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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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aus nicht verloren haben. ^- Seitdem hat man die Gallene sicher
gemacht; der Besucher des Monuments findet sich, sobald er oben
aus der Thurmthüre heraustritt, in einem starken Käfig aus eiser¬
nen Stäben eingeschlossen, welcher um die Mauer rund herum¬
geht. --

Noch Eines I sagte ich, als wir unten waren. Können Sie
mir nicht sagen, wo hier Mrs. Todgers gewohnt hat? -- Mrs.
Todgers? Wer ist das? Haben Sie vielleicht ein Empfehlungs¬
schreiben...? -- Nein, weiß Gott, sagte ich lachend, aber Grüße
hab ich auszurichten aus deutschen Leihbibliotheken. -- O, jetzt weiß
ich, rief mein lliuble Koiteux; Sie meinen Mrs. Todgers, die ko¬
mische Figur aus dem Boz'schen "Martin Chuzzlewit." Es ist
wahr, wir stehen gewissermaßen auf romantischem Boden, aber der
Platz wird Ihnen sicherlich prosaischer vorkommen, als das Bild,
welches Sie sich nach Dickens Beschreibung gemacht haben.

Der kleine viereckige Platz ist einer der stillsten von London,
trotz des rauschenden Verkehrs in unmittelbarer Nähe; zwischen
den Pflastersteinen wächst da und dort Gras hervor, somit kann
hier die Phantasie schon thätig werden. Aber die niedern saubern
Häuser, mit den Blumenbrettern hinter den Fensterscheiben wollen
nichts wissen von den düstern und labyrinthischen Wegen, die der
Dichter um das Monument herum gezogen hat. Wer, die Boz'¬
schen Nomanbilder im Kopf, nach London kommt, wird sich über¬
haupt in mancher Hinsicht angenehm enttäuscht finden; denn in
Dickens' Romanen ist das London von vor sechzig Jahren gemalt,
und der Neuling findet nicht so leicht jene Schlupfwinkel, wo sich
noch ein unwirthliches Bruchstück aus großväterlicher Zeit erhalten
hat. Dazu kommt die Vorliebe für die Carricatur, die Liebe zum
Häßlichen um des Häßlichen willen, die den englischen Genrebild¬
ner sehr oft befällt. Namentlich giebt Dickens gern den Behau¬
sungen seiner Bösewichter und Intriguanten eine Färbung, die
gleichsam dem moralischen Geist des Bewohners entsprechen soll,
die aber stets mehr Ekel erregt, als poetisches Grauen. Ich er¬
innerte mich an die Rendezvousorte des Zwerges Quilp, an die
Wohnung des Advocaten Braß und fragte mich,: Ist es möglich,
in diesen breiten Straßen, welche selbst im Herzen der alten räu¬
cherigen City die englische Sauberkeit nicht verläugnen, sich naß-


aus nicht verloren haben. ^- Seitdem hat man die Gallene sicher
gemacht; der Besucher des Monuments findet sich, sobald er oben
aus der Thurmthüre heraustritt, in einem starken Käfig aus eiser¬
nen Stäben eingeschlossen, welcher um die Mauer rund herum¬
geht. —

Noch Eines I sagte ich, als wir unten waren. Können Sie
mir nicht sagen, wo hier Mrs. Todgers gewohnt hat? — Mrs.
Todgers? Wer ist das? Haben Sie vielleicht ein Empfehlungs¬
schreiben...? — Nein, weiß Gott, sagte ich lachend, aber Grüße
hab ich auszurichten aus deutschen Leihbibliotheken. — O, jetzt weiß
ich, rief mein lliuble Koiteux; Sie meinen Mrs. Todgers, die ko¬
mische Figur aus dem Boz'schen „Martin Chuzzlewit." Es ist
wahr, wir stehen gewissermaßen auf romantischem Boden, aber der
Platz wird Ihnen sicherlich prosaischer vorkommen, als das Bild,
welches Sie sich nach Dickens Beschreibung gemacht haben.

