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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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dienste thun und ganz besonders wirkenden klimatischen Einflüssen
ausgesetzt sind, während die preußische Armee im ruhigen Garnison¬
dienste steht. Ueber den Selbstmord unter dem Militär heißt es:
"In England sterben von je l 0,000 Soldaten nahe an 8 vou
eigner Hand, fast noch einmal so viel, als in der preußischen Armee,
in welcher in den 8 Jahren von 183I- 1838 n"r 4 uuter je 10,000
Mann durch Selbstmord endeten." Caspar hätte zur Erklärung die¬
ses Verhältnisses wohl hinzusetzen können, daß in England noch das
Werde- und das Prügelsystem herrscht, während das preußische Heer
aus ganz anderen Kräften zusammengesetzt ist, natürlich müssen un¬
gleiche Verhältnisse ungleiche Wirkungen hervorbringen. Sehr auffal¬
lend ist übrigens die Verschiedenheit des Moralitätsverhältnisseö bei
den verschiedenen Armeecorps; freilich setzt Caspar hinzu: "eine ver¬
schiedene Verpflegungsweise der Truppen bei einem so anerkannt mu¬
sterhaft verwalteten Heere, wie das vaterländische, anzunehmen, würde
man sich schon von vorn herein nicht geneigt suhlen."

Ein anderer Aufsatz behandelt den etwaigen Einfluß der Tages¬
zeiten auf die Geburt und den Tod des Menschen. Als ich einer Ehe¬
frau jüngst erzählte, daß, nach dem Medicinalrathe Easpar, Tags die
meisten Knaben und Nachts die meisten Mädchen geboren würden,
machte sie ein spöttisches Gesicht. Das Ganze mag auch wohl schwer
zu beweisen sein und mehr Hypothese bleiben, als Beweis werden.
In dem Schlußauffatze endlich erklärt sich Caspar ganz entschieden ge¬
gen jede Annahme von Pyromanie, wie sie allerdings eine Zeitlang
zum Beste" der Brandstifter in der gerichtlichen Medicin mannichfach
übertrieben worden sein mag, indeß ist die Debatte über den Brand¬
stiftungstrieb psychologisch noch so wenig zu einem bestimmten Ent¬
schlüsse geführt, daß auch wohl die Caspar'sehe Behauptung noch kei'
neu entscheidenden Ausschlag geben möchte. Die Beispiele, welche Cas¬
par mittheilt, haben sämmtlich ein besonderes Interesse.

Wir haben das Werk des Hofmedicinalraths Caspar mit nicht
geringem Interesse begrüßt und zollen dem Bemühen, welches daraus
spricht, gern unsere Anerkennung, obgleich die medicinische Statistik
ihm noch großartigere Themata, als die berührten, hätte bieten kön¬
nen. Einen Wunsch, den wir daran knüpfen, ist der, daß sich unter
den jungen Aerzten das Interesse für die medicinische Statistik verbrei¬
ten möge, im Gegensatze zu einer rohen, handwerkernden Empirie. Durch
die medicinische Statistik gewinnt die Medicin nicht blos eine politi¬
sche, eine gerichtliche, sondern auch eine sociale Bedeutung und die


dienste thun und ganz besonders wirkenden klimatischen Einflüssen
ausgesetzt sind, während die preußische Armee im ruhigen Garnison¬
dienste steht. Ueber den Selbstmord unter dem Militär heißt es:
„In England sterben von je l 0,000 Soldaten nahe an 8 vou
eigner Hand, fast noch einmal so viel, als in der preußischen Armee,
in welcher in den 8 Jahren von 183I- 1838 n»r 4 uuter je 10,000
Mann durch Selbstmord endeten." Caspar hätte zur Erklärung die¬
ses Verhältnisses wohl hinzusetzen können, daß in England noch das
Werde- und das Prügelsystem herrscht, während das preußische Heer
aus ganz anderen Kräften zusammengesetzt ist, natürlich müssen un¬
gleiche Verhältnisse ungleiche Wirkungen hervorbringen. Sehr auffal¬
lend ist übrigens die Verschiedenheit des Moralitätsverhältnisseö bei
den verschiedenen Armeecorps; freilich setzt Caspar hinzu: „eine ver¬
schiedene Verpflegungsweise der Truppen bei einem so anerkannt mu¬
sterhaft verwalteten Heere, wie das vaterländische, anzunehmen, würde
man sich schon von vorn herein nicht geneigt suhlen."

