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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Zustand nicht als den Zustand der subjektiven Innerlichkeit, als der
natürlichen Vegetation, des romantischen Hindämmerns, der poetischen
Instinkte, sondern sie faßt ihn auf als den Zustand der socialen Con¬
flicte und erscheint dadurch also im direkten Gegensatze zu der süd-
deutsch-auerbach'schen Weise. Auf diese Richtung unserer Volkslitera-
tur ist die socialistische Bewegung der Gegenwart von ganz besondern,
Einflüsse geworden, oft schon sogar von einem allzusehr vorwiegenden.
Sie wird dadurch eine Volksliteratur mit socialistischen Tendenzen und
über ihre Abstractionen und Absichten im Allgemeinen bringt sie es
dann zu keinem kräftigen Pulsschlag. Sie bringt es mehr zu einer
Kritik der gesellschaftlichen und politischen Formen, zu einer Ausein-
nnderlegung von Conflicten zwischen Arm und Reich, zwischen Prole¬
tarier und Besitzer, als zu vollen, lebenswarmen Schilderungen und
sie versieht es darin uoch ganz besonders zuweilen, daß sie sich zu
einer Schmeichlerin der Masse herabwürdigt, ein Fehler, der für eine
Volksliteratur unverzeihlich genannt werden muß. Sie bleibt nicht
bet den Instincten des Volkslebens stehen, wie Auerbach, sie hebt sich
darüber hinaus zu den sittlichen und socialen Kämpfen desselben, aber
sie hat dies bisher doch immer nur noch im Allgemeinen gethan und
mit ihren Abstraciionen ebenso wenig ein volles Volksleben dargestellt,
wie Auerbach mit den beschränkten Instincten. Sie hat mehr die all¬
gemeinen, großen Fragen der Zeit, als die besondere innerliche Ent¬
wickelung derselben im Volksleben vor Augen genommen.

Der Gegensatz zwischen Norddeutschland und Süddeutschland,
welcher sich ans so vielen Gebieten unseres Nationallebens geltend
macht, der Gegensatz zwischen der abstracten, über dem Allgemeinen das
Besondere aufgebenden Denkkraft einerseits und der regen, über dem
Besondern das Allgemeine vergessenden Gemüthlichkeit, der Gegensatz
zwischen dem norddeutschen Principienlebeu und dem süddeutschen Ge-
müthsleben, macht sich demnach auch in dem Kreise unserer Volkslite
ratur vollständig geltend. Aber nur in einer Ausgleichung und Ver¬
söhnung dieser beiden für sich bestehenden, sich gegenseitig ausschließen¬
den Gegensätze, kann der richtige Weg für eine deutsche Volksliteratur
gefunden werden.

Die Schweiz, dieses feinem Kerne nach deutsche Land, hat schon
mehr als einmal in den wichtigsten Fragen, welche den deutschen Geist
bewegten, eine" Ausschlag gegeben. Es hat schon mehr als einmal
eine Vermittlung zu Stande gebracht. Und so scheint es denn auch
für unsere deutsche Volksliteratur von einer ganz besondern Bedeutung


Zustand nicht als den Zustand der subjektiven Innerlichkeit, als der
natürlichen Vegetation, des romantischen Hindämmerns, der poetischen
Instinkte, sondern sie faßt ihn auf als den Zustand der socialen Con¬
flicte und erscheint dadurch also im direkten Gegensatze zu der süd-
deutsch-auerbach'schen Weise. Auf diese Richtung unserer Volkslitera-
tur ist die socialistische Bewegung der Gegenwart von ganz besondern,
Einflüsse geworden, oft schon sogar von einem allzusehr vorwiegenden.
Sie wird dadurch eine Volksliteratur mit socialistischen Tendenzen und
über ihre Abstractionen und Absichten im Allgemeinen bringt sie es
dann zu keinem kräftigen Pulsschlag. Sie bringt es mehr zu einer
Kritik der gesellschaftlichen und politischen Formen, zu einer Ausein-
nnderlegung von Conflicten zwischen Arm und Reich, zwischen Prole¬
tarier und Besitzer, als zu vollen, lebenswarmen Schilderungen und
sie versieht es darin uoch ganz besonders zuweilen, daß sie sich zu
einer Schmeichlerin der Masse herabwürdigt, ein Fehler, der für eine
Volksliteratur unverzeihlich genannt werden muß. Sie bleibt nicht
bet den Instincten des Volkslebens stehen, wie Auerbach, sie hebt sich
darüber hinaus zu den sittlichen und socialen Kämpfen desselben, aber
sie hat dies bisher doch immer nur noch im Allgemeinen gethan und
mit ihren Abstraciionen ebenso wenig ein volles Volksleben dargestellt,
wie Auerbach mit den beschränkten Instincten. Sie hat mehr die all¬
gemeinen, großen Fragen der Zeit, als die besondere innerliche Ent¬
wickelung derselben im Volksleben vor Augen genommen.

