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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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und in der Verachtung alles Heimischen und Deutschen auferzogen.
Das sind dann die deutschen Jungfrauen, die deutschen Haus¬
frauen! Dazu kömmt noch, daß die gebildeten, wohlmeinenden
Gouvernanten ihre französischen Lehrbücher mitbringen, und man kann
denken, wie die abgefaßt sind, zumal wenn sie Geographie und Ge¬
schichte betroffen. Ich las einmal solche zwei Lehrbücher durch; da
war Deutschland das rauhe, wilde, kalte Land des Nordens, daß ich
wahrend des Lesens einen sibirischen Schauer empfand, die Oder floß
in die Nordsee, der Rhein war ein ganz französischer Fluß, und im
Thüringer Walde lag ewiger Schnee; die Geschichte stellte alle deut¬
schen Helden als wahre Barbaren dar, und besonders in den fran¬
zösischen Kriegen spielten alle die schmählichste Rolle.

Ich will hier keine weiteren Consequenzen ziehen, auch meinen
Gegenstand nicht erschöpfend ausführen; dazu ist der Raum eines
Briefes zu beschränkt. . Nur Material will ich dem Leser liefern und
die Vordersatze, die Nachsätze wird er sich leicht finden und sich
vielleicht manche Erscheinung in der österreichischen Bildungswelt leichter
deuten können. -- So will ich, wie bei den Gouvernanten, mich
auch bei den Hofmeistern kurz fassen. Ich habe schon oben ange¬
deutet, wie schwer es sei, eben so viele pädagogische Talente zu finden,
als es Familien giebt, die sich einen Hofmeister halten wollen. Aber
gesetzt auch, es fände sich diese ganze ungeheure Zahl von Pesta-
lozzi's, Niemeyern und Salzmannern, der Ueb.isländ würde darum
nicht geringer, denn der Hofmeister ist Modesache geworden, und
wie man sich schöne Möbel, Reitpferde, Equipagen, Pariser Hüte ?c.
anschafft, so schafft man sich auch einen Hofmeister an. Brauche ich nun
noch zu sagen, auf welche Weise man bei der Wahl der Lehrer seiner
Kinder zu Werke geht? Von Grundsätzen ist da nicht die Rede,
sondern bloß von Geschmack oder zeitweiliger Hausgrille. Die eine
Dame liebt einen eleganten jungen Mann, der sich an der Seite ihrer
Kinder gut ausnimmt, die zweite einen guten Gesellschafter, den man
bei Soiröen und Dinöes gut verwenden kann, die dritte einen der
sie auf dem Fortepiano gut begleiten kann, die vierte einen der gut
declamirt, die fünfte einen Versemacher, denn sie beschützt Künste und
Wissenschaften u. s. w. Das Uebrige ist oft Nebensache. So
kömmt es häufig, daß die verlorensten Subjecte, deren sittlicher Gehalt
eben so wenig Zutrauen einflößt, als ihre Kenntnisse, nur weil sie ir¬
gend ein geselliges Talent besitzen, mit dem heiligen Amte des Kinder-
crziehens betraut werden. Allein das Uebel grassirt nicht nur in den
reichen und sogenannten obern Ständen, es hat sich auch schon auf
die untern ausgedehnt, und die tröstliche Erscheinung, daß aus den
armern und mittlern Klassen bedeutende Menschen oder würdige Bür¬
ger hervorgehen, fallt in Wien gänzlich weg. Man kennt den un¬
glückseligen Hang der Wiener zum Luxus und ihre afsische Nachah-


und in der Verachtung alles Heimischen und Deutschen auferzogen.
Das sind dann die deutschen Jungfrauen, die deutschen Haus¬
frauen! Dazu kömmt noch, daß die gebildeten, wohlmeinenden
Gouvernanten ihre französischen Lehrbücher mitbringen, und man kann
denken, wie die abgefaßt sind, zumal wenn sie Geographie und Ge¬
schichte betroffen. Ich las einmal solche zwei Lehrbücher durch; da
war Deutschland das rauhe, wilde, kalte Land des Nordens, daß ich
wahrend des Lesens einen sibirischen Schauer empfand, die Oder floß
in die Nordsee, der Rhein war ein ganz französischer Fluß, und im
Thüringer Walde lag ewiger Schnee; die Geschichte stellte alle deut¬
schen Helden als wahre Barbaren dar, und besonders in den fran¬
zösischen Kriegen spielten alle die schmählichste Rolle.

