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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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einem Werdungsprocesse. Es stützt sich nicht wie der Adel auf histo¬
rische Rechte, sondern ans die Diensttreue, die Dieustergebenheit, die
Dienstpflicht. So gerathen beide Elemente nicht allzuselten in Streit
und Widerspruch mit einander. Wenn das Beamtenthum mit der
Bevormundung des Volkes die Absicht der Volkserziehung verbindet
und das Volk als eine bewußtlose Masse betrachtet, die es gestalten
und der es von Außen eine Form aufdrücken muß, so verhält sich die
Aristokratie dagegen durchaus gleichgiltig gegen das Volk und sie
betrachtet dieses als eine todte Unterlage. Während das Beamten-
thum nach der Einheit des Staates, nach der Centralisation strebt,
muß die Aristokratie sich, ihrer Natur gemäß, um die Auflösung des
Staates, um die Particularisation bemühen. Man hört deshalb von
aristokratischer Seite die Klage über den "gemeinen, revolutionären
Sinn, der in Gestalt der demolirenden Bureaukratie sich mehr oder
minder in allen Staateil einzunisten trachtet, oder wirklich einnistet."
Für die Aristokratie wird die Bureaukratie revolutionär, denn sie ist
der ersteren nicht historisch genug. Trotz dieser Gegensätze geht weder
die Aristokratie darauf aus, die Bureaukratie zu vernichten, noch um¬
gekehrt. Das Beamtenthum sucht die Adelsherrschaft zu schwächen,
aber es denkt keineswegs an eine Auflösung des Adels selber und
bleibt, dem Adelsprincipe gegenüber, bei einzelnen Reformen. Es hat
das alte Adelöprincip sehr beeinträchtigt, indem es dem Adel die Er-
clusivitat des großen Bodenbesitzes nahm, indem es die Befreiung des
Bodens in die Agrikultur einführte, indem es an die persönliche Eman¬
cipation der Landbevölkerung ging und die bürgerliche und politische
Erlösung derselben beabsichtigt, aber es wagt sich mit seinen Angriffen
keineswegs gegen das Wesen des Adels. Indem das Wesen des
Adels durch das Beamtenthum unbeschädigt bleibt, kann er sich im¬
mer wieder erheben und gegen die Reformen der Bureaukratie eine
ihm mehr oder minder günstige Reaction geltend machen, um so leich¬
ter, wenn der Adel sich selber in die Reihe des Beamtenthums stellt
und er in der Armee, in der Verwaltung, in der Gesetzgebung hohe
Positionen zu gewinnen weiß. Ueber die Stellung des Adels in
Preußen zur Gesammibevölkerung herrschen die verschiedensten Ansich¬
ten. Die Einen behaupten, der Adel sei in Preußen ganz und gar
von seiner stolzen Höhe herabgesunken und mit der Masse des Volks
verschmolzen, so sagt namentlich Herr von Bülow-Cummerow in sei¬
ner Schrift "Preußen, seine Verfassung u. s. w." S. 93 - "Die per¬
sönlichen Vorrechte, die der Adel ehemals gehabt, sind sämmtlich und


einem Werdungsprocesse. Es stützt sich nicht wie der Adel auf histo¬
rische Rechte, sondern ans die Diensttreue, die Dieustergebenheit, die
Dienstpflicht. So gerathen beide Elemente nicht allzuselten in Streit
und Widerspruch mit einander. Wenn das Beamtenthum mit der
Bevormundung des Volkes die Absicht der Volkserziehung verbindet
und das Volk als eine bewußtlose Masse betrachtet, die es gestalten
und der es von Außen eine Form aufdrücken muß, so verhält sich die
Aristokratie dagegen durchaus gleichgiltig gegen das Volk und sie
betrachtet dieses als eine todte Unterlage. Während das Beamten-
thum nach der Einheit des Staates, nach der Centralisation strebt,
muß die Aristokratie sich, ihrer Natur gemäß, um die Auflösung des
Staates, um die Particularisation bemühen. Man hört deshalb von
aristokratischer Seite die Klage über den „gemeinen, revolutionären
Sinn, der in Gestalt der demolirenden Bureaukratie sich mehr oder
minder in allen Staateil einzunisten trachtet, oder wirklich einnistet."
