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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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VI.
Notizen.

Aristokratische suffisance. -- Eisenbahnen und Kammern. -- Gastronomisch¬
österreichische Studien.'

Es liegt uns ein Buch: "Byrons Frauen" von M. von Dü-
ringfeld vor. Wir schlagen die erste Seite auf und lesen Folgendes:
An Louise K. Es ist ein Jahr her, daß ich dieses Buch beendete. Da¬
mals war es nicht Ihnen zugedacht -- jetzt empfangen Sie es. Im
Dunkelsten eines trüben Herbstes begann ich es -- aus der glanzvollen
Melancholie eines Frühlingstages sende ich es Ihnen. Ich las es nicht
wieder durch -- erinnere mich seines Inhaltes nur noch dämmernd
-- es enthält viele traurige Gedanken, glaube ich -- nun Sie werden
es ja lesen/' Kann sich die aristokratische suffisance und die leere Co-
quetterie noch höher steigern? Wir reden hier nicht von der Unschicklich¬
keit, welche die Verfasserin gegen die begeht, der sie ihr Buch widmet
und der es anfangs nicht zugedacht war, obgleich sie ihr zumuthet, das
zu lesen, was ihr selber zu lesen und sich desselben zu erinnern zu un¬
bedeutend erscheint. Wir reden hier von der suffisance gegen das Publi-
cum und die Kritik. Wir sind gewohnt, literarische Produktionen mit
einem andern Maßstabe, als dem der bürgerlichen Unterthänigkeit gegen
aristokratische Blasirtheit zu messen, und es kann uns Niemand zumu-
then, das zu lesen, und gar kritisch zu lesen, was die Verfasserin selber
als des Nachlesens unwerth betrachtet und worauf sie jedenfalls kein be¬
sonderes Studium verwendet haben kann, da Alles ohne Einoruck zu
hinterlassen, von ihr selber schon wieder vergessen worden ist.

-- Man kann die Bemerkung machen, daß im Jahre 1842, als
das große Eisenbahnunglück bei Meuten stattfand, gleichfalls wie in die¬
sem Jahre die allgemeinen Wahlen für die französische Deputirtenkammer
stattfanden. Es sollte uns wundern, wenn nicht irgend ein frommer
rheinischer Beobachter hieraus Schlüsse zöge über den Zorn des Himmels
gegen Repräsentativverfassungen, gegen Sodom und Gomorrha, gegen
Wahlumtriebe, Eorruption u. s. w.

-- Die Oesterreicher sind ärgerlich, wenn ihnen die Norddeutschen
ihre Backhähnl und Roßbratl, ihre Liebe zu vollen Tischen und Fleisch¬
töpfen vorwerfen. Aber die Regierung selbst hilft dazu, ihren epicuräi-
schen Ruf zu verschlimmern. In der neuen Gewerbeordnung, welche
dieser Tage erschienen ist, werden (als Ausnahme von der allgemeinen
Gewerbefreiheit) aufgezählt: "Die Köche, Garköche, Garküchler, Tracteurs
und Restaurateurts." Wir möchten doch irgend einen österreichischen
Jacob Grimm freundlichst bitten, uns den Unterschied zwischen einem
Garkoch und einem Garküchler in einer ausführlichen Abhandlung zu
schildern. Auch die feine Distinction zwischen einem Restaurateur und Trac-
teur, dürfte manchem sehr lehrreich werden. Welch' ein capriciöser Herr
muß doch ein österreichischer Magen sein, wenn die Behörden einer sol¬
chen seinen Nüancirung seiner Großdiener sich befleißigen müssen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kurgnda.
Druck vsu Friedrich AndrS.
VI.
Notizen.

Aristokratische suffisance. — Eisenbahnen und Kammern. — Gastronomisch¬
österreichische Studien.'

Es liegt uns ein Buch: „Byrons Frauen" von M. von Dü-
ringfeld vor. Wir schlagen die erste Seite auf und lesen Folgendes:
An Louise K. Es ist ein Jahr her, daß ich dieses Buch beendete. Da¬
mals war es nicht Ihnen zugedacht — jetzt empfangen Sie es. Im
Dunkelsten eines trüben Herbstes begann ich es — aus der glanzvollen
Melancholie eines Frühlingstages sende ich es Ihnen. Ich las es nicht
wieder durch — erinnere mich seines Inhaltes nur noch dämmernd
— es enthält viele traurige Gedanken, glaube ich — nun Sie werden
es ja lesen/' Kann sich die aristokratische suffisance und die leere Co-
quetterie noch höher steigern? Wir reden hier nicht von der Unschicklich¬
keit, welche die Verfasserin gegen die begeht, der sie ihr Buch widmet
und der es anfangs nicht zugedacht war, obgleich sie ihr zumuthet, das
zu lesen, was ihr selber zu lesen und sich desselben zu erinnern zu un¬
bedeutend erscheint. Wir reden hier von der suffisance gegen das Publi-
cum und die Kritik. Wir sind gewohnt, literarische Produktionen mit
einem andern Maßstabe, als dem der bürgerlichen Unterthänigkeit gegen
aristokratische Blasirtheit zu messen, und es kann uns Niemand zumu-
then, das zu lesen, und gar kritisch zu lesen, was die Verfasserin selber
als des Nachlesens unwerth betrachtet und worauf sie jedenfalls kein be¬
sonderes Studium verwendet haben kann, da Alles ohne Einoruck zu
hinterlassen, von ihr selber schon wieder vergessen worden ist.

