trauernd hinwelkt. Der Eindruck, den die¬ ses Gedicht macht, liegt doch wohl nur darin, daß Heine hier in die Natur eine ganz menschliche Seele mit all ihrem Schmerz und Seh¬ nen hineingelegt hat und zwar in einer Weise, die, von der Allegorie oder wohl gar von der Fabel und selbst von der gewöhnlichen Natur- bilderei weit entfernt, durchaus keine Reflexion aufkommen läßt, son¬ dern nur die vollkommne Einheit des Menschenherzens mit der Natur abspiegelt. Diese Einheit ist aber für die meisten Poeten sehr schwer herauszustellen; selbst die Blicke des sinnigsten Naturbeschauers schwei¬ fen häusig über die Föhrenstille hinaus, und Gottfried Keller hat sich in solchen Augenblicken, was seiner Dichternatur sonst fern liegt, oft mit sehr störenden politischen und religiösen Reflexionen zu helfen ge¬ sucht. Die Conservativen, die Orthodoren, und die Leute, die „am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/242>, abgerufen am 24.07.2024.