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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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herrliche Lied als der Einklang zufriedengestellter Stimmungen eines
durch Gesetz und Recht vollständig gesicherten und sein selbst bewuß-
ten Politischen Lebens aus: weder der Schmerz einer leidenschaftlichen
Sehnsucht, noch die Verzagtheit getäuschter, sich schon an sich selbst
als ein Verpöntes und Verbotenes empfindender Wünsche klang hier
durch. Ich komme darauf, weil mir eine Scene des Mozartfcstes,
welches im Sommer 1838 zu Frankfurt am Main gefeiert wurde, un-
vergeßlich ist und das Blut der Scham wie der Entrüstung noch jetzt
in die Wangen treibt. Zuvörderst war in dem sogenannten Wäld¬
chen dortselbst, bei dem durch die klassische Küche seiner Diners be¬
rühmter und selbst der sonst nicht viel Ehrwürdiges lernenden Diplo-
matik ehrwürdigen Forsthause, obgleich dies Mozartsche ein Volksfest
sein sollte und dem Geiste und Berufe nach-gewiß auch war, ein
großer Raum für die sogenannten Honoratioren, und an dessen prangen¬
der Hauptstätte noch besondre terrassenförmige Sperrsitze für die Ge¬
sandtschaften abgesteckt, zu denen der Zutritt netto um den Werth des
Kopfgeldes, welches einst die Juden nach Zerstörung ihres Reichs an
den Eapitolinischen Jupiter entrichten mußten, nämlich auf den Mann
acht und vierzig Kreuzer, erkauft werden mußte. Da dieser abge¬
sperrte Raum ungeheuer war, die Mehrzahl der gescheidten Leute aber,
weil sie bei solcher Gelegenheit gleich sehr dergleichen unvolksmäßige
Absonderungen, als die engherzige Benutzung zu eiuer, die Blosstel¬
lung nicht aufwiegenden Geldeinnahme unwürdig fand, denselben bei¬
nahe ganz leer ließ, so saß eines Theils der deutsche Bund mit sei¬
nem diplomatischen Anhängsel ganz eigentlich wie Butter an der Sonne,
in der Ausschließung, die man ihm angedeihen lassen zu müssen ge¬
glaubt hatte (ich freue mich dieser umständlich stylisirten Wendung,
weil sie den rücksichts- und retraitevollen Geist deutscher Allerwogen-
heit und Allbedächtigkeit schön versiimbildet) gleichsam zur Schau ge¬
stellt; andren Theils ergab sich die größte Unbequemlichkeit für die
außerhalb desselben stehenden Zuschauer, indem nun diese zwischen
Bäumen, Gesträuch und tiefem Grase Posto fassen mußten; auch
wurde der Effect der nrusikalischen Produktionen durch den weiten und
leeren Zwischenraum gar sehr geschmälert, da überhaupt jede tvn-
schöpferifche Machtleistung unter freiem Himmel meistens ohne die
erwünschten Wirkungen verpufft. Im Freien macht sich die Musik des
Kalbfelles, aus dem Kalbe, wie aus der Trommel, am besten geltend.
Nun aber kommt der Gipfel deutschen Ungeschicks und deutscher Takt¬
losigkeit! Das Lied: Was ist des Deutschen Vaterland?


herrliche Lied als der Einklang zufriedengestellter Stimmungen eines
durch Gesetz und Recht vollständig gesicherten und sein selbst bewuß-
ten Politischen Lebens aus: weder der Schmerz einer leidenschaftlichen
Sehnsucht, noch die Verzagtheit getäuschter, sich schon an sich selbst
als ein Verpöntes und Verbotenes empfindender Wünsche klang hier
durch. Ich komme darauf, weil mir eine Scene des Mozartfcstes,
welches im Sommer 1838 zu Frankfurt am Main gefeiert wurde, un-
vergeßlich ist und das Blut der Scham wie der Entrüstung noch jetzt
in die Wangen treibt. Zuvörderst war in dem sogenannten Wäld¬
chen dortselbst, bei dem durch die klassische Küche seiner Diners be¬
rühmter und selbst der sonst nicht viel Ehrwürdiges lernenden Diplo-
matik ehrwürdigen Forsthause, obgleich dies Mozartsche ein Volksfest
sein sollte und dem Geiste und Berufe nach-gewiß auch war, ein
großer Raum für die sogenannten Honoratioren, und an dessen prangen¬
der Hauptstätte noch besondre terrassenförmige Sperrsitze für die Ge¬
sandtschaften abgesteckt, zu denen der Zutritt netto um den Werth des
Kopfgeldes, welches einst die Juden nach Zerstörung ihres Reichs an
den Eapitolinischen Jupiter entrichten mußten, nämlich auf den Mann
acht und vierzig Kreuzer, erkauft werden mußte. Da dieser abge¬
sperrte Raum ungeheuer war, die Mehrzahl der gescheidten Leute aber,
weil sie bei solcher Gelegenheit gleich sehr dergleichen unvolksmäßige
Absonderungen, als die engherzige Benutzung zu eiuer, die Blosstel¬
lung nicht aufwiegenden Geldeinnahme unwürdig fand, denselben bei¬
nahe ganz leer ließ, so saß eines Theils der deutsche Bund mit sei¬
nem diplomatischen Anhängsel ganz eigentlich wie Butter an der Sonne,
in der Ausschließung, die man ihm angedeihen lassen zu müssen ge¬
glaubt hatte (ich freue mich dieser umständlich stylisirten Wendung,
weil sie den rücksichts- und retraitevollen Geist deutscher Allerwogen-
heit und Allbedächtigkeit schön versiimbildet) gleichsam zur Schau ge¬
stellt; andren Theils ergab sich die größte Unbequemlichkeit für die
außerhalb desselben stehenden Zuschauer, indem nun diese zwischen
Bäumen, Gesträuch und tiefem Grase Posto fassen mußten; auch
wurde der Effect der nrusikalischen Produktionen durch den weiten und
leeren Zwischenraum gar sehr geschmälert, da überhaupt jede tvn-
schöpferifche Machtleistung unter freiem Himmel meistens ohne die
erwünschten Wirkungen verpufft. Im Freien macht sich die Musik des
Kalbfelles, aus dem Kalbe, wie aus der Trommel, am besten geltend.
Nun aber kommt der Gipfel deutschen Ungeschicks und deutscher Takt¬
losigkeit! Das Lied: Was ist des Deutschen Vaterland?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/13>, abgerufen am 25.07.2024.