— Man kann die Bemerkung machen, daß im Jahre 1842, als
das große Eisenbahnunglück bei Meuten stattfand, gleichfalls wie in die¬
sem Jahre die allgemeinen Wahlen für die französische Deputirtenkammer
stattfanden. Es sollte uns wundern, wenn nicht irgend ein frommer
rheinischer Beobachter hieraus Schlüsse zöge über den Zorn des Himmels
gegen Repräsentativverfassungen, gegen Sodom und Gomorrha, gegen
Wahlumtriebe, Eorruption u. s. w.

— Die Oesterreicher sind ärgerlich, wenn ihnen die Norddeutschen
ihre Backhähnl und Roßbratl, ihre Liebe zu vollen Tischen und Fleisch¬
töpfen vorwerfen. Aber die Regierung selbst hilft dazu, ihren epicuräi-
schen Ruf zu verschlimmern. In der neuen Gewerbeordnung, welche
dieser Tage erschienen ist, werden (als Ausnahme von der allgemeinen
Gewerbefreiheit) aufgezählt: „Die Köche, Garköche, Garküchler, Tracteurs
und Restaurateurts." Wir möchten doch irgend einen österreichischen
Jacob Grimm freundlichst bitten, uns den Unterschied zwischen einem
Garkoch und einem Garküchler in einer ausführlichen Abhandlung zu
schildern. Auch die feine Distinction zwischen einem Restaurateur und Trac-
teur, dürfte manchem sehr lehrreich werden. Welch' ein capriciöser Herr
muß doch ein österreichischer Magen sein, wenn die Behörden einer sol¬
chen seinen Nüancirung seiner Großdiener sich befleißigen müssen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurgnda.
Druck vsu Friedrich AndrS.
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[0150] VI. Notizen. Aristokratische suffisance. — Eisenbahnen und Kammern. — Gastronomisch¬ österreichische Studien.' Es liegt uns ein Buch: „Byrons Frauen" von M. von Dü- ringfeld vor. Wir schlagen die erste Seite auf und lesen Folgendes: An Louise K. Es ist ein Jahr her, daß ich dieses Buch beendete. Da¬ mals war es nicht Ihnen zugedacht — jetzt empfangen Sie es. Im Dunkelsten eines trüben Herbstes begann ich es — aus der glanzvollen Melancholie eines Frühlingstages sende ich es Ihnen. Ich las es nicht wieder durch — erinnere mich seines Inhaltes nur noch dämmernd — es enthält viele traurige Gedanken, glaube ich — nun Sie werden es ja lesen/' Kann sich die aristokratische suffisance und die leere Co- quetterie noch höher steigern? Wir reden hier nicht von der Unschicklich¬ keit, welche die Verfasserin gegen die begeht, der sie ihr Buch widmet und der es anfangs nicht zugedacht war, obgleich sie ihr zumuthet, das zu lesen, was ihr selber zu lesen und sich desselben zu erinnern zu un¬ bedeutend erscheint. Wir reden hier von der suffisance gegen das Publi- cum und die Kritik. Wir sind gewohnt, literarische Produktionen mit einem andern Maßstabe, als dem der bürgerlichen Unterthänigkeit gegen aristokratische Blasirtheit zu messen, und es kann uns Niemand zumu- then, das zu lesen, und gar kritisch zu lesen, was die Verfasserin selber als des Nachlesens unwerth betrachtet und worauf sie jedenfalls kein be¬ sonderes Studium verwendet haben kann, da Alles ohne Einoruck zu hinterlassen, von ihr selber schon wieder vergessen worden ist. — Man kann die Bemerkung machen, daß im Jahre 1842, als das große Eisenbahnunglück bei Meuten stattfand, gleichfalls wie in die¬ sem Jahre die allgemeinen Wahlen für die französische Deputirtenkammer stattfanden. Es sollte uns wundern, wenn nicht irgend ein frommer rheinischer Beobachter hieraus Schlüsse zöge über den Zorn des Himmels gegen Repräsentativverfassungen, gegen Sodom und Gomorrha, gegen Wahlumtriebe, Eorruption u. s. w. — Die Oesterreicher sind ärgerlich, wenn ihnen die Norddeutschen ihre Backhähnl und Roßbratl, ihre Liebe zu vollen Tischen und Fleisch¬ töpfen vorwerfen. Aber die Regierung selbst hilft dazu, ihren epicuräi- schen Ruf zu verschlimmern. In der neuen Gewerbeordnung, welche dieser Tage erschienen ist, werden (als Ausnahme von der allgemeinen Gewerbefreiheit) aufgezählt: „Die Köche, Garköche, Garküchler, Tracteurs und Restaurateurts." Wir möchten doch irgend einen österreichischen Jacob Grimm freundlichst bitten, uns den Unterschied zwischen einem Garkoch und einem Garküchler in einer ausführlichen Abhandlung zu schildern. Auch die feine Distinction zwischen einem Restaurateur und Trac- teur, dürfte manchem sehr lehrreich werden. Welch' ein capriciöser Herr muß doch ein österreichischer Magen sein, wenn die Behörden einer sol¬ chen seinen Nüancirung seiner Großdiener sich befleißigen müssen. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurgnda. Druck vsu Friedrich AndrS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/150>, abgerufen am 24.07.2024.