Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Hussahgeschrei der torystischen Fuchsjäger: Es geschieht ihm
Recht; denn man weiß, daß Peel, wie er bisher nur der Advocat,
nicht der überzeugte Vorkämpfer der Tones gewesen, so auch jetzt nicht
aus purer Begeisterung für das Schicksal der untern Classen das
Steuerruder gewendet hat. Die Argumente und Ueberzeugungen, die
er nun mit so warmer Beredsamkeit geltend macht, hatte er bereits
vor Jahren. Erst als er den unabwendbaren Sieg der Liga voraus¬
sah, suchte er ihn zu seinem eigenen zu machen. Er kam drei Mi¬
nuten vor Thorschluß. Von den untern Classen aber ist überhaupt
nicht im Ernst die Rede; um die Herrschaft der mittlern Classen
handelt es sich, und Peel ist, wie sein geistreichster Gegner, d'Jsraeli,
bemerkt hat, nur bereit, eine Aristokratie statt der andern, den Geld¬
besitz statt des Grundbesitzes in den Sattel zu heben. Als die größte
Kapacität unter den Tones, konnte er herrschen, indem er ihnen
diente, und diese etwas spät kommende Erfahrung ist es, was einiger¬
maßen die Wuth der Tories entschuldigt, aber eine ahnliche Rolle
würde er, zu den Whigs übergehend, nicht spielen können. Peel's
Ehrgeiz und Tendenzen gehen über die eines Parteiführers im alt¬
englischen Sinne weit hinaus und wie er, von den Anschuldigungen der
Partei an die höheren Staatsrücksichten appellirend, sich als Minister
des Volks, als unmittelbaren Diener der Krone hinstellend, das par¬
lamentarische Herkommen gebrochen hat, so verbirgt er auch in ein¬
zelnen Punkten seines großen Reformplans Keime einer neuen cen-
tralisirenden Politik, die bisher allen Parteien fremd war. Gelingt
es diesem merkwürdigen Mann, aus einigen Whig- und Torygrup-
pen eine fügsame Peelpartei zu bilden, so führt er vielleicht über Eng¬
land eine neue Epoche herauf; wo nicht, so wird er zu Tode gehetzt,
wie einst der eben so kühne und vielleicht edlere Gladiator Canning.

^- Der Traum jenes gutmüthigen ideologischen Ubbo's im vorigen
Jahrhundert, beiden ewigen Frieden einführen wollte, ist heutzutage
ein Traum der Diplomaten, an ihrer Spitze Louis Philippe's, ge¬
worden; Actien sollen fortan die sogenannten Staatsactionen von ehe¬
dem unmöglich machen, Industrie- und Börsengeist sollen die Ver-
söhnungs- und Friedensengel der Völker sein. Doch will Niemand
so recht diesem Frieden trauen, der die Großen nicht hindert, die
Kleinen in aller Lieb und Stille aufzufressen, und es wird Einem
oft gar schwül und unheimlich bei dieser allgemeinen Zärtlichkeit zwischen
den Diplomaten. Man fühlt es, der Kriegsgott hat noch gerechte
Schulden einzutreiben und träte er einmal unter uns, so würde er
nicht ein gehorsamer Landsknecht sein, wie in frühern Jahrhunderten,
sondern ein strenger Richter über Völker und Könige, und manche
weitklaffende Wunde käme zum Vorschein, die mit Staatspapieren
zu verkleben, nicht zu heilen ist; darum sucht man ihn auswärts ab-


dem Hussahgeschrei der torystischen Fuchsjäger: Es geschieht ihm
Recht; denn man weiß, daß Peel, wie er bisher nur der Advocat,
nicht der überzeugte Vorkämpfer der Tones gewesen, so auch jetzt nicht
aus purer Begeisterung für das Schicksal der untern Classen das
Steuerruder gewendet hat. Die Argumente und Ueberzeugungen, die
er nun mit so warmer Beredsamkeit geltend macht, hatte er bereits
vor Jahren. Erst als er den unabwendbaren Sieg der Liga voraus¬
sah, suchte er ihn zu seinem eigenen zu machen. Er kam drei Mi¬
nuten vor Thorschluß. Von den untern Classen aber ist überhaupt
nicht im Ernst die Rede; um die Herrschaft der mittlern Classen
handelt es sich, und Peel ist, wie sein geistreichster Gegner, d'Jsraeli,
bemerkt hat, nur bereit, eine Aristokratie statt der andern, den Geld¬
besitz statt des Grundbesitzes in den Sattel zu heben. Als die größte
Kapacität unter den Tones, konnte er herrschen, indem er ihnen
diente, und diese etwas spät kommende Erfahrung ist es, was einiger¬
maßen die Wuth der Tories entschuldigt, aber eine ahnliche Rolle
würde er, zu den Whigs übergehend, nicht spielen können. Peel's
Ehrgeiz und Tendenzen gehen über die eines Parteiführers im alt¬
englischen Sinne weit hinaus und wie er, von den Anschuldigungen der
Partei an die höheren Staatsrücksichten appellirend, sich als Minister
des Volks, als unmittelbaren Diener der Krone hinstellend, das par¬
lamentarische Herkommen gebrochen hat, so verbirgt er auch in ein¬
zelnen Punkten seines großen Reformplans Keime einer neuen cen-
tralisirenden Politik, die bisher allen Parteien fremd war. Gelingt
es diesem merkwürdigen Mann, aus einigen Whig- und Torygrup-
pen eine fügsame Peelpartei zu bilden, so führt er vielleicht über Eng¬
land eine neue Epoche herauf; wo nicht, so wird er zu Tode gehetzt,
wie einst der eben so kühne und vielleicht edlere Gladiator Canning.

