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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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kleines Lämpchen, neben ihm träumte vielleicht das Fräulein von nächt¬
lichen Schiffern, von Hörnerklang und bunten Rosensträußen, die die
Wellen schaukeln.

9. Juni Morgens. Sie ist ein Engel, ein edles, gefühlvolles
Mädchen. Gestern nach 8 Uhr klopfte ich wieder an das Gitterfen¬
ster des alten Pförtners und wurde freundlich, und -- wie wohlthu¬
end war mir das! -- ohne Anmeldung in das altdeutsche Gemach
meiner Freundin, denn so darf ich sie jetzt nennen, geführt. Sie saß
an einem halboffenen Fenster und hing mit träumerischen Blicken an
den blauen Bergen der Ferne, ja es dünkte mir fast, als eilten alle
diese himmlischen Boten dem lockenden Süden zu. Sie freute sich
herzlich, daß ich Wort gehalten hatte, nöthigte mich zum Niedersitzen
und ließ von einer alten Frau, die sie ihre Amme nannte, allerlei Er¬
frischungen auftragen, mit denen sie mich förmlich satt zu füttern sich
bemühte. Wie sehr sie am Romantischen hängt, wie sehr ihr die kleine
Phantastische Welt, die sie sich geschaffen, zusagt, bewies mir ein kleine
Scene. Ich hatte ihr nämlich abgeschlagen, Thee zu trinken und sie
äußerte darüber eine kindliche Freude. Wie eiferte sie gegen dieses
entnervende, schale Getränk, ja auch mich, den Gleichgiltigen, wußte
sie so mit sich fortzureißen, daß ich die ganze theeschlürfcnde Welt in
jenem Augenblick hätte in einer Tasse ersäufen mögen! -- Da wir
hierin svmpathisirten, gerieth das Fräulein auf einen drolligen Ein¬
fall, sie wollte mich nach alter, guter Weise bewirthen, ließ den gan¬
zen, reichbesetzten Tisch hinwegräumen, und einen rohgezimmerten da¬
für hinsetzen, dann aber brachte Martin, der Pförtner, einen irdnen
Krug mit Wein, einen uralten, silbernen Becher und ein Stück Wei߬
brod. Katharina -- sie hat mir nämlich ihren Namen auf mein Bit¬
ten genannt -- war glücklich, sie kredenzte mir, und nippte nach al¬
ter Sitte von dem deutschen Getränke, und immer scherzend plauderten
wir fort, bis der Mond hell durch die schmalen, zugespitzten Fenster
blickte.

Jetzt wäre es freilich anständiger gewesen, wenn ich gegangen
wäre, aber neugierige Erwartung ließ mich nicht von bannen, denn
ich vermuthete, daß von Augenblick zu Augenblick jenes Wunderhorn
erklingen sollte. Auch schien Katharina immer verlegener zu werden,
ihr Blick fiel öfterer nach Süden, sie ward immer zerstreuter. Tau¬
send Mal rief mein besseres Ich mir zu: So geh' doch! und ebenso
oft antwortete der Schalk in meinem Herzen: so bleib doch! Da er¬
tönte mit langsamen Schlägen die Ivte Stunde von der Glockenuhr


kleines Lämpchen, neben ihm träumte vielleicht das Fräulein von nächt¬
lichen Schiffern, von Hörnerklang und bunten Rosensträußen, die die
Wellen schaukeln.

9. Juni Morgens. Sie ist ein Engel, ein edles, gefühlvolles
Mädchen. Gestern nach 8 Uhr klopfte ich wieder an das Gitterfen¬
ster des alten Pförtners und wurde freundlich, und — wie wohlthu¬
end war mir das! — ohne Anmeldung in das altdeutsche Gemach
meiner Freundin, denn so darf ich sie jetzt nennen, geführt. Sie saß
an einem halboffenen Fenster und hing mit träumerischen Blicken an
den blauen Bergen der Ferne, ja es dünkte mir fast, als eilten alle
diese himmlischen Boten dem lockenden Süden zu. Sie freute sich
herzlich, daß ich Wort gehalten hatte, nöthigte mich zum Niedersitzen
und ließ von einer alten Frau, die sie ihre Amme nannte, allerlei Er¬
frischungen auftragen, mit denen sie mich förmlich satt zu füttern sich
bemühte. Wie sehr sie am Romantischen hängt, wie sehr ihr die kleine
Phantastische Welt, die sie sich geschaffen, zusagt, bewies mir ein kleine
Scene. Ich hatte ihr nämlich abgeschlagen, Thee zu trinken und sie
äußerte darüber eine kindliche Freude. Wie eiferte sie gegen dieses
entnervende, schale Getränk, ja auch mich, den Gleichgiltigen, wußte
sie so mit sich fortzureißen, daß ich die ganze theeschlürfcnde Welt in
jenem Augenblick hätte in einer Tasse ersäufen mögen! — Da wir
hierin svmpathisirten, gerieth das Fräulein auf einen drolligen Ein¬
fall, sie wollte mich nach alter, guter Weise bewirthen, ließ den gan¬
zen, reichbesetzten Tisch hinwegräumen, und einen rohgezimmerten da¬
für hinsetzen, dann aber brachte Martin, der Pförtner, einen irdnen
Krug mit Wein, einen uralten, silbernen Becher und ein Stück Wei߬
brod. Katharina — sie hat mir nämlich ihren Namen auf mein Bit¬
ten genannt — war glücklich, sie kredenzte mir, und nippte nach al¬
ter Sitte von dem deutschen Getränke, und immer scherzend plauderten
wir fort, bis der Mond hell durch die schmalen, zugespitzten Fenster
blickte.

