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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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liebe Romanze in mir erweckt hatte. Das Fräulein ward aber immer
gütiger.

"Wenn Sie noch bis morgen hier bleiben werden, o! so kommen
Sie heute Abend herauf, und ich will Sie auf dieses kleine Plätzchen
führeni meine einzige Belohnung möge dann sein, daß Sie mir zuge-
stehn, ein kleines Paradies liege zu Ihren Füßen. Kommen Sie! Die
Hallen meiner Ahnen waren stets offen und Gastlichkeit ist die Tu?
gerd des echten Deutschen!"

Ich hatte mir aber vorgenommen, grade in jener Nacht dem
einsamen Hornbläser aufzulauern, deshalb erwiderte ich:

"Sie machen mich selig durch Ihre Güte, doch wäre mir es lie¬
ber, ich könnte morgen Abend von Ihrer Erlaubniß Gebrauch machen,
einige wichtige Briefe müssen geschrieben sein, und sie werden einen
ganzen Nachmittag und einen Theil der Nacht in Anspruch nehmen,
aber morgen, wenn ich so kühn sein darf --"

,,Jch werde Sie erwarten," erwiderte das Fräulein und geleitete
mich hierauf bis zum festen Thron ihres Schlosses.

Als ich nun nach Hause gekommen und dem Vorfall nachdachte,
mußte ich bemerken, daß das Fräulein nicht allein meine Neugierde,
sondern mein Interesse im höchsten Grade gefesselt hatte. Dazu kam
noch, daß ich sie bemitleiden mußte, denn bei wem ich auch in dem
kleinen Flecken Erkundigung einzog, der nannte sie eine alte Närrin,
eine verrückte Jungfer, oder wohl gar ein verwittertes Inventarien-
stück; dem milder Denkenden war sie wenigstens eine überspannte Ro¬
manleserin, eine coquette Schwärmerin; mir erschien sie nur wie ein
gekränktes, unschuldiges Kind, das nach einem trüben Lebensfrühling
den unfruchtbaren Sommer mit phantastischen Blumen zu schmücken
versucht. --

Als die Stunde, wo ich den romantischen Seehelden erwarten
konnte, geschlagen, versteckte ich mich nahe am Ufer in einem gemie¬
theten Boote, und nicht lange währte es, so erblickte ich südwärts ei¬
nen schwarzen Punkt, der sich so rasch näherte, daß ich ihn bald als
das erwartete Fahrzeug erkannte, das, wie gestern, einen einzelnen
Mann trug. Als dieser nun bei der Felswand anlangte, schien er
mir, so viel ich erkennen konnte, ein Mann von etwa 39 Jahren zu
fein; der muskulöse, kräftige Körperbau verrieth Energie, sein gebräun-
tes Gesicht ausgedauerte Strapazen. Einige Male fuhr er erst am
Ufer hin und wieder, ohne mich zu bemerken, dann ergriffer sein Horn
und' wieder zitterte die Oberfläche des klaren Sees bei den tiefgehal-


liebe Romanze in mir erweckt hatte. Das Fräulein ward aber immer
gütiger.

„Wenn Sie noch bis morgen hier bleiben werden, o! so kommen
Sie heute Abend herauf, und ich will Sie auf dieses kleine Plätzchen
führeni meine einzige Belohnung möge dann sein, daß Sie mir zuge-
stehn, ein kleines Paradies liege zu Ihren Füßen. Kommen Sie! Die
Hallen meiner Ahnen waren stets offen und Gastlichkeit ist die Tu?
gerd des echten Deutschen!"

Ich hatte mir aber vorgenommen, grade in jener Nacht dem
einsamen Hornbläser aufzulauern, deshalb erwiderte ich:

„Sie machen mich selig durch Ihre Güte, doch wäre mir es lie¬
ber, ich könnte morgen Abend von Ihrer Erlaubniß Gebrauch machen,
einige wichtige Briefe müssen geschrieben sein, und sie werden einen
ganzen Nachmittag und einen Theil der Nacht in Anspruch nehmen,
aber morgen, wenn ich so kühn sein darf —"

,,Jch werde Sie erwarten," erwiderte das Fräulein und geleitete
mich hierauf bis zum festen Thron ihres Schlosses.

Als ich nun nach Hause gekommen und dem Vorfall nachdachte,
mußte ich bemerken, daß das Fräulein nicht allein meine Neugierde,
sondern mein Interesse im höchsten Grade gefesselt hatte. Dazu kam
noch, daß ich sie bemitleiden mußte, denn bei wem ich auch in dem
kleinen Flecken Erkundigung einzog, der nannte sie eine alte Närrin,
eine verrückte Jungfer, oder wohl gar ein verwittertes Inventarien-
stück; dem milder Denkenden war sie wenigstens eine überspannte Ro¬
manleserin, eine coquette Schwärmerin; mir erschien sie nur wie ein
gekränktes, unschuldiges Kind, das nach einem trüben Lebensfrühling
den unfruchtbaren Sommer mit phantastischen Blumen zu schmücken
versucht. —

Als die Stunde, wo ich den romantischen Seehelden erwarten
konnte, geschlagen, versteckte ich mich nahe am Ufer in einem gemie¬
theten Boote, und nicht lange währte es, so erblickte ich südwärts ei¬
nen schwarzen Punkt, der sich so rasch näherte, daß ich ihn bald als
das erwartete Fahrzeug erkannte, das, wie gestern, einen einzelnen
Mann trug. Als dieser nun bei der Felswand anlangte, schien er
mir, so viel ich erkennen konnte, ein Mann von etwa 39 Jahren zu
fein; der muskulöse, kräftige Körperbau verrieth Energie, sein gebräun-
tes Gesicht ausgedauerte Strapazen. Einige Male fuhr er erst am
Ufer hin und wieder, ohne mich zu bemerken, dann ergriffer sein Horn
und' wieder zitterte die Oberfläche des klaren Sees bei den tiefgehal-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/155>, abgerufen am 24.07.2024.