Der kleine viereckige Platz ist einer der stillsten von London,
trotz des rauschenden Verkehrs in unmittelbarer Nähe; zwischen
den Pflastersteinen wächst da und dort Gras hervor, somit kann
hier die Phantasie schon thätig werden. Aber die niedern saubern
Häuser, mit den Blumenbrettern hinter den Fensterscheiben wollen
nichts wissen von den düstern und labyrinthischen Wegen, die der
Dichter um das Monument herum gezogen hat. Wer, die Boz'¬
schen Nomanbilder im Kopf, nach London kommt, wird sich über¬
haupt in mancher Hinsicht angenehm enttäuscht finden; denn in
Dickens' Romanen ist das London von vor sechzig Jahren gemalt,
und der Neuling findet nicht so leicht jene Schlupfwinkel, wo sich
noch ein unwirthliches Bruchstück aus großväterlicher Zeit erhalten
hat. Dazu kommt die Vorliebe für die Carricatur, die Liebe zum
Häßlichen um des Häßlichen willen, die den englischen Genrebild¬
ner sehr oft befällt. Namentlich giebt Dickens gern den Behau¬
sungen seiner Bösewichter und Intriguanten eine Färbung, die
gleichsam dem moralischen Geist des Bewohners entsprechen soll,
die aber stets mehr Ekel erregt, als poetisches Grauen. Ich er¬
innerte mich an die Rendezvousorte des Zwerges Quilp, an die
Wohnung des Advocaten Braß und fragte mich,: Ist es möglich,
in diesen breiten Straßen, welche selbst im Herzen der alten räu¬
cherigen City die englische Sauberkeit nicht verläugnen, sich naß-


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[0590] aus nicht verloren haben. ^- Seitdem hat man die Gallene sicher gemacht; der Besucher des Monuments findet sich, sobald er oben aus der Thurmthüre heraustritt, in einem starken Käfig aus eiser¬ nen Stäben eingeschlossen, welcher um die Mauer rund herum¬ geht. — Noch Eines I sagte ich, als wir unten waren. Können Sie mir nicht sagen, wo hier Mrs. Todgers gewohnt hat? — Mrs. Todgers? Wer ist das? Haben Sie vielleicht ein Empfehlungs¬ schreiben...? — Nein, weiß Gott, sagte ich lachend, aber Grüße hab ich auszurichten aus deutschen Leihbibliotheken. — O, jetzt weiß ich, rief mein lliuble Koiteux; Sie meinen Mrs. Todgers, die ko¬ mische Figur aus dem Boz'schen „Martin Chuzzlewit." Es ist wahr, wir stehen gewissermaßen auf romantischem Boden, aber der Platz wird Ihnen sicherlich prosaischer vorkommen, als das Bild, welches Sie sich nach Dickens Beschreibung gemacht haben. Der kleine viereckige Platz ist einer der stillsten von London, trotz des rauschenden Verkehrs in unmittelbarer Nähe; zwischen den Pflastersteinen wächst da und dort Gras hervor, somit kann hier die Phantasie schon thätig werden. Aber die niedern saubern Häuser, mit den Blumenbrettern hinter den Fensterscheiben wollen nichts wissen von den düstern und labyrinthischen Wegen, die der Dichter um das Monument herum gezogen hat. Wer, die Boz'¬ schen Nomanbilder im Kopf, nach London kommt, wird sich über¬ haupt in mancher Hinsicht angenehm enttäuscht finden; denn in Dickens' Romanen ist das London von vor sechzig Jahren gemalt, und der Neuling findet nicht so leicht jene Schlupfwinkel, wo sich noch ein unwirthliches Bruchstück aus großväterlicher Zeit erhalten hat. Dazu kommt die Vorliebe für die Carricatur, die Liebe zum Häßlichen um des Häßlichen willen, die den englischen Genrebild¬ ner sehr oft befällt. Namentlich giebt Dickens gern den Behau¬ sungen seiner Bösewichter und Intriguanten eine Färbung, die gleichsam dem moralischen Geist des Bewohners entsprechen soll, die aber stets mehr Ekel erregt, als poetisches Grauen. Ich er¬ innerte mich an die Rendezvousorte des Zwerges Quilp, an die Wohnung des Advocaten Braß und fragte mich,: Ist es möglich, in diesen breiten Straßen, welche selbst im Herzen der alten räu¬ cherigen City die englische Sauberkeit nicht verläugnen, sich naß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/590>, abgerufen am 23.12.2024.