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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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mit einer Tartüffe-Miene die öffentliche Meinung gegen Oesterreich
jetzt und, wie eine Correspondenz der kölnischen Zeitung sogar ge¬
than, den patriotischen Schafspelz so hoch über die Ohren zieht,
daß sie behauptet, eigentlich sei Preußen ganz unschuldig an der
Theilung Polens, "es habe nur endlich nachgegeben als
die andern es gethan!" Dies heißt doch die öffentliche Mei¬
nung gar zu sehr als leichtgläubiges Kind behandeln und dem deut¬
schen Publicum eine Ignoranz zumuthen, die jeder Gymnasial¬
schüler Lügen strafen kann. Alle Welt weiß, daß, nachdem die
erste Theilung Polens zwischen Friedrich und Katharina ins Reine
gebracht war, Maria Theresia noch lange sich dagegen sträubte
und als sie, von Kaunitz gedrängt, endlich den Tractat unterschrieb,
die Feder mit der sie unterzeichnete, zornig wegwarf. Jeder Schüler
weiß, daß Preußen bei der ersten Theilung ein Siebentheil Po¬
lens, bei der zweiten ein Sechstheil, bei der dritten ein Viertheil
erhielt. Bei der zweiten Theilung ist Oesterreich sogar vollkommen
übergangen worden! Allerdings hat der gute liebe Freund, das
heilige Rußland, es 1815 so einzurichten gewußt, daß Preußen
kaum ein Dreizehntheil von Allem blieb. Aber mindert das die
gute Absicht bei der ersten und namentlich bei der zweiten und
dritten Theilung?

Wir wollen der preußischen Presse ein Beispiel geben, daß man
patriotisch gesinnt sein kann, ohne die Wahrheit zu verschweigen.
Nachdem wir die Unbilligkeit der erwähnten preußischen' Sei¬
tenhiebe aufgedeckt, wollen wir anderseits die Mißgriffe und die
Ungeschicklichkeit entschleiern, die österreichischer Seits bei den letzten
Ereignissen begangen wurden. Zuerst: warum war die Negierung
nicht besser unterrichtet von dem was in Galicien sich vorbereitete?
Die Geheimpolizei Oesterreichs frißt Summen genug, um die An¬
sprüche an sie machen zu können, daß sie bei so hochwichtigen Din¬
gen etwas mehr wissen sollte als sie wußte. Es wäre viel zweck¬
mäßiger, wenn die Geheimpolizei weniger aus die Hasen und Schne-
pfenjagd ginge, weniger dem Kleinwild nachspürte, weniger mit der
Verfolgung harmloser Schriftsteller und Correspondenzartikel sich
abgäbe und dafür mehr mit der Beobachtung wirklicher Staätsge-
fahren sich beschäftigte. Ein Wink den man den Verschwörern ge¬
geben hätte, daß man um ihre Pläne wisse, daß sie beobachtet und


mit einer Tartüffe-Miene die öffentliche Meinung gegen Oesterreich
jetzt und, wie eine Correspondenz der kölnischen Zeitung sogar ge¬
than, den patriotischen Schafspelz so hoch über die Ohren zieht,
daß sie behauptet, eigentlich sei Preußen ganz unschuldig an der
Theilung Polens, „es habe nur endlich nachgegeben als
die andern es gethan!" Dies heißt doch die öffentliche Mei¬
nung gar zu sehr als leichtgläubiges Kind behandeln und dem deut¬
schen Publicum eine Ignoranz zumuthen, die jeder Gymnasial¬
schüler Lügen strafen kann. Alle Welt weiß, daß, nachdem die
erste Theilung Polens zwischen Friedrich und Katharina ins Reine
gebracht war, Maria Theresia noch lange sich dagegen sträubte
und als sie, von Kaunitz gedrängt, endlich den Tractat unterschrieb,
die Feder mit der sie unterzeichnete, zornig wegwarf. Jeder Schüler
weiß, daß Preußen bei der ersten Theilung ein Siebentheil Po¬
lens, bei der zweiten ein Sechstheil, bei der dritten ein Viertheil
erhielt. Bei der zweiten Theilung ist Oesterreich sogar vollkommen
übergangen worden! Allerdings hat der gute liebe Freund, das
heilige Rußland, es 1815 so einzurichten gewußt, daß Preußen
kaum ein Dreizehntheil von Allem blieb. Aber mindert das die
gute Absicht bei der ersten und namentlich bei der zweiten und
dritten Theilung?

