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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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nen Hofmeister; jede Mutter, die einst ohne Beschämung ihre Tochter
in die Welt einführen will, sorgt, daß sie für dieselbe schon in ihrem
zartesten Alter eine Französin finde, welcher sie sie mit Leib und Seele
übergiebt. Welche Uebelstände daraus für die weibliche Jugend so¬
wohl, als für die männliche entspringen, ist selbstredend. Unmög¬
lich kann man so viele gltte und wahrhaft gebildete Pädagogen auf-
treiben, als es in dem wohlhabenden Oesterreich vermögende Familien
giebt; unmöglich kann unter dem Schwarm hergelaufener Französinnen
eine prüfende, vorsichtige Wahl stattfinden. -- Sprechen wir erst von
dielen letzteren, von den Gouvernanten. Wer jemals Gelegenheit
hatte, in Wiener Häusern einige von diesen französischen Lehrerinnen
kennen zu lernen, hat sich überzeugt, daß die crasseste Ignoranz bei
ihnen die Regel, sehr bescheidenes Wissen hingegen die Ausnahme
ist. Wie kann es auch anders sein? In ihrer Heimath nehmen
diese Madchen nicht selten den einfachen Rang von Putzmacherinnen
und wenn es hoch kommt, von Kammerjungfern ein; ich selbst habe
manche kennen gelernt, welche die zweideutigste Vergangenheit hatten,
und nur darum in die Fremde gingen, weil sie sich Alters halber oder
wegen Unannehmlichkeiten der häßlichsten Art in der Heimat nichl
länger halten konnten. Von diesen sollen dann deutsche Jungfrauen
Ehrsamkeit, Sitte und Anstand lernen! Man kennt die Schwachheit
deutscher Frauen, daß sie stets französischer, als die Franzosen sind;
so halten sie denn ihre Kinder mit größter Strenge dazu an, ihren
Lehrerinnen jede Bewegung, jede Ausdrucksweise abzulernen und so
erhalten die armen Mädchen eine französische Erziehung, die in Frank¬
reich selbst als ein "Iiorreur" gelten würde. Aber selbst der nächste
Zweck, die französische Sprache, wird bei diesen Lehrerinnen verfehlt;
gewöhnlich sind sie Schweizerinnen, oder Französinnen aus den nie¬
drigsten Volksklassen, die eben mit keiner andern Kenntniß, als mit
ihrer Sprache, die sie in den Gassen erlernt, ausgerüstet. Nun weiß
j.-der der nur einmal in Frankreich war, welch ein Unterschied zwi¬
schen der Sprache der gebildeten Pariser Salons und der Sprache in
den Gassen von Paris, oder in den Departements, oder in den fran-
zösichen Cantonen der Schweiz. So kömmt es, daß wohlerzogene
deutsche Jungfrauen, wenn sie später ihre Hochzeitsreise nach Paris
machen und in einen Salon eingeführt werden, nicht bemerken, wie
man über manchen ihrer Ausdrücke lächelt, wohl auch erröthet. --
So wächst das Kind heran, fühlt schon mit zehn Jahren eine tiefe
Verachtung für ihre plumpe Muttersprache und kann mit zwanzig
Jahren noch kein französisches Briefchen orthographisch schreiben. Von
wem hatte sie es lernen sollen? wagt es doch ihre Lehrerin selbst nicht,
etwas Dictirtes ohne das Buch vor Augen auszubessern. Ist das
Buch zufälliger Weise aus den Zeiten Montaigne's, bekommt das
Kind einen Klapps, weil es 6et" ohne s geschrieben; am andern Tage


nen Hofmeister; jede Mutter, die einst ohne Beschämung ihre Tochter
in die Welt einführen will, sorgt, daß sie für dieselbe schon in ihrem
zartesten Alter eine Französin finde, welcher sie sie mit Leib und Seele
übergiebt. Welche Uebelstände daraus für die weibliche Jugend so¬
wohl, als für die männliche entspringen, ist selbstredend. Unmög¬
lich kann man so viele gltte und wahrhaft gebildete Pädagogen auf-
treiben, als es in dem wohlhabenden Oesterreich vermögende Familien
giebt; unmöglich kann unter dem Schwarm hergelaufener Französinnen
eine prüfende, vorsichtige Wahl stattfinden. — Sprechen wir erst von
dielen letzteren, von den Gouvernanten. Wer jemals Gelegenheit
hatte, in Wiener Häusern einige von diesen französischen Lehrerinnen
kennen zu lernen, hat sich überzeugt, daß die crasseste Ignoranz bei
ihnen die Regel, sehr bescheidenes Wissen hingegen die Ausnahme
ist. Wie kann es auch anders sein? In ihrer Heimath nehmen
diese Madchen nicht selten den einfachen Rang von Putzmacherinnen
und wenn es hoch kommt, von Kammerjungfern ein; ich selbst habe
manche kennen gelernt, welche die zweideutigste Vergangenheit hatten,
und nur darum in die Fremde gingen, weil sie sich Alters halber oder
wegen Unannehmlichkeiten der häßlichsten Art in der Heimat nichl
länger halten konnten. Von diesen sollen dann deutsche Jungfrauen
Ehrsamkeit, Sitte und Anstand lernen! Man kennt die Schwachheit
deutscher Frauen, daß sie stets französischer, als die Franzosen sind;
so halten sie denn ihre Kinder mit größter Strenge dazu an, ihren
Lehrerinnen jede Bewegung, jede Ausdrucksweise abzulernen und so
erhalten die armen Mädchen eine französische Erziehung, die in Frank¬
reich selbst als ein „Iiorreur" gelten würde. Aber selbst der nächste
Zweck, die französische Sprache, wird bei diesen Lehrerinnen verfehlt;
gewöhnlich sind sie Schweizerinnen, oder Französinnen aus den nie¬
drigsten Volksklassen, die eben mit keiner andern Kenntniß, als mit
ihrer Sprache, die sie in den Gassen erlernt, ausgerüstet. Nun weiß
j.-der der nur einmal in Frankreich war, welch ein Unterschied zwi¬
schen der Sprache der gebildeten Pariser Salons und der Sprache in
den Gassen von Paris, oder in den Departements, oder in den fran-
zösichen Cantonen der Schweiz. So kömmt es, daß wohlerzogene
deutsche Jungfrauen, wenn sie später ihre Hochzeitsreise nach Paris
machen und in einen Salon eingeführt werden, nicht bemerken, wie
man über manchen ihrer Ausdrücke lächelt, wohl auch erröthet. —
So wächst das Kind heran, fühlt schon mit zehn Jahren eine tiefe
Verachtung für ihre plumpe Muttersprache und kann mit zwanzig
Jahren noch kein französisches Briefchen orthographisch schreiben. Von
wem hatte sie es lernen sollen? wagt es doch ihre Lehrerin selbst nicht,
etwas Dictirtes ohne das Buch vor Augen auszubessern. Ist das
Buch zufälliger Weise aus den Zeiten Montaigne's, bekommt das
Kind einen Klapps, weil es 6et» ohne s geschrieben; am andern Tage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/562>, abgerufen am 23.12.2024.