Ich will hier keine weiteren Consequenzen ziehen, auch meinen
Gegenstand nicht erschöpfend ausführen; dazu ist der Raum eines
Briefes zu beschränkt. . Nur Material will ich dem Leser liefern und
die Vordersatze, die Nachsätze wird er sich leicht finden und sich
vielleicht manche Erscheinung in der österreichischen Bildungswelt leichter
deuten können. — So will ich, wie bei den Gouvernanten, mich
auch bei den Hofmeistern kurz fassen. Ich habe schon oben ange¬
deutet, wie schwer es sei, eben so viele pädagogische Talente zu finden,
als es Familien giebt, die sich einen Hofmeister halten wollen. Aber
gesetzt auch, es fände sich diese ganze ungeheure Zahl von Pesta-
lozzi's, Niemeyern und Salzmannern, der Ueb.isländ würde darum
nicht geringer, denn der Hofmeister ist Modesache geworden, und
wie man sich schöne Möbel, Reitpferde, Equipagen, Pariser Hüte ?c.
anschafft, so schafft man sich auch einen Hofmeister an. Brauche ich nun
noch zu sagen, auf welche Weise man bei der Wahl der Lehrer seiner
Kinder zu Werke geht? Von Grundsätzen ist da nicht die Rede,
sondern bloß von Geschmack oder zeitweiliger Hausgrille. Die eine
Dame liebt einen eleganten jungen Mann, der sich an der Seite ihrer
Kinder gut ausnimmt, die zweite einen guten Gesellschafter, den man
bei Soiröen und Dinöes gut verwenden kann, die dritte einen der
sie auf dem Fortepiano gut begleiten kann, die vierte einen der gut
declamirt, die fünfte einen Versemacher, denn sie beschützt Künste und
Wissenschaften u. s. w. Das Uebrige ist oft Nebensache. So
kömmt es häufig, daß die verlorensten Subjecte, deren sittlicher Gehalt
eben so wenig Zutrauen einflößt, als ihre Kenntnisse, nur weil sie ir¬
gend ein geselliges Talent besitzen, mit dem heiligen Amte des Kinder-
crziehens betraut werden. Allein das Uebel grassirt nicht nur in den
reichen und sogenannten obern Ständen, es hat sich auch schon auf
die untern ausgedehnt, und die tröstliche Erscheinung, daß aus den
armern und mittlern Klassen bedeutende Menschen oder würdige Bür¬
ger hervorgehen, fallt in Wien gänzlich weg. Man kennt den un¬
glückseligen Hang der Wiener zum Luxus und ihre afsische Nachah-


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[0564] und in der Verachtung alles Heimischen und Deutschen auferzogen. Das sind dann die deutschen Jungfrauen, die deutschen Haus¬ frauen! Dazu kömmt noch, daß die gebildeten, wohlmeinenden Gouvernanten ihre französischen Lehrbücher mitbringen, und man kann denken, wie die abgefaßt sind, zumal wenn sie Geographie und Ge¬ schichte betroffen. Ich las einmal solche zwei Lehrbücher durch; da war Deutschland das rauhe, wilde, kalte Land des Nordens, daß ich wahrend des Lesens einen sibirischen Schauer empfand, die Oder floß in die Nordsee, der Rhein war ein ganz französischer Fluß, und im Thüringer Walde lag ewiger Schnee; die Geschichte stellte alle deut¬ schen Helden als wahre Barbaren dar, und besonders in den fran¬ zösischen Kriegen spielten alle die schmählichste Rolle. Ich will hier keine weiteren Consequenzen ziehen, auch meinen Gegenstand nicht erschöpfend ausführen; dazu ist der Raum eines Briefes zu beschränkt. . Nur Material will ich dem Leser liefern und die Vordersatze, die Nachsätze wird er sich leicht finden und sich vielleicht manche Erscheinung in der österreichischen Bildungswelt leichter deuten können. — So will ich, wie bei den Gouvernanten, mich auch bei den Hofmeistern kurz fassen. Ich habe schon oben ange¬ deutet, wie schwer es sei, eben so viele pädagogische Talente zu finden, als es Familien giebt, die sich einen Hofmeister halten wollen. Aber gesetzt auch, es fände sich diese ganze ungeheure Zahl von Pesta- lozzi's, Niemeyern und Salzmannern, der Ueb.isländ würde darum nicht geringer, denn der Hofmeister ist Modesache geworden, und wie man sich schöne Möbel, Reitpferde, Equipagen, Pariser Hüte ?c. anschafft, so schafft man sich auch einen Hofmeister an. Brauche ich nun noch zu sagen, auf welche Weise man bei der Wahl der Lehrer seiner Kinder zu Werke geht? Von Grundsätzen ist da nicht die Rede, sondern bloß von Geschmack oder zeitweiliger Hausgrille. Die eine Dame liebt einen eleganten jungen Mann, der sich an der Seite ihrer Kinder gut ausnimmt, die zweite einen guten Gesellschafter, den man bei Soiröen und Dinöes gut verwenden kann, die dritte einen der sie auf dem Fortepiano gut begleiten kann, die vierte einen der gut declamirt, die fünfte einen Versemacher, denn sie beschützt Künste und Wissenschaften u. s. w. Das Uebrige ist oft Nebensache. So kömmt es häufig, daß die verlorensten Subjecte, deren sittlicher Gehalt eben so wenig Zutrauen einflößt, als ihre Kenntnisse, nur weil sie ir¬ gend ein geselliges Talent besitzen, mit dem heiligen Amte des Kinder- crziehens betraut werden. Allein das Uebel grassirt nicht nur in den reichen und sogenannten obern Ständen, es hat sich auch schon auf die untern ausgedehnt, und die tröstliche Erscheinung, daß aus den armern und mittlern Klassen bedeutende Menschen oder würdige Bür¬ ger hervorgehen, fallt in Wien gänzlich weg. Man kennt den un¬ glückseligen Hang der Wiener zum Luxus und ihre afsische Nachah-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/564>, abgerufen am 27.07.2024.