Wir wollen der preußischen Presse ein Beispiel geben, daß man
patriotisch gesinnt sein kann, ohne die Wahrheit zu verschweigen.
Nachdem wir die Unbilligkeit der erwähnten preußischen' Sei¬
tenhiebe aufgedeckt, wollen wir anderseits die Mißgriffe und die
Ungeschicklichkeit entschleiern, die österreichischer Seits bei den letzten
Ereignissen begangen wurden. Zuerst: warum war die Negierung
nicht besser unterrichtet von dem was in Galicien sich vorbereitete?
Die Geheimpolizei Oesterreichs frißt Summen genug, um die An¬
sprüche an sie machen zu können, daß sie bei so hochwichtigen Din¬
gen etwas mehr wissen sollte als sie wußte. Es wäre viel zweck¬
mäßiger, wenn die Geheimpolizei weniger aus die Hasen und Schne-
pfenjagd ginge, weniger dem Kleinwild nachspürte, weniger mit der
Verfolgung harmloser Schriftsteller und Correspondenzartikel sich
abgäbe und dafür mehr mit der Beobachtung wirklicher Staätsge-
fahren sich beschäftigte. Ein Wink den man den Verschwörern ge¬
geben hätte, daß man um ihre Pläne wisse, daß sie beobachtet und


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[0576] mit einer Tartüffe-Miene die öffentliche Meinung gegen Oesterreich jetzt und, wie eine Correspondenz der kölnischen Zeitung sogar ge¬ than, den patriotischen Schafspelz so hoch über die Ohren zieht, daß sie behauptet, eigentlich sei Preußen ganz unschuldig an der Theilung Polens, „es habe nur endlich nachgegeben als die andern es gethan!" Dies heißt doch die öffentliche Mei¬ nung gar zu sehr als leichtgläubiges Kind behandeln und dem deut¬ schen Publicum eine Ignoranz zumuthen, die jeder Gymnasial¬ schüler Lügen strafen kann. Alle Welt weiß, daß, nachdem die erste Theilung Polens zwischen Friedrich und Katharina ins Reine gebracht war, Maria Theresia noch lange sich dagegen sträubte und als sie, von Kaunitz gedrängt, endlich den Tractat unterschrieb, die Feder mit der sie unterzeichnete, zornig wegwarf. Jeder Schüler weiß, daß Preußen bei der ersten Theilung ein Siebentheil Po¬ lens, bei der zweiten ein Sechstheil, bei der dritten ein Viertheil erhielt. Bei der zweiten Theilung ist Oesterreich sogar vollkommen übergangen worden! Allerdings hat der gute liebe Freund, das heilige Rußland, es 1815 so einzurichten gewußt, daß Preußen kaum ein Dreizehntheil von Allem blieb. Aber mindert das die gute Absicht bei der ersten und namentlich bei der zweiten und dritten Theilung? Wir wollen der preußischen Presse ein Beispiel geben, daß man patriotisch gesinnt sein kann, ohne die Wahrheit zu verschweigen. Nachdem wir die Unbilligkeit der erwähnten preußischen' Sei¬ tenhiebe aufgedeckt, wollen wir anderseits die Mißgriffe und die Ungeschicklichkeit entschleiern, die österreichischer Seits bei den letzten Ereignissen begangen wurden. Zuerst: warum war die Negierung nicht besser unterrichtet von dem was in Galicien sich vorbereitete? Die Geheimpolizei Oesterreichs frißt Summen genug, um die An¬ sprüche an sie machen zu können, daß sie bei so hochwichtigen Din¬ gen etwas mehr wissen sollte als sie wußte. Es wäre viel zweck¬ mäßiger, wenn die Geheimpolizei weniger aus die Hasen und Schne- pfenjagd ginge, weniger dem Kleinwild nachspürte, weniger mit der Verfolgung harmloser Schriftsteller und Correspondenzartikel sich abgäbe und dafür mehr mit der Beobachtung wirklicher Staätsge- fahren sich beschäftigte. Ein Wink den man den Verschwörern ge¬ geben hätte, daß man um ihre Pläne wisse, daß sie beobachtet und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/576>, abgerufen am 02.09.2024.