^- Der Traum jenes gutmüthigen ideologischen Ubbo's im vorigen
Jahrhundert, beiden ewigen Frieden einführen wollte, ist heutzutage
ein Traum der Diplomaten, an ihrer Spitze Louis Philippe's, ge¬
worden; Actien sollen fortan die sogenannten Staatsactionen von ehe¬
dem unmöglich machen, Industrie- und Börsengeist sollen die Ver-
söhnungs- und Friedensengel der Völker sein. Doch will Niemand
so recht diesem Frieden trauen, der die Großen nicht hindert, die
Kleinen in aller Lieb und Stille aufzufressen, und es wird Einem
oft gar schwül und unheimlich bei dieser allgemeinen Zärtlichkeit zwischen
den Diplomaten. Man fühlt es, der Kriegsgott hat noch gerechte
Schulden einzutreiben und träte er einmal unter uns, so würde er
nicht ein gehorsamer Landsknecht sein, wie in frühern Jahrhunderten,
sondern ein strenger Richter über Völker und Könige, und manche
weitklaffende Wunde käme zum Vorschein, die mit Staatspapieren
zu verkleben, nicht zu heilen ist; darum sucht man ihn auswärts ab-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182419"/>
            <p xml:id="ID_1442" prev="#ID_1441"> dem Hussahgeschrei der torystischen Fuchsjäger: Es geschieht ihm<lb/>
Recht; denn man weiß, daß Peel, wie er bisher nur der Advocat,<lb/>
nicht der überzeugte Vorkämpfer der Tones gewesen, so auch jetzt nicht<lb/>
aus purer Begeisterung für das Schicksal der untern Classen das<lb/>
Steuerruder gewendet hat. Die Argumente und Ueberzeugungen, die<lb/>
er nun mit so warmer Beredsamkeit geltend macht, hatte er bereits<lb/>
vor Jahren. Erst als er den unabwendbaren Sieg der Liga voraus¬<lb/>
sah, suchte er ihn zu seinem eigenen zu machen. Er kam drei Mi¬<lb/>
nuten vor Thorschluß. Von den untern Classen aber ist überhaupt<lb/>
nicht im Ernst die Rede; um die Herrschaft der mittlern Classen<lb/>
handelt es sich, und Peel ist, wie sein geistreichster Gegner, d'Jsraeli,<lb/>
bemerkt hat, nur bereit, eine Aristokratie statt der andern, den Geld¬<lb/>
besitz statt des Grundbesitzes in den Sattel zu heben. Als die größte<lb/>
Kapacität unter den Tones, konnte er herrschen, indem er ihnen<lb/>
diente, und diese etwas spät kommende Erfahrung ist es, was einiger¬<lb/>
maßen die Wuth der Tories entschuldigt, aber eine ahnliche Rolle<lb/>
würde er, zu den Whigs übergehend, nicht spielen können. Peel's<lb/>
Ehrgeiz und Tendenzen gehen über die eines Parteiführers im alt¬<lb/>
englischen Sinne weit hinaus und wie er, von den Anschuldigungen der<lb/>
Partei an die höheren Staatsrücksichten appellirend, sich als Minister<lb/>
des Volks, als unmittelbaren Diener der Krone hinstellend, das par¬<lb/>
lamentarische Herkommen gebrochen hat, so verbirgt er auch in ein¬<lb/>
zelnen Punkten seines großen Reformplans Keime einer neuen cen-<lb/>
tralisirenden Politik, die bisher allen Parteien fremd war. Gelingt<lb/>
es diesem merkwürdigen Mann, aus einigen Whig- und Torygrup-<lb/>
pen eine fügsame Peelpartei zu bilden, so führt er vielleicht über Eng¬<lb/>
land eine neue Epoche herauf; wo nicht, so wird er zu Tode gehetzt,<lb/>
wie einst der eben so kühne und vielleicht edlere Gladiator Canning.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1443" next="#ID_1444"> ^- Der Traum jenes gutmüthigen ideologischen Ubbo's im vorigen<lb/>
Jahrhundert, beiden ewigen Frieden einführen wollte, ist heutzutage<lb/>
ein Traum der Diplomaten, an ihrer Spitze Louis Philippe's, ge¬<lb/>
worden; Actien sollen fortan die sogenannten Staatsactionen von ehe¬<lb/>
dem unmöglich machen, Industrie- und Börsengeist sollen die Ver-<lb/>
söhnungs- und Friedensengel der Völker sein. Doch will Niemand<lb/>
