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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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gewirbelt worden in den Strudel eines verpesteten Hoflebens; Kaba¬
len und Intriguen entrissen dort den Frieden auf ewig ihrem Herzen,
und nun trauerte sie -- eine reuige Lady Milford -- in den Hallen
ihrer Väter über die gemordete Jugend und über den Flecken ihres
Namens!

7. Juni Nachts. Um zehn Uhr früh stand ich in meinen besten
Kleidern am Thore meines Wirthshauses und schon eine halbe Stunde
später vor dem Schloß Eichen. Und siehe, was ich nur geträumt zu
haben wähnte, fand sich bestätigt: nur mein Auge konnte an den
Mauern der kleinen Feste emporklimmen, ringsum ein starkes Wollwerk
der Kunst und Natur und ein einziger Zugang führte mich über eine
Zugbrücke vor eine eisenbeschlagene Pforte und an das kleine Gitter¬
fenster des Thorhüters. Freundlich ward mir auf mein Klopfen auf¬
gethan und als ich gehört, die Herrin des Schlosses sei anwesend, bat
ich den gefälligen, biedern Mann mich als den Herrn Friedrich Rich¬
ter, einen jungen Gelehrten, bei der Freiin anzumelden.

Bald kam der abgeschickte Bote wieder zurück, auf seinen Lippen
die Gewährung meines Gesundes und nicht lange, so befand ich mich
in demselben Gemache, nach dessen Fenstern ich gestern sehnsüchtig hin^
übergeschaut, ein Gemach mit gothischen Fenstern, alten behaglichen
Nußbaummöbeln, schweren Stühlen mit geschnitzten hohen Lehnen und
Teppichen, darein mancherlei Bilder mit brennenden Farben gewirkt
waren. Gegen mir über saß am Stickrahmen die einsame Bewohnerin
der kleinen Zelle, eine blonde Dame von ungefähr 28 Jahren. Als
Schönheiten konnte ich an ihr allerdings nur den üppigen Haarwuchs,
eine blendende Hautfarbe, einen schönen Arm und ein paar rothe Lip¬
pen preisen. Ihr Gesicht war zwar regelmäßig, schien aber rasch ver¬
blüht; gewiß hatten Harm und Sorgen das Meiste gethan, diese
Reize zu zerstören und manche Thräne mochte wohl geflossen sein, ehe
der Glanz ihres blauen Auges ermattete! Sie erröthete ein wenig, als
ich eintrat und mich höflich verbeugte, aber kaum hatte ich mich ent¬
schuldigt, daß ich so früh lästig zu fallen gedächte und sie gebeten,
mich die herrliche Aussicht von ihrem Balcon genießen zu lassen, so
ward sie die Gütigkeit selbst und führte mich hinaus auf die Felswand,
von wo ich hinabschaute auf den stillen, ruhigen See und hinüber an
das nahe Ufer, wo das freundliche Städtchen sich ausbreitete und das
nette Wirthshaus herüberlächelte, vor dem der behagliche Wirth, sein
Pfeifchen im Munde, sich langsam hin und wieder bewegte, dann und
wann verstohlene Blicke nach Eichen heraufsendend.


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gewirbelt worden in den Strudel eines verpesteten Hoflebens; Kaba¬
len und Intriguen entrissen dort den Frieden auf ewig ihrem Herzen,
und nun trauerte sie — eine reuige Lady Milford — in den Hallen
ihrer Väter über die gemordete Jugend und über den Flecken ihres
Namens!

7. Juni Nachts. Um zehn Uhr früh stand ich in meinen besten
Kleidern am Thore meines Wirthshauses und schon eine halbe Stunde
später vor dem Schloß Eichen. Und siehe, was ich nur geträumt zu
haben wähnte, fand sich bestätigt: nur mein Auge konnte an den
Mauern der kleinen Feste emporklimmen, ringsum ein starkes Wollwerk
der Kunst und Natur und ein einziger Zugang führte mich über eine
Zugbrücke vor eine eisenbeschlagene Pforte und an das kleine Gitter¬
fenster des Thorhüters. Freundlich ward mir auf mein Klopfen auf¬
gethan und als ich gehört, die Herrin des Schlosses sei anwesend, bat
ich den gefälligen, biedern Mann mich als den Herrn Friedrich Rich¬
ter, einen jungen Gelehrten, bei der Freiin anzumelden.

