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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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schöpfen, die er mit unendlicher Mühe und Anstrengung construirt
und gegliedert, das einzige was Noth thut, den tliwr vielen" nicht
einflößen.-- Und er war klug genug einen Goten nicht für einen Geist
oder Engel anzusehen, -- Suchte er auch andere mit seinen schön
gegliederten, jahrelang gearbeiteten Geschöpfen zu betrügen -- sich
betrog er nicht; er wußte zu gut was ihm und seinen Gedichten
fehlte. -- Ein kleines Gedicht "die Sterne" klingt noch so wie
eine Erinnerung an einen Kindertränen, wie ein Hornklang aus
dem grünen Walde, wie der Glockenton einer verlorenen Kirche --
aber es blieb allein, ein letztes Erinnern, ein letzter Ton, ein letztes
Aufflackern. Seine Seele hatte ausgeklungen, sein Herz war ver¬
kohlt. -- Mit einem Male war er aus Prag verschwunden mit
man hörte lange Zeit nichts von ihm. -- Endlich erfuhr man, er
sei in Paris Lehrer an einer Pensionsanstalt geworden, -- Wie?
wollte er, der reiche, arm sein? wollte er im härenem Gewände
das verlorene gelobte Land wieder finden, legte er sich, wie die
Asceten der alten Zeit auf steinernes Lager um göttliche Träume
zu haben? Und wieder war er verschollen. -- Endlich nach lan¬
ger, langer Zeit, ungefähr fünf Jahre nach der Prager Periode
erhielt ich Nachricht von ihm. -- Es war in Cöln im Börsenkaffee¬
hause. -- Der Bothe der mir die Nachricht brachte, war die Frank¬
furter Oberpoftamtszeitung, die da sagte: dieser Tage erschoß sich
hier in Paris ein junger deutscher Schriftsteller Namens Lippmann.
Das Motiv seiner That soll unbefriedigter Ehrgeiz gewesen sein.
-- Wie kurz, wie kalt so eine papierne Zeitung eine solche Ge¬
schichte erzählt. -- Armer Ludwig! -- Mitten im öden Gewühl"
von Paris, wo der Schuß des verzweifelten Selbstmörders eben so
unbeachtet verhallt, wie der Knall einer Kinderpeitsche, -- da zu
sterben, gewaltsam, durch die eigene Hand -- es muß ein trauriges
Schicksal sein, und trauriger noch die Tage, die der That vorhergehen.
Wer kann mit aller Phantasie die tiefen, schreckenvollen Geheimnisse
jenes Momentes ergründen, da der Gedanke den Menschen mitten
im Gewühle der Freudesuchcnden oder auf öder Haide überkommt.
-- Voll guten Muthes zog Lessmann von Leipzig fort, zwei Tage
darauf fand man ihn auf der Brandenburger Haide an einem
Baumaste hängend. Was konnte ihm indessen begegnet sein? wie
muß der Moment gewesen sein, da ihn in der traurigen Oede


schöpfen, die er mit unendlicher Mühe und Anstrengung construirt
und gegliedert, das einzige was Noth thut, den tliwr vielen« nicht
einflößen.— Und er war klug genug einen Goten nicht für einen Geist
oder Engel anzusehen, — Suchte er auch andere mit seinen schön
gegliederten, jahrelang gearbeiteten Geschöpfen zu betrügen — sich
betrog er nicht; er wußte zu gut was ihm und seinen Gedichten
fehlte. — Ein kleines Gedicht „die Sterne" klingt noch so wie
eine Erinnerung an einen Kindertränen, wie ein Hornklang aus
dem grünen Walde, wie der Glockenton einer verlorenen Kirche —
aber es blieb allein, ein letztes Erinnern, ein letzter Ton, ein letztes
Aufflackern. Seine Seele hatte ausgeklungen, sein Herz war ver¬
kohlt. — Mit einem Male war er aus Prag verschwunden mit
man hörte lange Zeit nichts von ihm. — Endlich erfuhr man, er
sei in Paris Lehrer an einer Pensionsanstalt geworden, — Wie?
wollte er, der reiche, arm sein? wollte er im härenem Gewände
das verlorene gelobte Land wieder finden, legte er sich, wie die
Asceten der alten Zeit auf steinernes Lager um göttliche Träume
zu haben? Und wieder war er verschollen. — Endlich nach lan¬
ger, langer Zeit, ungefähr fünf Jahre nach der Prager Periode
erhielt ich Nachricht von ihm. — Es war in Cöln im Börsenkaffee¬
hause. — Der Bothe der mir die Nachricht brachte, war die Frank¬
furter Oberpoftamtszeitung, die da sagte: dieser Tage erschoß sich
hier in Paris ein junger deutscher Schriftsteller Namens Lippmann.
Das Motiv seiner That soll unbefriedigter Ehrgeiz gewesen sein.
— Wie kurz, wie kalt so eine papierne Zeitung eine solche Ge¬
schichte erzählt. — Armer Ludwig! — Mitten im öden Gewühl«
von Paris, wo der Schuß des verzweifelten Selbstmörders eben so
unbeachtet verhallt, wie der Knall einer Kinderpeitsche, — da zu
sterben, gewaltsam, durch die eigene Hand — es muß ein trauriges
Schicksal sein, und trauriger noch die Tage, die der That vorhergehen.
Wer kann mit aller Phantasie die tiefen, schreckenvollen Geheimnisse
jenes Momentes ergründen, da der Gedanke den Menschen mitten
im Gewühle der Freudesuchcnden oder auf öder Haide überkommt.
— Voll guten Muthes zog Lessmann von Leipzig fort, zwei Tage
darauf fand man ihn auf der Brandenburger Haide an einem
Baumaste hängend. Was konnte ihm indessen begegnet sein? wie
muß der Moment gewesen sein, da ihn in der traurigen Oede


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/76>, abgerufen am 23.12.2024.