so recht diesem Frieden trauen, der die Großen nicht hindert, die<lb/>
Kleinen in aller Lieb und Stille aufzufressen, und es wird Einem<lb/>
oft gar schwül und unheimlich bei dieser allgemeinen Zärtlichkeit zwischen<lb/>
den Diplomaten. Man fühlt es, der Kriegsgott hat noch gerechte<lb/>
Schulden einzutreiben und träte er einmal unter uns, so würde er<lb/>
nicht ein gehorsamer Landsknecht sein, wie in frühern Jahrhunderten,<lb/>
sondern ein strenger Richter über Völker und Könige, und manche<lb/>
weitklaffende Wunde käme zum Vorschein, die mit Staatspapieren<lb/>
zu verkleben, nicht zu heilen ist; darum sucht man ihn auswärts ab-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] dem Hussahgeschrei der torystischen Fuchsjäger: Es geschieht ihm Recht; denn man weiß, daß Peel, wie er bisher nur der Advocat, nicht der überzeugte Vorkämpfer der Tones gewesen, so auch jetzt nicht aus purer Begeisterung für das Schicksal der untern Classen das Steuerruder gewendet hat. Die Argumente und Ueberzeugungen, die er nun mit so warmer Beredsamkeit geltend macht, hatte er bereits vor Jahren. Erst als er den unabwendbaren Sieg der Liga voraus¬ sah, suchte er ihn zu seinem eigenen zu machen. Er kam drei Mi¬ nuten vor Thorschluß. Von den untern Classen aber ist überhaupt nicht im Ernst die Rede; um die Herrschaft der mittlern Classen handelt es sich, und Peel ist, wie sein geistreichster Gegner, d'Jsraeli, bemerkt hat, nur bereit, eine Aristokratie statt der andern, den Geld¬ besitz statt des Grundbesitzes in den Sattel zu heben. Als die größte Kapacität unter den Tones, konnte er herrschen, indem er ihnen diente, und diese etwas spät kommende Erfahrung ist es, was einiger¬ maßen die Wuth der Tories entschuldigt, aber eine ahnliche Rolle würde er, zu den Whigs übergehend, nicht spielen können. Peel's Ehrgeiz und Tendenzen gehen über die eines Parteiführers im alt¬ englischen Sinne weit hinaus und wie er, von den Anschuldigungen der Partei an die höheren Staatsrücksichten appellirend, sich als Minister des Volks, als unmittelbaren Diener der Krone hinstellend, das par¬ lamentarische Herkommen gebrochen hat, so verbirgt er auch in ein¬ zelnen Punkten seines großen Reformplans Keime einer neuen cen- tralisirenden Politik, die bisher allen Parteien fremd war. Gelingt es diesem merkwürdigen Mann, aus einigen Whig- und Torygrup- pen eine fügsame Peelpartei zu bilden, so führt er vielleicht über Eng¬ land eine neue Epoche herauf; wo nicht, so wird er zu Tode gehetzt, wie einst der eben so kühne und vielleicht edlere Gladiator Canning. ^- Der Traum jenes gutmüthigen ideologischen Ubbo's im vorigen Jahrhundert, beiden ewigen Frieden einführen wollte, ist heutzutage ein Traum der Diplomaten, an ihrer Spitze Louis Philippe's, ge¬ worden; Actien sollen fortan die sogenannten Staatsactionen von ehe¬ dem unmöglich machen, Industrie- und Börsengeist sollen die Ver- söhnungs- und Friedensengel der Völker sein. Doch will Niemand so recht diesem Frieden trauen, der die Großen nicht hindert, die Kleinen in aller Lieb und Stille aufzufressen, und es wird Einem oft gar schwül und unheimlich bei dieser allgemeinen Zärtlichkeit zwischen den Diplomaten. Man fühlt es, der Kriegsgott hat noch gerechte Schulden einzutreiben und träte er einmal unter uns, so würde er nicht ein gehorsamer Landsknecht sein, wie in frühern Jahrhunderten, sondern ein strenger Richter über Völker und Könige, und manche weitklaffende Wunde käme zum Vorschein, die mit Staatspapieren zu verkleben, nicht zu heilen ist; darum sucht man ihn auswärts ab-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/609>, abgerufen am 23.12.2024.