Für die Aristokratie wird die Bureaukratie revolutionär, denn sie ist
der ersteren nicht historisch genug. Trotz dieser Gegensätze geht weder
die Aristokratie darauf aus, die Bureaukratie zu vernichten, noch um¬
gekehrt. Das Beamtenthum sucht die Adelsherrschaft zu schwächen,
aber es denkt keineswegs an eine Auflösung des Adels selber und
bleibt, dem Adelsprincipe gegenüber, bei einzelnen Reformen. Es hat
das alte Adelöprincip sehr beeinträchtigt, indem es dem Adel die Er-
clusivitat des großen Bodenbesitzes nahm, indem es die Befreiung des
Bodens in die Agrikultur einführte, indem es an die persönliche Eman¬
cipation der Landbevölkerung ging und die bürgerliche und politische
Erlösung derselben beabsichtigt, aber es wagt sich mit seinen Angriffen
keineswegs gegen das Wesen des Adels. Indem das Wesen des
Adels durch das Beamtenthum unbeschädigt bleibt, kann er sich im¬
mer wieder erheben und gegen die Reformen der Bureaukratie eine
ihm mehr oder minder günstige Reaction geltend machen, um so leich¬
ter, wenn der Adel sich selber in die Reihe des Beamtenthums stellt
und er in der Armee, in der Verwaltung, in der Gesetzgebung hohe
Positionen zu gewinnen weiß. Ueber die Stellung des Adels in
Preußen zur Gesammibevölkerung herrschen die verschiedensten Ansich¬
ten. Die Einen behaupten, der Adel sei in Preußen ganz und gar
von seiner stolzen Höhe herabgesunken und mit der Masse des Volks
verschmolzen, so sagt namentlich Herr von Bülow-Cummerow in sei¬
ner Schrift „Preußen, seine Verfassung u. s. w." S. 93 - „Die per¬
sönlichen Vorrechte, die der Adel ehemals gehabt, sind sämmtlich und


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[0206] einem Werdungsprocesse. Es stützt sich nicht wie der Adel auf histo¬ rische Rechte, sondern ans die Diensttreue, die Dieustergebenheit, die Dienstpflicht. So gerathen beide Elemente nicht allzuselten in Streit und Widerspruch mit einander. Wenn das Beamtenthum mit der Bevormundung des Volkes die Absicht der Volkserziehung verbindet und das Volk als eine bewußtlose Masse betrachtet, die es gestalten und der es von Außen eine Form aufdrücken muß, so verhält sich die Aristokratie dagegen durchaus gleichgiltig gegen das Volk und sie betrachtet dieses als eine todte Unterlage. Während das Beamten- thum nach der Einheit des Staates, nach der Centralisation strebt, muß die Aristokratie sich, ihrer Natur gemäß, um die Auflösung des Staates, um die Particularisation bemühen. Man hört deshalb von aristokratischer Seite die Klage über den „gemeinen, revolutionären Sinn, der in Gestalt der demolirenden Bureaukratie sich mehr oder minder in allen Staateil einzunisten trachtet, oder wirklich einnistet." Für die Aristokratie wird die Bureaukratie revolutionär, denn sie ist der ersteren nicht historisch genug. Trotz dieser Gegensätze geht weder die Aristokratie darauf aus, die Bureaukratie zu vernichten, noch um¬ gekehrt. Das Beamtenthum sucht die Adelsherrschaft zu schwächen, aber es denkt keineswegs an eine Auflösung des Adels selber und bleibt, dem Adelsprincipe gegenüber, bei einzelnen Reformen. Es hat das alte Adelöprincip sehr beeinträchtigt, indem es dem Adel die Er- clusivitat des großen Bodenbesitzes nahm, indem es die Befreiung des Bodens in die Agrikultur einführte, indem es an die persönliche Eman¬ cipation der Landbevölkerung ging und die bürgerliche und politische Erlösung derselben beabsichtigt, aber es wagt sich mit seinen Angriffen keineswegs gegen das Wesen des Adels. Indem das Wesen des Adels durch das Beamtenthum unbeschädigt bleibt, kann er sich im¬ mer wieder erheben und gegen die Reformen der Bureaukratie eine ihm mehr oder minder günstige Reaction geltend machen, um so leich¬ ter, wenn der Adel sich selber in die Reihe des Beamtenthums stellt und er in der Armee, in der Verwaltung, in der Gesetzgebung hohe Positionen zu gewinnen weiß. Ueber die Stellung des Adels in Preußen zur Gesammibevölkerung herrschen die verschiedensten Ansich¬ ten. Die Einen behaupten, der Adel sei in Preußen ganz und gar von seiner stolzen Höhe herabgesunken und mit der Masse des Volks verschmolzen, so sagt namentlich Herr von Bülow-Cummerow in sei¬ ner Schrift „Preußen, seine Verfassung u. s. w." S. 93 - „Die per¬ sönlichen Vorrechte, die der Adel ehemals gehabt, sind sämmtlich und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/206>, abgerufen am 24.07.2024.