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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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gestellt. In der Zusammenhangslosigkeit wird das Organische, das Hi"
storische, das Ursprüngliche gesucht. Wenn es auch hier und da scheint,
als ob sich der Einfluß der haller'schen Restaurateure steigern könne,
so dürfen sie doch schon nicht mehr den Muth haben, consequent
zu sein und die Zukunft wird ihnen keine Hoffnungen versprechen kön¬
nen. Man kann sich hinter einen akademischen Lehrstuhl verschanzen
und selbst als praktischer Staatsmann auf Haller zurückgehen, nim¬
mermehr kann man aber dadurch die Entwickelung des Lebens beherr¬
schen und auf die Dauer hemmen. Welche Mariner auch die "Like-,
rarische Zeitung" entwickeln mag, es steht der Tod hinter ihnen und
wenn die Masse auch noch vielfach todt und ein bloßes Aggregat ist,
ihre Entwickelung ist wenigstens so weit fortgeschritten, daß sie bean¬
spruchen darf, nicht, wie Haller es verlangt, für alle Zeiten auf die¬
sen todten Zustand verwiesen zu bleiben.

Auf dem Rechtsgebiete, diesem so wichtigen Factor des Staats,
lebens, macht sich ganz besonders der Gegensatz zwischen der histo¬
rischen und der philosophischen Schule geltend. Die letztere ist, seit
Gans gestorben, von den Lehrstühlen immer mehr verdrängt, im Leben
hat sich ihre Entwickelung erweitert. Der Einfluß der historischen
Schule und ihres Repräsentanten Savigny bei der neuern preußischen
Gesetzgebung ist ein allgemein bekannter. Als Thibaut für eine durch¬
greifende Reform des bürgerlichen Rechtes auf dem Wege der Gesetz¬
gebung in die Schranken trat, war es der jetzige Minister Savigny,
welcher sich in seiner Schrift "Vom Berufe unserer Zeit für Gesetz¬
gebung und Rechtswissenschaft" gegen ein solches Verlangen erklärte.
Man würde Unrecht thun, wenn man Savigny und die Bemühungen
seiner Partei mit den Bestrebungen von Gentz, Görres und Haller auf
dieselbe Linie stellen wollte, im Allgemeinen aber gehören die Histori¬
schen ebenfalls der retrograden Bewegung an. Buhl nennt diese
Schule in seiner Schrift: "Die Verfassungsfrage in Preußen" die
Romantik auf dem Gebiete des Rechtes und fährt dann fort: "Auch
sie wollte die Herrlichkeit des Gewesenen ergründen und wie die Ro¬
mantik das Gefühl zum Organe der Poesie erhob, so stellte sie den
historischen Sinn als Organ der Wissenschaft hin. Vernunft und Phi¬
losophie werden dadurch natürlich überflüssig und können höchstens
noch in der Reihe der historischen Disciplinen ein bescheidenes Plätz¬
chen finden; -- auch sie klammert sich an die Vergangenheit an und
ignorirt die Gegenwart, der sie sogar den Beruf zur Gesetzgebung ab¬
spricht; diese muß sich mit todten, geistverlassenen Formen begnügen."


gestellt. In der Zusammenhangslosigkeit wird das Organische, das Hi»
storische, das Ursprüngliche gesucht. Wenn es auch hier und da scheint,
als ob sich der Einfluß der haller'schen Restaurateure steigern könne,
so dürfen sie doch schon nicht mehr den Muth haben, consequent
zu sein und die Zukunft wird ihnen keine Hoffnungen versprechen kön¬
nen. Man kann sich hinter einen akademischen Lehrstuhl verschanzen
und selbst als praktischer Staatsmann auf Haller zurückgehen, nim¬
mermehr kann man aber dadurch die Entwickelung des Lebens beherr¬
schen und auf die Dauer hemmen. Welche Mariner auch die „Like-,
rarische Zeitung" entwickeln mag, es steht der Tod hinter ihnen und
wenn die Masse auch noch vielfach todt und ein bloßes Aggregat ist,
ihre Entwickelung ist wenigstens so weit fortgeschritten, daß sie bean¬
spruchen darf, nicht, wie Haller es verlangt, für alle Zeiten auf die¬
sen todten Zustand verwiesen zu bleiben.

Auf dem Rechtsgebiete, diesem so wichtigen Factor des Staats,
lebens, macht sich ganz besonders der Gegensatz zwischen der histo¬
rischen und der philosophischen Schule geltend. Die letztere ist, seit
Gans gestorben, von den Lehrstühlen immer mehr verdrängt, im Leben
hat sich ihre Entwickelung erweitert. Der Einfluß der historischen
Schule und ihres Repräsentanten Savigny bei der neuern preußischen
Gesetzgebung ist ein allgemein bekannter. Als Thibaut für eine durch¬
greifende Reform des bürgerlichen Rechtes auf dem Wege der Gesetz¬
gebung in die Schranken trat, war es der jetzige Minister Savigny,
welcher sich in seiner Schrift „Vom Berufe unserer Zeit für Gesetz¬
gebung und Rechtswissenschaft" gegen ein solches Verlangen erklärte.
Man würde Unrecht thun, wenn man Savigny und die Bemühungen
seiner Partei mit den Bestrebungen von Gentz, Görres und Haller auf
dieselbe Linie stellen wollte, im Allgemeinen aber gehören die Histori¬
schen ebenfalls der retrograden Bewegung an. Buhl nennt diese
Schule in seiner Schrift: „Die Verfassungsfrage in Preußen" die
Romantik auf dem Gebiete des Rechtes und fährt dann fort: „Auch
sie wollte die Herrlichkeit des Gewesenen ergründen und wie die Ro¬
mantik das Gefühl zum Organe der Poesie erhob, so stellte sie den
historischen Sinn als Organ der Wissenschaft hin. Vernunft und Phi¬
losophie werden dadurch natürlich überflüssig und können höchstens
noch in der Reihe der historischen Disciplinen ein bescheidenes Plätz¬
chen finden; — auch sie klammert sich an die Vergangenheit an und
ignorirt die Gegenwart, der sie sogar den Beruf zur Gesetzgebung ab¬
spricht; diese muß sich mit todten, geistverlassenen Formen begnügen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/202>, abgerufen am 24.07.2024.