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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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den Blick nach den Fenstern des Schlosses gerichtet, seinem Horn jene
Zauberklänge entlockte. Konnte die Poesie etwas Anziehenderes schaf¬
fen? Eine stille Mondennacht, ein See, ein finsteres Schloß, ein gebrech¬
licher Nachen und das süßklagende Lied eines Waldhorns! Aber es
fehlte noch etwas, um mich ganz in die Zeiten des romantischen Rit-
terthums und der Mährchen zu versetzen, es fehlte noch der Glanz
eines Mävchcnauges und das Bild schwamm vor mir in der Morgen¬
röthe längst verklungenen Minstrelsgesanges. Und siehe, da öffnete sich
oben im Schlosse eine gothische Thüre, eine Frauengestalt mit weißem,
wehendem Gewände und blondem, fliegendem Haar trat heraus auf
den breiten, steinernen Balcon und lehnte sich herunter, als ob ihr
Auge die Tiefe des Sees zu ihren Füßen ergründen wollte. Ich wagte
kaum zu athmen, ich flüchtete mich hinter die Gardinen, aus Furcht,
der entdeckte Lauscher möchte diese Traumgestalten verscheuchen. Aber
nein! die weiße Dame riß den Strauß von ihrem Busen und schleu¬
derte ihn hinab zu den Sternen, die sich in der klaren Wasserfläche
spiegelten; ein Wehen des Gewandes noch und die Schöne war ver¬
schwunden durch die dunkle gothische Thüre des Balcons! Freudig
jubelte jetzt das Waldhorn auf dem See, der einsame Schiffsmann
schien die zarte Gabe der Liebe aufgefangen zu haben, und als er sein
Allegro rasch geschlossen, sah ich sein blendendes Ruder die Wellen
zertheilen und ein Lichtstreif, der dem Kahne nachzog, wies nach Sü¬
den, wo ihn der See mit seinen schattigen Buchten und Abhängen in
sein gefälliges Dunkel aufnahm.

Ich bleibe! war daher mein erstes Wort, als ich heute aufstand.
Ich bleibe! rief ich wiederholt und es koste, was es wolle, ich muß
das Geheimniß jenes Abenteuers ergründen, muß die Personen kennen
lernen, die den Traum vergangener herrlicher Zeiten noch ein Mal
Hervorzaubern in unser rechnendes und wucherndes Jahrhundert! Die
erste Frage, die ich daher an den eintretenden Wirth richtete, verlangte
Auskunft über jenes zauberhafte Schloß und seine Bewohner. Mit
einem mir unerklärlichen und nicht zu beschreibenden Lächeln erzählte
der ehrliche Mann, daß es von einer jungen Dame, der Besitzerin,
bewohnt werde, sie nenne sich Freiin von Eichen, lebe ganz einsam und
habe sich aus dem Treiben der tückischen Welt auf ihren Felsen ge¬
flüchtet, denn eine kurze, glänzende Rolle, die sie am Hofe des Fürsten
gespielt, habe sie mit Abscheu gegen Alles erfüllt, was jenseits dieser
Merge liege.

Also unglücklich war sie! Eine Waise, war sie vielleicht hinein-


den Blick nach den Fenstern des Schlosses gerichtet, seinem Horn jene
Zauberklänge entlockte. Konnte die Poesie etwas Anziehenderes schaf¬
fen? Eine stille Mondennacht, ein See, ein finsteres Schloß, ein gebrech¬
licher Nachen und das süßklagende Lied eines Waldhorns! Aber es
fehlte noch etwas, um mich ganz in die Zeiten des romantischen Rit-
terthums und der Mährchen zu versetzen, es fehlte noch der Glanz
eines Mävchcnauges und das Bild schwamm vor mir in der Morgen¬
röthe längst verklungenen Minstrelsgesanges. Und siehe, da öffnete sich
oben im Schlosse eine gothische Thüre, eine Frauengestalt mit weißem,
wehendem Gewände und blondem, fliegendem Haar trat heraus auf
den breiten, steinernen Balcon und lehnte sich herunter, als ob ihr
Auge die Tiefe des Sees zu ihren Füßen ergründen wollte. Ich wagte
kaum zu athmen, ich flüchtete mich hinter die Gardinen, aus Furcht,
der entdeckte Lauscher möchte diese Traumgestalten verscheuchen. Aber
nein! die weiße Dame riß den Strauß von ihrem Busen und schleu¬
derte ihn hinab zu den Sternen, die sich in der klaren Wasserfläche
spiegelten; ein Wehen des Gewandes noch und die Schöne war ver¬
schwunden durch die dunkle gothische Thüre des Balcons! Freudig
jubelte jetzt das Waldhorn auf dem See, der einsame Schiffsmann
schien die zarte Gabe der Liebe aufgefangen zu haben, und als er sein
Allegro rasch geschlossen, sah ich sein blendendes Ruder die Wellen
zertheilen und ein Lichtstreif, der dem Kahne nachzog, wies nach Sü¬
den, wo ihn der See mit seinen schattigen Buchten und Abhängen in
sein gefälliges Dunkel aufnahm.