Der Gegensatz zwischen Norddeutschland und Süddeutschland,
welcher sich ans so vielen Gebieten unseres Nationallebens geltend
macht, der Gegensatz zwischen der abstracten, über dem Allgemeinen das
Besondere aufgebenden Denkkraft einerseits und der regen, über dem
Besondern das Allgemeine vergessenden Gemüthlichkeit, der Gegensatz
zwischen dem norddeutschen Principienlebeu und dem süddeutschen Ge-
müthsleben, macht sich demnach auch in dem Kreise unserer Volkslite
ratur vollständig geltend. Aber nur in einer Ausgleichung und Ver¬
söhnung dieser beiden für sich bestehenden, sich gegenseitig ausschließen¬
den Gegensätze, kann der richtige Weg für eine deutsche Volksliteratur
gefunden werden.

Die Schweiz, dieses feinem Kerne nach deutsche Land, hat schon
mehr als einmal in den wichtigsten Fragen, welche den deutschen Geist
bewegten, eine» Ausschlag gegeben. Es hat schon mehr als einmal
eine Vermittlung zu Stande gebracht. Und so scheint es denn auch
für unsere deutsche Volksliteratur von einer ganz besondern Bedeutung


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[0168] Zustand nicht als den Zustand der subjektiven Innerlichkeit, als der natürlichen Vegetation, des romantischen Hindämmerns, der poetischen Instinkte, sondern sie faßt ihn auf als den Zustand der socialen Con¬ flicte und erscheint dadurch also im direkten Gegensatze zu der süd- deutsch-auerbach'schen Weise. Auf diese Richtung unserer Volkslitera- tur ist die socialistische Bewegung der Gegenwart von ganz besondern, Einflüsse geworden, oft schon sogar von einem allzusehr vorwiegenden. Sie wird dadurch eine Volksliteratur mit socialistischen Tendenzen und über ihre Abstractionen und Absichten im Allgemeinen bringt sie es dann zu keinem kräftigen Pulsschlag. Sie bringt es mehr zu einer Kritik der gesellschaftlichen und politischen Formen, zu einer Ausein- nnderlegung von Conflicten zwischen Arm und Reich, zwischen Prole¬ tarier und Besitzer, als zu vollen, lebenswarmen Schilderungen und sie versieht es darin uoch ganz besonders zuweilen, daß sie sich zu einer Schmeichlerin der Masse herabwürdigt, ein Fehler, der für eine Volksliteratur unverzeihlich genannt werden muß. Sie bleibt nicht bet den Instincten des Volkslebens stehen, wie Auerbach, sie hebt sich darüber hinaus zu den sittlichen und socialen Kämpfen desselben, aber sie hat dies bisher doch immer nur noch im Allgemeinen gethan und mit ihren Abstraciionen ebenso wenig ein volles Volksleben dargestellt, wie Auerbach mit den beschränkten Instincten. Sie hat mehr die all¬ gemeinen, großen Fragen der Zeit, als die besondere innerliche Ent¬ wickelung derselben im Volksleben vor Augen genommen. Der Gegensatz zwischen Norddeutschland und Süddeutschland, welcher sich ans so vielen Gebieten unseres Nationallebens geltend macht, der Gegensatz zwischen der abstracten, über dem Allgemeinen das Besondere aufgebenden Denkkraft einerseits und der regen, über dem Besondern das Allgemeine vergessenden Gemüthlichkeit, der Gegensatz zwischen dem norddeutschen Principienlebeu und dem süddeutschen Ge- müthsleben, macht sich demnach auch in dem Kreise unserer Volkslite ratur vollständig geltend. Aber nur in einer Ausgleichung und Ver¬ söhnung dieser beiden für sich bestehenden, sich gegenseitig ausschließen¬ den Gegensätze, kann der richtige Weg für eine deutsche Volksliteratur gefunden werden. Die Schweiz, dieses feinem Kerne nach deutsche Land, hat schon mehr als einmal in den wichtigsten Fragen, welche den deutschen Geist bewegten, eine» Ausschlag gegeben. Es hat schon mehr als einmal eine Vermittlung zu Stande gebracht. Und so scheint es denn auch für unsere deutsche Volksliteratur von einer ganz besondern Bedeutung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/168>, abgerufen am 24.07.2024.