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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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seines Chefs liegt, so hält er eS um so mehr für Pflicht, sich dessen
Gunst in jeder Hinsicht zu erwerben, als er weiß, daß er eigentlich stets
in einem verschenken Zustande lebt, indem sein Chef durch die Con-
duitenliste fortwährend ein heimliches Gericht über ihn hält, von dem
er nichts, weder die Anklagen noch Urtheile, erfährt, sich folglich auch
nicht darüber rechtfertigen oder vertheidigen kann, sondern nur aus ir¬
gend einer ihn überraschenden Zurücksetzung die Vollstreckung eines
solchen Fehmurtheilö vermuthen muß. Und deshalb läßt es sich jeder
Beamte wesentlich angelegen sein, sowohl in seiner Amtsthätigkeit, wie
in seinem Privatleben sich nur nach den Grundsätzen, Ansichten und
Launen seines Chefs zu bequemen. Deshalb meidet er auch mög¬
lichst alle öffentlichen Orte und gemischten Volksgesellschaften, in wei"
chen das Leben frei und rücksichtslos nach allen Richtungen fluchet,
damit ihm nicht, in einem unbewachten Augenblick, durch die Aufwal¬
lung seines eignen, momentan entfesselten Freiheitsgefühls irgend eine
freimüthige Aeußerung entschlüpfen möge, die zur Kenntniß seines
Chefs gelangen und dessen Mißfallen erregen könnte. Er beschränkt
sich vielmehr hauptsächlich nur auf die gesellschaftlichen Zirkel der hö¬
hern Stände, wo er Gelegenheit findet, sich im vollen Glanz der Erge¬
benheit seinem Chef bemerkbar zu machen. Mit einem Worte: nur die
Gunst seines Chefs ist das Idol, welchem der Beamte seine Ansich¬
ten, Ueberzeugungen, Grundsätze, Neigungen, kurz, seine ganze Indi¬
vidualität zum Opfer bringt." Es wird hier ein Zustand als allge¬
meine Regel aufgestellt, von der sich zwar manche Ausnahmen anfüh¬
ren ließen, der aber allerdings eine vielfache Begründung findet. Das
Buch von Heinzen, welches diesen Gegenstand weiter und ausführli¬
cher behandelt, ist bekannt.

Neben dem bureaukratischen Elemente verdient das aristokratische
eine besondere Berücksichtigung. Wenn sie sich auch beide zuweilen zu
vereinigen scheinen, so gehen sie im Grunde doch weit aus einander.
Wenn man sagen wollte, die Bureaukratie sei in Preußen die größte
Macht, so würde dies ebenso einseitig sein, als wenn man diese Stel¬
lung der Aristokratie zuschreiben wollte. - Zwar steht das Beamten-
thum, ebenso wie die Aristokratie, außer und über dem Volke, aber
es schließt sich nicht wie der Adel in eine Geburtsklasse zusammen,
und hierin begründet sich ein wesentlicher Unterschied der beiden ge¬
wichtigen Mächte. Man kann als Baron und Graf geboren wer¬
den, aber nicht als Geheimsecretär und Regierungsrath, das Beam-
tenthum beruht auf der persönlichen Geschicklichkett und Fähigkeit, auf


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seines Chefs liegt, so hält er eS um so mehr für Pflicht, sich dessen
Gunst in jeder Hinsicht zu erwerben, als er weiß, daß er eigentlich stets
in einem verschenken Zustande lebt, indem sein Chef durch die Con-
duitenliste fortwährend ein heimliches Gericht über ihn hält, von dem
er nichts, weder die Anklagen noch Urtheile, erfährt, sich folglich auch
nicht darüber rechtfertigen oder vertheidigen kann, sondern nur aus ir¬
gend einer ihn überraschenden Zurücksetzung die Vollstreckung eines
solchen Fehmurtheilö vermuthen muß. Und deshalb läßt es sich jeder
Beamte wesentlich angelegen sein, sowohl in seiner Amtsthätigkeit, wie
in seinem Privatleben sich nur nach den Grundsätzen, Ansichten und
Launen seines Chefs zu bequemen. Deshalb meidet er auch mög¬
lichst alle öffentlichen Orte und gemischten Volksgesellschaften, in wei«
chen das Leben frei und rücksichtslos nach allen Richtungen fluchet,
damit ihm nicht, in einem unbewachten Augenblick, durch die Aufwal¬
lung seines eignen, momentan entfesselten Freiheitsgefühls irgend eine
freimüthige Aeußerung entschlüpfen möge, die zur Kenntniß seines
Chefs gelangen und dessen Mißfallen erregen könnte. Er beschränkt
sich vielmehr hauptsächlich nur auf die gesellschaftlichen Zirkel der hö¬
hern Stände, wo er Gelegenheit findet, sich im vollen Glanz der Erge¬
benheit seinem Chef bemerkbar zu machen. Mit einem Worte: nur die
Gunst seines Chefs ist das Idol, welchem der Beamte seine Ansich¬
ten, Ueberzeugungen, Grundsätze, Neigungen, kurz, seine ganze Indi¬
vidualität zum Opfer bringt." Es wird hier ein Zustand als allge¬
meine Regel aufgestellt, von der sich zwar manche Ausnahmen anfüh¬
ren ließen, der aber allerdings eine vielfache Begründung findet. Das
Buch von Heinzen, welches diesen Gegenstand weiter und ausführli¬
cher behandelt, ist bekannt.

Neben dem bureaukratischen Elemente verdient das aristokratische
eine besondere Berücksichtigung. Wenn sie sich auch beide zuweilen zu
vereinigen scheinen, so gehen sie im Grunde doch weit aus einander.
Wenn man sagen wollte, die Bureaukratie sei in Preußen die größte
Macht, so würde dies ebenso einseitig sein, als wenn man diese Stel¬
lung der Aristokratie zuschreiben wollte. - Zwar steht das Beamten-
thum, ebenso wie die Aristokratie, außer und über dem Volke, aber
es schließt sich nicht wie der Adel in eine Geburtsklasse zusammen,
und hierin begründet sich ein wesentlicher Unterschied der beiden ge¬
wichtigen Mächte. Man kann als Baron und Graf geboren wer¬
den, aber nicht als Geheimsecretär und Regierungsrath, das Beam-
tenthum beruht auf der persönlichen Geschicklichkett und Fähigkeit, auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/205>, abgerufen am 24.07.2024.