Ich bleibe! war daher mein erstes Wort, als ich heute aufstand.
Ich bleibe! rief ich wiederholt und es koste, was es wolle, ich muß
das Geheimniß jenes Abenteuers ergründen, muß die Personen kennen
lernen, die den Traum vergangener herrlicher Zeiten noch ein Mal
Hervorzaubern in unser rechnendes und wucherndes Jahrhundert! Die
erste Frage, die ich daher an den eintretenden Wirth richtete, verlangte
Auskunft über jenes zauberhafte Schloß und seine Bewohner. Mit
einem mir unerklärlichen und nicht zu beschreibenden Lächeln erzählte
der ehrliche Mann, daß es von einer jungen Dame, der Besitzerin,
bewohnt werde, sie nenne sich Freiin von Eichen, lebe ganz einsam und
habe sich aus dem Treiben der tückischen Welt auf ihren Felsen ge¬
flüchtet, denn eine kurze, glänzende Rolle, die sie am Hofe des Fürsten
gespielt, habe sie mit Abscheu gegen Alles erfüllt, was jenseits dieser
Merge liege.

Also unglücklich war sie! Eine Waise, war sie vielleicht hinein-


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[0152] den Blick nach den Fenstern des Schlosses gerichtet, seinem Horn jene Zauberklänge entlockte. Konnte die Poesie etwas Anziehenderes schaf¬ fen? Eine stille Mondennacht, ein See, ein finsteres Schloß, ein gebrech¬ licher Nachen und das süßklagende Lied eines Waldhorns! Aber es fehlte noch etwas, um mich ganz in die Zeiten des romantischen Rit- terthums und der Mährchen zu versetzen, es fehlte noch der Glanz eines Mävchcnauges und das Bild schwamm vor mir in der Morgen¬ röthe längst verklungenen Minstrelsgesanges. Und siehe, da öffnete sich oben im Schlosse eine gothische Thüre, eine Frauengestalt mit weißem, wehendem Gewände und blondem, fliegendem Haar trat heraus auf den breiten, steinernen Balcon und lehnte sich herunter, als ob ihr Auge die Tiefe des Sees zu ihren Füßen ergründen wollte. Ich wagte kaum zu athmen, ich flüchtete mich hinter die Gardinen, aus Furcht, der entdeckte Lauscher möchte diese Traumgestalten verscheuchen. Aber nein! die weiße Dame riß den Strauß von ihrem Busen und schleu¬ derte ihn hinab zu den Sternen, die sich in der klaren Wasserfläche spiegelten; ein Wehen des Gewandes noch und die Schöne war ver¬ schwunden durch die dunkle gothische Thüre des Balcons! Freudig jubelte jetzt das Waldhorn auf dem See, der einsame Schiffsmann schien die zarte Gabe der Liebe aufgefangen zu haben, und als er sein Allegro rasch geschlossen, sah ich sein blendendes Ruder die Wellen zertheilen und ein Lichtstreif, der dem Kahne nachzog, wies nach Sü¬ den, wo ihn der See mit seinen schattigen Buchten und Abhängen in sein gefälliges Dunkel aufnahm. Ich bleibe! war daher mein erstes Wort, als ich heute aufstand. Ich bleibe! rief ich wiederholt und es koste, was es wolle, ich muß das Geheimniß jenes Abenteuers ergründen, muß die Personen kennen lernen, die den Traum vergangener herrlicher Zeiten noch ein Mal Hervorzaubern in unser rechnendes und wucherndes Jahrhundert! Die erste Frage, die ich daher an den eintretenden Wirth richtete, verlangte Auskunft über jenes zauberhafte Schloß und seine Bewohner. Mit einem mir unerklärlichen und nicht zu beschreibenden Lächeln erzählte der ehrliche Mann, daß es von einer jungen Dame, der Besitzerin, bewohnt werde, sie nenne sich Freiin von Eichen, lebe ganz einsam und habe sich aus dem Treiben der tückischen Welt auf ihren Felsen ge¬ flüchtet, denn eine kurze, glänzende Rolle, die sie am Hofe des Fürsten gespielt, habe sie mit Abscheu gegen Alles erfüllt, was jenseits dieser Merge liege. Also unglücklich war sie! Eine Waise, war sie vielleicht hinein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/152>, abgerufen am 24.07.2024.