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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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dustrie und Zudringlichkeit, und doch vermag so ziemlich jede alte Haus¬
frau Karlsbads, nach ihren Erfahrungen und ererbten Traditionen,
ärztlichen Rath, ebenso gut, wenn auch nicht mit gleicher Salbung
und Beichtvaterwürde zu ertheilen; und ihrem Gaste zu rathen, er
habe bei den kühleren Quellen zu beginnen, bei mäßiger Steigerung
der Becherzahl, zu heißeren überzugehen, fette und sauere Nahrung,
wie Spirituosa zu meiden; damit beschränkt sich so ziemlich Karlsbads
materi-l me>1lei^ Mutter Natur ist hier der unübertroffene Apotheker,
der keines Receptes bedürfte, um das noch unergründete Arcanum zu
brauen, das Chemiker vergebens analysirten, wie Anatomen die Seele
im Körper nicht finden.

Meine Genesung danke ich nächst den Quellen, auch dem Rathe
meiner alten dicken sorglichen Hausfrau, -- dick sind sie beinahe alle --
die mir ordüürte ohne Amtsmiene, ohne großbeknopftem Rohre an der
Lippe, ohne Glacehandschuhe, ohne mit Miethgäulen bei mir anzufah¬
ren, ja sogar ohne Honorar, doch muß ich eS meiner Frau Doctorin
nachrühmen, sie machte mir es zur Pflicht, falls ich mich leidender
fühlte, ja sogleich Herrn Doctor Hochberger zu consultiren -- Karls¬
bads ersten wahrhaften Arzt, wie ihn die guten Bürgersfrauen, nicht
mit Unrecht, nennen.

Ich suchte die Bekanntschaft dieses Mannes, den sich meine dicke
Hausfrau zum Consiliarius gewählt, und wahrlich, vollkommen Recht
hatte die Frau. --

Liebenswürdige Genialität, neben besonnenen Scharfblick und tie¬
fem Wissen, Absein alles Badearztcharlatanismus, zeichnen diesen Mann
vor allen übrigen aus, die ohnehin nur von dem Abhübe seiner Tafel
leben, ihn anfeinden, ihn collegialisch vergiften mochten, ginge das an,
während Hochberger daS Handwerkswesen verabscheuend, als genialer
Künstler wirkt und mit Verachtung niedersehen kann, auf kleinliche Um¬
triebe des Gewerbsneides, auf Tantivmeverträge, welche seine Collegen
mit fremden Aerzten, mit Wirthen und Hausbesitzern Karlsbads schlie¬
ßen, um sich Badekranke in's Garn treiben zu lassen.

Lasse ich jetzt in meiner stillen ländlichen Heimath die Bilder und
Eindrücke Karlsbads an der Laterna magica der Erinnerung vor-
übergletten, so weilt mein Blick freundlich bei dem Bilde des lieben
Arztes, während die näselnd schnatternde Gruppe österreichischer Adels¬
damen, der dicke Gutsherr aus Kottbus mit dem kleinen Kuhjungen,
der in des Kutschers Stiefeln versunken als Jokei hinter seinem Herrn
rastlos einherschlürft --- der komische Schwede, der statt Promenirens,


Grenzboten, lit. 29

dustrie und Zudringlichkeit, und doch vermag so ziemlich jede alte Haus¬
frau Karlsbads, nach ihren Erfahrungen und ererbten Traditionen,
ärztlichen Rath, ebenso gut, wenn auch nicht mit gleicher Salbung
und Beichtvaterwürde zu ertheilen; und ihrem Gaste zu rathen, er
habe bei den kühleren Quellen zu beginnen, bei mäßiger Steigerung
der Becherzahl, zu heißeren überzugehen, fette und sauere Nahrung,
wie Spirituosa zu meiden; damit beschränkt sich so ziemlich Karlsbads
materi-l me>1lei^ Mutter Natur ist hier der unübertroffene Apotheker,
der keines Receptes bedürfte, um das noch unergründete Arcanum zu
brauen, das Chemiker vergebens analysirten, wie Anatomen die Seele
im Körper nicht finden.

Meine Genesung danke ich nächst den Quellen, auch dem Rathe
meiner alten dicken sorglichen Hausfrau, — dick sind sie beinahe alle —
die mir ordüürte ohne Amtsmiene, ohne großbeknopftem Rohre an der
Lippe, ohne Glacehandschuhe, ohne mit Miethgäulen bei mir anzufah¬
ren, ja sogar ohne Honorar, doch muß ich eS meiner Frau Doctorin
nachrühmen, sie machte mir es zur Pflicht, falls ich mich leidender
fühlte, ja sogleich Herrn Doctor Hochberger zu consultiren — Karls¬
bads ersten wahrhaften Arzt, wie ihn die guten Bürgersfrauen, nicht
mit Unrecht, nennen.

