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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Abends abkühlen will, der geh" in's Theater und volle Befriedigung
wird ihm werden, namentlich wegen des Abtühlens. -- Das Nussen-
thum greift immer weiter, wir haben es schon auf dem Theaterpodium;
wo es gleichsam als Probe- und Musterwirthschaft eingeführt worden,
wir bewundern es als retrograden Fortschritt, daß man die Direction un¬
seres Theaters, wenn auch keinem Originalrussen, so doch einem in Ru߬
land geschulten Impresario übertrug. Wurm nach oben, Kundt nach
unten, ist russische Lebensregel, die sich auch bei uns bewahrt. In ho¬
her Slanderegion liebt man das Gewürm, und findet es behaglich, in
süßem Macht- und Gröfiebewußtsein da unten an den Füßen was krab¬
beln zu sehen, pudelfreundlich.

Nachdem die frühere Direction, unklug genug, gegen ihre ständi¬
schen Oberherrn, stets das Rauhe nach außen gekehrt, doch gegen das
Personal väterlich patriarchalisches Benehmen treulich beobachtet, hat die¬
ses Benehmen die Direction zwar um die Gunst ständischer Intendanz,
ja um die Direction selber gebracht, dennoch aber die Kunst gepflegt (?),
tüchtige Talente gewonnen, und des Publicums -- des unadeligen --
Neigung erworben, doch konnte diese Neigung, welche sich beim Abtre¬
ten der Direction durch beinahe tumultuarischen Abschiedsgruß kund gab,
in hoher Sphäre nicht Rücksicht finde", man hat ein Schnurrbartregi¬
ment eingeführt in dem Kunsttempel, ob sich's bewährt, ob wir unsere
gekantschulen Thealermteressen nicht endlich doch in Moritzens Hände
legen werden, dem heute zu Stuttgart bange genug wird -- die Zeit
wird's lehren.

Künstlerische Begabtheiten hat die neue Direction entlassen, elend
trostlose Histrionen hierhergebracht, und die wenigen, von früherer Di¬
rection übernommenen, ganz trefflichen Mitglieder, namentlich die treff¬
liche Grosser, die sinnig-talentvolle Frey, werde" so wenig als möglich
beschäftigt, um uns allmälig abzuspannen und an den Haferbrei zu ge¬
wöhnen, welchen die neue Direction uns einrührte, welcher wohl in Kur¬
zem unsere Tageskost zu werden bestimmt ist.

Beinahe täglich genießen wir an wandernde Schmieren erinnernde
Leistungen eckiger, ton- und gehaltloser Bursche, die früherhin kaum in
Ansagerollen geduldet worden waren, während die besten Kräfte feiern,
beinahe täglich beißt eine salope uns aufgedrungene Eomödiantin mit
unsichtbaren Perlenzähnen sich die rosigen Ohrläppchen wund, im Eifer
der Deklamation, und das Alles entzückt und befriedigt hohe Intendanz,
krümmt sich doch der Director so zierlich.

Mährische Brimse mag ein köstlicher Leckerbisse" sein, zumal für
russische Magen, miU8 toll^all's I"ii>n".l -- scheint denn doch zu viel des
Guten.

Das Publicum, das stets geknebelte, ist kalt und sint, und rächt
sich am Empfindlichsten durch Wegbleiben. Wir sind nicht gewohnt, un¬
ser Mißfallen über irgend etwas laut auszusprechen, nur die Pappenhei¬
mer im Paradiese machen sich zuweilen Luft, die Intendanz und Logen¬
welt im Nachgenuß der Freude vorige Direction, die mitunter grob ge-


Abends abkühlen will, der geh« in's Theater und volle Befriedigung
wird ihm werden, namentlich wegen des Abtühlens. — Das Nussen-
thum greift immer weiter, wir haben es schon auf dem Theaterpodium;
wo es gleichsam als Probe- und Musterwirthschaft eingeführt worden,
wir bewundern es als retrograden Fortschritt, daß man die Direction un¬
seres Theaters, wenn auch keinem Originalrussen, so doch einem in Ru߬
land geschulten Impresario übertrug. Wurm nach oben, Kundt nach
unten, ist russische Lebensregel, die sich auch bei uns bewahrt. In ho¬
her Slanderegion liebt man das Gewürm, und findet es behaglich, in
süßem Macht- und Gröfiebewußtsein da unten an den Füßen was krab¬
beln zu sehen, pudelfreundlich.

Nachdem die frühere Direction, unklug genug, gegen ihre ständi¬
schen Oberherrn, stets das Rauhe nach außen gekehrt, doch gegen das
Personal väterlich patriarchalisches Benehmen treulich beobachtet, hat die¬
ses Benehmen die Direction zwar um die Gunst ständischer Intendanz,
ja um die Direction selber gebracht, dennoch aber die Kunst gepflegt (?),
tüchtige Talente gewonnen, und des Publicums — des unadeligen —
Neigung erworben, doch konnte diese Neigung, welche sich beim Abtre¬
ten der Direction durch beinahe tumultuarischen Abschiedsgruß kund gab,
in hoher Sphäre nicht Rücksicht finde», man hat ein Schnurrbartregi¬
ment eingeführt in dem Kunsttempel, ob sich's bewährt, ob wir unsere
gekantschulen Thealermteressen nicht endlich doch in Moritzens Hände
legen werden, dem heute zu Stuttgart bange genug wird — die Zeit
wird's lehren.

Künstlerische Begabtheiten hat die neue Direction entlassen, elend
trostlose Histrionen hierhergebracht, und die wenigen, von früherer Di¬
rection übernommenen, ganz trefflichen Mitglieder, namentlich die treff¬
liche Grosser, die sinnig-talentvolle Frey, werde» so wenig als möglich
beschäftigt, um uns allmälig abzuspannen und an den Haferbrei zu ge¬
wöhnen, welchen die neue Direction uns einrührte, welcher wohl in Kur¬
zem unsere Tageskost zu werden bestimmt ist.

Beinahe täglich genießen wir an wandernde Schmieren erinnernde
Leistungen eckiger, ton- und gehaltloser Bursche, die früherhin kaum in
Ansagerollen geduldet worden waren, während die besten Kräfte feiern,
beinahe täglich beißt eine salope uns aufgedrungene Eomödiantin mit
unsichtbaren Perlenzähnen sich die rosigen Ohrläppchen wund, im Eifer
der Deklamation, und das Alles entzückt und befriedigt hohe Intendanz,
krümmt sich doch der Director so zierlich.

Mährische Brimse mag ein köstlicher Leckerbisse» sein, zumal für
russische Magen, miU8 toll^all's I»ii>n«.l — scheint denn doch zu viel des
Guten.

Das Publicum, das stets geknebelte, ist kalt und sint, und rächt
sich am Empfindlichsten durch Wegbleiben. Wir sind nicht gewohnt, un¬
ser Mißfallen über irgend etwas laut auszusprechen, nur die Pappenhei¬
mer im Paradiese machen sich zuweilen Luft, die Intendanz und Logen¬
welt im Nachgenuß der Freude vorige Direction, die mitunter grob ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/181>, abgerufen am 04.07.2024.