Ein anderer Aufsatz behandelt den etwaigen Einfluß der Tages¬
zeiten auf die Geburt und den Tod des Menschen. Als ich einer Ehe¬
frau jüngst erzählte, daß, nach dem Medicinalrathe Easpar, Tags die
meisten Knaben und Nachts die meisten Mädchen geboren würden,
machte sie ein spöttisches Gesicht. Das Ganze mag auch wohl schwer
zu beweisen sein und mehr Hypothese bleiben, als Beweis werden.
In dem Schlußauffatze endlich erklärt sich Caspar ganz entschieden ge¬
gen jede Annahme von Pyromanie, wie sie allerdings eine Zeitlang
zum Beste» der Brandstifter in der gerichtlichen Medicin mannichfach
übertrieben worden sein mag, indeß ist die Debatte über den Brand¬
stiftungstrieb psychologisch noch so wenig zu einem bestimmten Ent¬
schlüsse geführt, daß auch wohl die Caspar'sehe Behauptung noch kei'
neu entscheidenden Ausschlag geben möchte. Die Beispiele, welche Cas¬
par mittheilt, haben sämmtlich ein besonderes Interesse.

Wir haben das Werk des Hofmedicinalraths Caspar mit nicht
geringem Interesse begrüßt und zollen dem Bemühen, welches daraus
spricht, gern unsere Anerkennung, obgleich die medicinische Statistik
ihm noch großartigere Themata, als die berührten, hätte bieten kön¬
nen. Einen Wunsch, den wir daran knüpfen, ist der, daß sich unter
den jungen Aerzten das Interesse für die medicinische Statistik verbrei¬
ten möge, im Gegensatze zu einer rohen, handwerkernden Empirie. Durch
die medicinische Statistik gewinnt die Medicin nicht blos eine politi¬
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[0176] dienste thun und ganz besonders wirkenden klimatischen Einflüssen ausgesetzt sind, während die preußische Armee im ruhigen Garnison¬ dienste steht. Ueber den Selbstmord unter dem Militär heißt es: „In England sterben von je l 0,000 Soldaten nahe an 8 vou eigner Hand, fast noch einmal so viel, als in der preußischen Armee, in welcher in den 8 Jahren von 183I- 1838 n»r 4 uuter je 10,000 Mann durch Selbstmord endeten." Caspar hätte zur Erklärung die¬ ses Verhältnisses wohl hinzusetzen können, daß in England noch das Werde- und das Prügelsystem herrscht, während das preußische Heer aus ganz anderen Kräften zusammengesetzt ist, natürlich müssen un¬ gleiche Verhältnisse ungleiche Wirkungen hervorbringen. Sehr auffal¬ lend ist übrigens die Verschiedenheit des Moralitätsverhältnisseö bei den verschiedenen Armeecorps; freilich setzt Caspar hinzu: „eine ver¬ schiedene Verpflegungsweise der Truppen bei einem so anerkannt mu¬ sterhaft verwalteten Heere, wie das vaterländische, anzunehmen, würde man sich schon von vorn herein nicht geneigt suhlen." Ein anderer Aufsatz behandelt den etwaigen Einfluß der Tages¬ zeiten auf die Geburt und den Tod des Menschen. Als ich einer Ehe¬ frau jüngst erzählte, daß, nach dem Medicinalrathe Easpar, Tags die meisten Knaben und Nachts die meisten Mädchen geboren würden, machte sie ein spöttisches Gesicht. Das Ganze mag auch wohl schwer zu beweisen sein und mehr Hypothese bleiben, als Beweis werden. In dem Schlußauffatze endlich erklärt sich Caspar ganz entschieden ge¬ gen jede Annahme von Pyromanie, wie sie allerdings eine Zeitlang zum Beste» der Brandstifter in der gerichtlichen Medicin mannichfach übertrieben worden sein mag, indeß ist die Debatte über den Brand¬ stiftungstrieb psychologisch noch so wenig zu einem bestimmten Ent¬ schlüsse geführt, daß auch wohl die Caspar'sehe Behauptung noch kei' neu entscheidenden Ausschlag geben möchte. Die Beispiele, welche Cas¬ par mittheilt, haben sämmtlich ein besonderes Interesse. Wir haben das Werk des Hofmedicinalraths Caspar mit nicht geringem Interesse begrüßt und zollen dem Bemühen, welches daraus spricht, gern unsere Anerkennung, obgleich die medicinische Statistik ihm noch großartigere Themata, als die berührten, hätte bieten kön¬ nen. Einen Wunsch, den wir daran knüpfen, ist der, daß sich unter den jungen Aerzten das Interesse für die medicinische Statistik verbrei¬ ten möge, im Gegensatze zu einer rohen, handwerkernden Empirie. Durch die medicinische Statistik gewinnt die Medicin nicht blos eine politi¬ sche, eine gerichtliche, sondern auch eine sociale Bedeutung und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/176>, abgerufen am 25.07.2024.