Ich suchte die Bekanntschaft dieses Mannes, den sich meine dicke
Hausfrau zum Consiliarius gewählt, und wahrlich, vollkommen Recht
hatte die Frau. —

Liebenswürdige Genialität, neben besonnenen Scharfblick und tie¬
fem Wissen, Absein alles Badearztcharlatanismus, zeichnen diesen Mann
vor allen übrigen aus, die ohnehin nur von dem Abhübe seiner Tafel
leben, ihn anfeinden, ihn collegialisch vergiften mochten, ginge das an,
während Hochberger daS Handwerkswesen verabscheuend, als genialer
Künstler wirkt und mit Verachtung niedersehen kann, auf kleinliche Um¬
triebe des Gewerbsneides, auf Tantivmeverträge, welche seine Collegen
mit fremden Aerzten, mit Wirthen und Hausbesitzern Karlsbads schlie¬
ßen, um sich Badekranke in's Garn treiben zu lassen.

Lasse ich jetzt in meiner stillen ländlichen Heimath die Bilder und
Eindrücke Karlsbads an der Laterna magica der Erinnerung vor-
übergletten, so weilt mein Blick freundlich bei dem Bilde des lieben
Arztes, während die näselnd schnatternde Gruppe österreichischer Adels¬
damen, der dicke Gutsherr aus Kottbus mit dem kleinen Kuhjungen,
der in des Kutschers Stiefeln versunken als Jokei hinter seinem Herrn
rastlos einherschlürft —- der komische Schwede, der statt Promenirens,


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[0227] dustrie und Zudringlichkeit, und doch vermag so ziemlich jede alte Haus¬ frau Karlsbads, nach ihren Erfahrungen und ererbten Traditionen, ärztlichen Rath, ebenso gut, wenn auch nicht mit gleicher Salbung und Beichtvaterwürde zu ertheilen; und ihrem Gaste zu rathen, er habe bei den kühleren Quellen zu beginnen, bei mäßiger Steigerung der Becherzahl, zu heißeren überzugehen, fette und sauere Nahrung, wie Spirituosa zu meiden; damit beschränkt sich so ziemlich Karlsbads materi-l me>1lei^ Mutter Natur ist hier der unübertroffene Apotheker, der keines Receptes bedürfte, um das noch unergründete Arcanum zu brauen, das Chemiker vergebens analysirten, wie Anatomen die Seele im Körper nicht finden. Meine Genesung danke ich nächst den Quellen, auch dem Rathe meiner alten dicken sorglichen Hausfrau, — dick sind sie beinahe alle — die mir ordüürte ohne Amtsmiene, ohne großbeknopftem Rohre an der Lippe, ohne Glacehandschuhe, ohne mit Miethgäulen bei mir anzufah¬ ren, ja sogar ohne Honorar, doch muß ich eS meiner Frau Doctorin nachrühmen, sie machte mir es zur Pflicht, falls ich mich leidender fühlte, ja sogleich Herrn Doctor Hochberger zu consultiren — Karls¬ bads ersten wahrhaften Arzt, wie ihn die guten Bürgersfrauen, nicht mit Unrecht, nennen. Ich suchte die Bekanntschaft dieses Mannes, den sich meine dicke Hausfrau zum Consiliarius gewählt, und wahrlich, vollkommen Recht hatte die Frau. — Liebenswürdige Genialität, neben besonnenen Scharfblick und tie¬ fem Wissen, Absein alles Badearztcharlatanismus, zeichnen diesen Mann vor allen übrigen aus, die ohnehin nur von dem Abhübe seiner Tafel leben, ihn anfeinden, ihn collegialisch vergiften mochten, ginge das an, während Hochberger daS Handwerkswesen verabscheuend, als genialer Künstler wirkt und mit Verachtung niedersehen kann, auf kleinliche Um¬ triebe des Gewerbsneides, auf Tantivmeverträge, welche seine Collegen mit fremden Aerzten, mit Wirthen und Hausbesitzern Karlsbads schlie¬ ßen, um sich Badekranke in's Garn treiben zu lassen. Lasse ich jetzt in meiner stillen ländlichen Heimath die Bilder und Eindrücke Karlsbads an der Laterna magica der Erinnerung vor- übergletten, so weilt mein Blick freundlich bei dem Bilde des lieben Arztes, während die näselnd schnatternde Gruppe österreichischer Adels¬ damen, der dicke Gutsherr aus Kottbus mit dem kleinen Kuhjungen, der in des Kutschers Stiefeln versunken als Jokei hinter seinem Herrn rastlos einherschlürft —- der komische Schwede, der statt Promenirens, Grenzboten, lit. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/227>, abgerufen am 24.07.2024.