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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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zessen als eine neue Aera aus "vilen Herzen freudig begrüßen, als eine
neue Aera nicht blos im preußischen, sondern im deutschen Gerichtswesen
überhaupt, da die andern deutschen Staaten, die bisher gegen das münd¬
liche Verfahren sich gesträubt haben, nun dem Impuls, der von Preußen
gegeben wird, nicht mehr widerstehen können; zudem ist ja daS neue
Gesetz vom 17. und 21. Juli nur ein Anfang, ein Versuch, d^r zuerst
auf Berlin allein sich ausdehnt und die Regierung deutet selbst an, daß
sie die fernere Ausbildung und Ausdehnung desselben im Auge hat. In
dem Momente aber, wo das Gouvernement durch einen so entschiedenen
Schritt den Wünschen der Zeit und der Nation entgegen kommt, wäre
es ungerecht, ein Mißtrauen in ihre gute Absicht zu setzen. Weit ent¬
fernt daher, gleich im ersten Augenblicke über die Mangel und Lücken
des neuen Gesetzes polemisch herzufallen, wollen wir im Gegentheil das¬
selbe mit unbegrenzter Freudigkeit begrüßen und im vollen Vertrauen zur
guten Absicht die weitern Schritte zur Ausbildung und Ausdehnung des
neuen Princips erwarten. Die Sympathien, welche die preußische Re¬
gierung durch diese großen Reformanfange bei der ganzen deutschen Na¬
tion sich erwirbt, sind ein zu lohnender Dank für ihre schöne That, als
daß wir nicht darin die Bürgschaft und den Sporn für weitere ähnliche
Schritte finden sollten.

Was die Wirkung des neuen Gesetzes erhöhte, das war die Plötz¬
lichkeit desselben; zwar haben einzelne Gerüchte von Zeit zu Zeit die
Heranreifung desselben verlautbart, dock) war man weit entfernt, an die
Verwirklichung zu glauben und die Amtsverschwiegenheit hat in diesem
Punkte sich wunderbar bewahrt. Die Beschleunigung der Publication
soll namentlich auf das Drängen des Königs stattgefunden haben. Für
den unbefangenen Beobachter gibt es in diesem Augenblicke in den ber¬
liner Kreisen eine reiche Ernte an pikanten Eharakterzügen. Das berliner
Preußenthum, dem man auch in unbedeutenden Zeiten einen Mangel an
Selbstschätzung nicht vorwerfen kann, lodert jetzt, wo ein wirklich großes
Ereigniß neues Oel in seine Lampe gießt, lichterloh bis über's Dach
hinaus und es ist namentlich ergötzlich anzusehen, mit welchem vorneh¬
men Stolze es auf das übrige Deutschland herabsieht, zumal auf den
kleinern Nachbar, dessen Ständekammern dieses Jahr die Reformen des
Gerichtsverfahrens in so heißen Sitzungen verfochten, um in der nächsten
Session von Vorne anzufangen.

In unser" Hofkreisen ist es still; die Königin ist nach dem reizen¬
den Ischl abgereist; der König, der sie bis Regensburg begleitet, wird
von dort auf der Rückreise dein Fürsten Metternich in Teplitz (oder in
Königöwart?) einen Besuch abstatten. Das Gerücht von der Verlobung
der Prinzessin Louise mit dem Kronprinzen von Schweden, obschon der
rheinische Beobachter ihm entschieden widersprochen, erhält sich fortwäh¬
rend; es heißt, sie sei, wegen der großen Jugend des Prinzen, auf ein
Jahr aufgeschoben.

Die Reihe von Gastrollen, welche die wiener Hofschauspielerin, Ma¬
dame Rettich und ihr Gatte hier gaben, ist gestern zu Ende gegangen.
Madame Rettich ging ein großer Ruf voraus, was immer eine gefahr-


zessen als eine neue Aera aus »vilen Herzen freudig begrüßen, als eine
neue Aera nicht blos im preußischen, sondern im deutschen Gerichtswesen
überhaupt, da die andern deutschen Staaten, die bisher gegen das münd¬
liche Verfahren sich gesträubt haben, nun dem Impuls, der von Preußen
gegeben wird, nicht mehr widerstehen können; zudem ist ja daS neue
Gesetz vom 17. und 21. Juli nur ein Anfang, ein Versuch, d^r zuerst
auf Berlin allein sich ausdehnt und die Regierung deutet selbst an, daß
sie die fernere Ausbildung und Ausdehnung desselben im Auge hat. In
dem Momente aber, wo das Gouvernement durch einen so entschiedenen
Schritt den Wünschen der Zeit und der Nation entgegen kommt, wäre
es ungerecht, ein Mißtrauen in ihre gute Absicht zu setzen. Weit ent¬
fernt daher, gleich im ersten Augenblicke über die Mangel und Lücken
des neuen Gesetzes polemisch herzufallen, wollen wir im Gegentheil das¬
selbe mit unbegrenzter Freudigkeit begrüßen und im vollen Vertrauen zur
guten Absicht die weitern Schritte zur Ausbildung und Ausdehnung des
neuen Princips erwarten. Die Sympathien, welche die preußische Re¬
gierung durch diese großen Reformanfange bei der ganzen deutschen Na¬
tion sich erwirbt, sind ein zu lohnender Dank für ihre schöne That, als
daß wir nicht darin die Bürgschaft und den Sporn für weitere ähnliche
Schritte finden sollten.

Was die Wirkung des neuen Gesetzes erhöhte, das war die Plötz¬
lichkeit desselben; zwar haben einzelne Gerüchte von Zeit zu Zeit die
Heranreifung desselben verlautbart, dock) war man weit entfernt, an die
Verwirklichung zu glauben und die Amtsverschwiegenheit hat in diesem
Punkte sich wunderbar bewahrt. Die Beschleunigung der Publication
soll namentlich auf das Drängen des Königs stattgefunden haben. Für
den unbefangenen Beobachter gibt es in diesem Augenblicke in den ber¬
liner Kreisen eine reiche Ernte an pikanten Eharakterzügen. Das berliner
Preußenthum, dem man auch in unbedeutenden Zeiten einen Mangel an
Selbstschätzung nicht vorwerfen kann, lodert jetzt, wo ein wirklich großes
Ereigniß neues Oel in seine Lampe gießt, lichterloh bis über's Dach
hinaus und es ist namentlich ergötzlich anzusehen, mit welchem vorneh¬
men Stolze es auf das übrige Deutschland herabsieht, zumal auf den
kleinern Nachbar, dessen Ständekammern dieses Jahr die Reformen des
Gerichtsverfahrens in so heißen Sitzungen verfochten, um in der nächsten
Session von Vorne anzufangen.

In unser» Hofkreisen ist es still; die Königin ist nach dem reizen¬
den Ischl abgereist; der König, der sie bis Regensburg begleitet, wird
von dort auf der Rückreise dein Fürsten Metternich in Teplitz (oder in
Königöwart?) einen Besuch abstatten. Das Gerücht von der Verlobung
der Prinzessin Louise mit dem Kronprinzen von Schweden, obschon der
rheinische Beobachter ihm entschieden widersprochen, erhält sich fortwäh¬
rend; es heißt, sie sei, wegen der großen Jugend des Prinzen, auf ein
Jahr aufgeschoben.

Die Reihe von Gastrollen, welche die wiener Hofschauspielerin, Ma¬
dame Rettich und ihr Gatte hier gaben, ist gestern zu Ende gegangen.
Madame Rettich ging ein großer Ruf voraus, was immer eine gefahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/184>, abgerufen am 24.07.2024.