Bald kam der abgeschickte Bote wieder zurück, auf seinen Lippen
die Gewährung meines Gesundes und nicht lange, so befand ich mich
in demselben Gemache, nach dessen Fenstern ich gestern sehnsüchtig hin^
übergeschaut, ein Gemach mit gothischen Fenstern, alten behaglichen
Nußbaummöbeln, schweren Stühlen mit geschnitzten hohen Lehnen und
Teppichen, darein mancherlei Bilder mit brennenden Farben gewirkt
waren. Gegen mir über saß am Stickrahmen die einsame Bewohnerin
der kleinen Zelle, eine blonde Dame von ungefähr 28 Jahren. Als
Schönheiten konnte ich an ihr allerdings nur den üppigen Haarwuchs,
eine blendende Hautfarbe, einen schönen Arm und ein paar rothe Lip¬
pen preisen. Ihr Gesicht war zwar regelmäßig, schien aber rasch ver¬
blüht; gewiß hatten Harm und Sorgen das Meiste gethan, diese
Reize zu zerstören und manche Thräne mochte wohl geflossen sein, ehe
der Glanz ihres blauen Auges ermattete! Sie erröthete ein wenig, als
ich eintrat und mich höflich verbeugte, aber kaum hatte ich mich ent¬
schuldigt, daß ich so früh lästig zu fallen gedächte und sie gebeten,
mich die herrliche Aussicht von ihrem Balcon genießen zu lassen, so
ward sie die Gütigkeit selbst und führte mich hinaus auf die Felswand,
von wo ich hinabschaute auf den stillen, ruhigen See und hinüber an
das nahe Ufer, wo das freundliche Städtchen sich ausbreitete und das
nette Wirthshaus herüberlächelte, vor dem der behagliche Wirth, sein
Pfeifchen im Munde, sich langsam hin und wieder bewegte, dann und
wann verstohlene Blicke nach Eichen heraufsendend.


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[0153] gewirbelt worden in den Strudel eines verpesteten Hoflebens; Kaba¬ len und Intriguen entrissen dort den Frieden auf ewig ihrem Herzen, und nun trauerte sie — eine reuige Lady Milford — in den Hallen ihrer Väter über die gemordete Jugend und über den Flecken ihres Namens! 7. Juni Nachts. Um zehn Uhr früh stand ich in meinen besten Kleidern am Thore meines Wirthshauses und schon eine halbe Stunde später vor dem Schloß Eichen. Und siehe, was ich nur geträumt zu haben wähnte, fand sich bestätigt: nur mein Auge konnte an den Mauern der kleinen Feste emporklimmen, ringsum ein starkes Wollwerk der Kunst und Natur und ein einziger Zugang führte mich über eine Zugbrücke vor eine eisenbeschlagene Pforte und an das kleine Gitter¬ fenster des Thorhüters. Freundlich ward mir auf mein Klopfen auf¬ gethan und als ich gehört, die Herrin des Schlosses sei anwesend, bat ich den gefälligen, biedern Mann mich als den Herrn Friedrich Rich¬ ter, einen jungen Gelehrten, bei der Freiin anzumelden. Bald kam der abgeschickte Bote wieder zurück, auf seinen Lippen die Gewährung meines Gesundes und nicht lange, so befand ich mich in demselben Gemache, nach dessen Fenstern ich gestern sehnsüchtig hin^ übergeschaut, ein Gemach mit gothischen Fenstern, alten behaglichen Nußbaummöbeln, schweren Stühlen mit geschnitzten hohen Lehnen und Teppichen, darein mancherlei Bilder mit brennenden Farben gewirkt waren. Gegen mir über saß am Stickrahmen die einsame Bewohnerin der kleinen Zelle, eine blonde Dame von ungefähr 28 Jahren. Als Schönheiten konnte ich an ihr allerdings nur den üppigen Haarwuchs, eine blendende Hautfarbe, einen schönen Arm und ein paar rothe Lip¬ pen preisen. Ihr Gesicht war zwar regelmäßig, schien aber rasch ver¬ blüht; gewiß hatten Harm und Sorgen das Meiste gethan, diese Reize zu zerstören und manche Thräne mochte wohl geflossen sein, ehe der Glanz ihres blauen Auges ermattete! Sie erröthete ein wenig, als ich eintrat und mich höflich verbeugte, aber kaum hatte ich mich ent¬ schuldigt, daß ich so früh lästig zu fallen gedächte und sie gebeten, mich die herrliche Aussicht von ihrem Balcon genießen zu lassen, so ward sie die Gütigkeit selbst und führte mich hinaus auf die Felswand, von wo ich hinabschaute auf den stillen, ruhigen See und hinüber an das nahe Ufer, wo das freundliche Städtchen sich ausbreitete und das nette Wirthshaus herüberlächelte, vor dem der behagliche Wirth, sein Pfeifchen im Munde, sich langsam hin und wieder bewegte, dann und wann verstohlene Blicke nach Eichen heraufsendend. 19»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/153>, abgerufen am 24.07.2024.