Jetzt wäre es freilich anständiger gewesen, wenn ich gegangen
wäre, aber neugierige Erwartung ließ mich nicht von bannen, denn
ich vermuthete, daß von Augenblick zu Augenblick jenes Wunderhorn
erklingen sollte. Auch schien Katharina immer verlegener zu werden,
ihr Blick fiel öfterer nach Süden, sie ward immer zerstreuter. Tau¬
send Mal rief mein besseres Ich mir zu: So geh' doch! und ebenso
oft antwortete der Schalk in meinem Herzen: so bleib doch! Da er¬
tönte mit langsamen Schlägen die Ivte Stunde von der Glockenuhr


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[0157] kleines Lämpchen, neben ihm träumte vielleicht das Fräulein von nächt¬ lichen Schiffern, von Hörnerklang und bunten Rosensträußen, die die Wellen schaukeln. 9. Juni Morgens. Sie ist ein Engel, ein edles, gefühlvolles Mädchen. Gestern nach 8 Uhr klopfte ich wieder an das Gitterfen¬ ster des alten Pförtners und wurde freundlich, und — wie wohlthu¬ end war mir das! — ohne Anmeldung in das altdeutsche Gemach meiner Freundin, denn so darf ich sie jetzt nennen, geführt. Sie saß an einem halboffenen Fenster und hing mit träumerischen Blicken an den blauen Bergen der Ferne, ja es dünkte mir fast, als eilten alle diese himmlischen Boten dem lockenden Süden zu. Sie freute sich herzlich, daß ich Wort gehalten hatte, nöthigte mich zum Niedersitzen und ließ von einer alten Frau, die sie ihre Amme nannte, allerlei Er¬ frischungen auftragen, mit denen sie mich förmlich satt zu füttern sich bemühte. Wie sehr sie am Romantischen hängt, wie sehr ihr die kleine Phantastische Welt, die sie sich geschaffen, zusagt, bewies mir ein kleine Scene. Ich hatte ihr nämlich abgeschlagen, Thee zu trinken und sie äußerte darüber eine kindliche Freude. Wie eiferte sie gegen dieses entnervende, schale Getränk, ja auch mich, den Gleichgiltigen, wußte sie so mit sich fortzureißen, daß ich die ganze theeschlürfcnde Welt in jenem Augenblick hätte in einer Tasse ersäufen mögen! — Da wir hierin svmpathisirten, gerieth das Fräulein auf einen drolligen Ein¬ fall, sie wollte mich nach alter, guter Weise bewirthen, ließ den gan¬ zen, reichbesetzten Tisch hinwegräumen, und einen rohgezimmerten da¬ für hinsetzen, dann aber brachte Martin, der Pförtner, einen irdnen Krug mit Wein, einen uralten, silbernen Becher und ein Stück Wei߬ brod. Katharina — sie hat mir nämlich ihren Namen auf mein Bit¬ ten genannt — war glücklich, sie kredenzte mir, und nippte nach al¬ ter Sitte von dem deutschen Getränke, und immer scherzend plauderten wir fort, bis der Mond hell durch die schmalen, zugespitzten Fenster blickte. Jetzt wäre es freilich anständiger gewesen, wenn ich gegangen wäre, aber neugierige Erwartung ließ mich nicht von bannen, denn ich vermuthete, daß von Augenblick zu Augenblick jenes Wunderhorn erklingen sollte. Auch schien Katharina immer verlegener zu werden, ihr Blick fiel öfterer nach Süden, sie ward immer zerstreuter. Tau¬ send Mal rief mein besseres Ich mir zu: So geh' doch! und ebenso oft antwortete der Schalk in meinem Herzen: so bleib doch! Da er¬ tönte mit langsamen Schlägen die Ivte Stunde von der Glockenuhr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/157>, abgerufen am 24.07.2024.