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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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gäbe der deutschen Industrie einen großen Markt. So aber ist an
Sympathieen für Polen nicht zu denken, vielmehr, wie jenes Blatt
richtig bemerkt, möge Jeder, der mit Krakau in Verbindung steht,
zusehen, "wie er zu seinem Gelde komme." Die Eorresvondenten
selbst aber, welche sich zu Dolmetschern der commerciellen Welt mach¬
ten, sind große Heuchler, wenn sie ihre Sympathieen für die Polen-
insurrection läugnen; denn sie haben mit ihr glänzende Geschäfte ge¬
macht, und sie werden nicht bald wieder eine Gelegenheit finden, auf
so leichte Weise die Zeitungen zu füllen. Die Lügengerüchte waren
doppeltes Geld werth; erst meldete man sie und den andern Tag
schickte man selbst eine Berichtigung nach. Und gelogen wurde be¬
kanntlich sehr viel, zumal auf Kosten der Verschworn?". Der jour¬
nalistische Handelsstand darf sich also nicht beklagen.

^ In einer preußischen Zeitung, deren Tendenzen eben nicht po¬
pulär sind, wurde uns vor ein paar Wochen bewiesen, daß Oester¬
reich und Preußen eben so wenig an eine Wiederherstellung Polens
denken dürften, wie Rußland. Eine Wiederherstellung Polens näm¬
lich würde "die Ruhe Europas in Gefahr bringen" (ganz leise und
geräuschlos wäre das Werk allerdings nicht zu vollführen), "Polen
würde es ferner stets mit Frankreich halten" (das wird auch Rußland
später, wenn es unser unmittelbarer Nachbar ist) "und endlich würde
Polen mit seinem Streben nach politischer Freiheit die guten Deut¬
schen zu schnell und heftig anstecken;" der letzte Gedanke, dessen Wahr¬
heit wir am wenigsten bestreiten wollen, ist dort nur zwischen den
Zeilen geschrieben. Die Times dagegen, die von Politik vielleicht
eben so viel versteht, wie der Rheinische Beobachter oder die -Zeitung
für Preußen, bemerkt in einem nicht "abscheulichen", sondern mit
Wohlwollen für die zwei deutschen Großmächte abgefaßten Artikel,
daß es grade die Nlchtwiederherstellung, daß es der statu8 <um Polens
ist, was die Ruhe Europas mit einer fortdauernden Gefahr bedroht.
Die Times glaubt nicht, daß es darauf ankomme, den Communis¬
mus, Jesuitismus oder sonst einen Mus, den die Spürkraft deut¬
scher Doktrinärs als die geheimnißvolle Wurzel aller malcontenten
Stimmungen und Bewegungen anzeigt, auszurotten, und daß dann
alles gut wäre. Sie legt gar kein großes Gewicht auf diese Erschei¬
nungen und meint mit ihrem ungelehrten aber gesunden Menschen¬
verstande: Heut ist es dieser Mus, morgen ein anderer. Bei einem
Volke, dessen Schicksal so beklagenswert!) ist, wird jede Agitation, sie
geschehe, in wessen Namen sie wolle, fruchtbaren Boden, und die Ver¬
breiter der größten Irrlehren eine Handhabe finden. Wer kann wissen,
was für Theorien und Systeme noch bis Ende dieses Jahrhunderts
auftauchen, die man nicht auf die Welt kommen lassen dürfte, um
neue Aufregungen in Polen zu verhüten. Die Times glaubt, Oe-


gäbe der deutschen Industrie einen großen Markt. So aber ist an
Sympathieen für Polen nicht zu denken, vielmehr, wie jenes Blatt
richtig bemerkt, möge Jeder, der mit Krakau in Verbindung steht,
zusehen, „wie er zu seinem Gelde komme." Die Eorresvondenten
selbst aber, welche sich zu Dolmetschern der commerciellen Welt mach¬
ten, sind große Heuchler, wenn sie ihre Sympathieen für die Polen-
insurrection läugnen; denn sie haben mit ihr glänzende Geschäfte ge¬
macht, und sie werden nicht bald wieder eine Gelegenheit finden, auf
so leichte Weise die Zeitungen zu füllen. Die Lügengerüchte waren
doppeltes Geld werth; erst meldete man sie und den andern Tag
schickte man selbst eine Berichtigung nach. Und gelogen wurde be¬
kanntlich sehr viel, zumal auf Kosten der Verschworn?«. Der jour¬
nalistische Handelsstand darf sich also nicht beklagen.

^ In einer preußischen Zeitung, deren Tendenzen eben nicht po¬
pulär sind, wurde uns vor ein paar Wochen bewiesen, daß Oester¬
reich und Preußen eben so wenig an eine Wiederherstellung Polens
denken dürften, wie Rußland. Eine Wiederherstellung Polens näm¬
lich würde „die Ruhe Europas in Gefahr bringen" (ganz leise und
geräuschlos wäre das Werk allerdings nicht zu vollführen), „Polen
würde es ferner stets mit Frankreich halten" (das wird auch Rußland
später, wenn es unser unmittelbarer Nachbar ist) „und endlich würde
Polen mit seinem Streben nach politischer Freiheit die guten Deut¬
schen zu schnell und heftig anstecken;" der letzte Gedanke, dessen Wahr¬
heit wir am wenigsten bestreiten wollen, ist dort nur zwischen den
Zeilen geschrieben. Die Times dagegen, die von Politik vielleicht
eben so viel versteht, wie der Rheinische Beobachter oder die -Zeitung
für Preußen, bemerkt in einem nicht „abscheulichen", sondern mit
Wohlwollen für die zwei deutschen Großmächte abgefaßten Artikel,
daß es grade die Nlchtwiederherstellung, daß es der statu8 <um Polens
ist, was die Ruhe Europas mit einer fortdauernden Gefahr bedroht.
Die Times glaubt nicht, daß es darauf ankomme, den Communis¬
mus, Jesuitismus oder sonst einen Mus, den die Spürkraft deut¬
scher Doktrinärs als die geheimnißvolle Wurzel aller malcontenten
Stimmungen und Bewegungen anzeigt, auszurotten, und daß dann
alles gut wäre. Sie legt gar kein großes Gewicht auf diese Erschei¬
nungen und meint mit ihrem ungelehrten aber gesunden Menschen¬
verstande: Heut ist es dieser Mus, morgen ein anderer. Bei einem
Volke, dessen Schicksal so beklagenswert!) ist, wird jede Agitation, sie
geschehe, in wessen Namen sie wolle, fruchtbaren Boden, und die Ver¬
breiter der größten Irrlehren eine Handhabe finden. Wer kann wissen,
was für Theorien und Systeme noch bis Ende dieses Jahrhunderts
auftauchen, die man nicht auf die Welt kommen lassen dürfte, um
neue Aufregungen in Polen zu verhüten. Die Times glaubt, Oe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/611>, abgerufen am 01.09.2024.