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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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polnischen Flüchtlinge sind, die allerdings sämmtlich zur sogenannten
Propaganda gehören mögen. Indessen ist man in Berlin, Leipzig und
Wien durch die Nähe des Schauplatzes wahrscheinlich besser unter¬
richtet. Die belqischen und französischen Blatter schöpfen, wie ge¬
wöhnlich, ihre Berichte erst aus deutschen Journalen und von diesen
selbst kommen nur wenige nach Belgien. Man muß im Esiaminct
oder im Kaffeehause die zitternde Hast beobachten, mit der gewöhnlich
zwei, drei polnische Gaste über die Kölnische Zeitung herfallen, die sie
oft mühsam buchstabiren -- denn die meisten verstehen nur halb das
Deutsche -- einander vorlesen und übersetzen. Die Zeitungslectüre,
Andern ein harmloser Zeitvertreib beim Kaffee und der duftenden
Cigarre, ihnen ist sie eine fieberheiße Beschäftigung. Wie viel schlaf¬
lose Nächte, wie viel ängstliche Träume sind in diesen blassen, durch¬
furchten Gesichtern verzeichnet. Noch melancholischer ist es anzusehen,
wenn sie manchmal, mit tiefen Verbeugungen, zu einem oder dem
andern Zeitungsleser treten und fragen, ob man nichts aus Polen
wisse, ob man nicht gehört habe, wie es ihren Landsleuten geht;
denn die briefliche Verbindung mit dem Osten scheint ihnen sehr er¬
schwert oder ganz verkümmert zu sein.

Es ist erfreulich, daß die deutsche Presse allmälig die verleum¬
derischen und monströsen Gerüchte über das Benehmen der Polen zu
widerrufen beginnt, welche sie anfangs nur zu leichtgläubig aufzu¬
nehmen und nur zu böswillig zu verbreiten sich beeilte. Bald sollte
es im Plane gewesen sein, in Posen eine Art sicilische Vesper gegen
die Deutschen zu veranstalten, bald fand man bei einem verhafteten
Polen in Berlin zwölf Pfund Arsenik, vermuthlich um die Spree zu
vergiften, und was dergleichen Unsinn mehr ist. Noch jetzt, nachdem
die Haltung der Krakauer Rebellen gegen die Preußen jene Verleum¬
dungen Lügen gestraft hat, gefallen sich manche Blätter darin, alles
was polnisch ist, ins Blaue hinein zu denunciren. Man mag den
Polen Leichtsinn und Tollkühnheit vorwerfen; ein seltenes, ritterliches
Ehrgefühl hat man ihnen noch niemals abstreiten können. Manche
Zeitungen glauben sehr loyal zu sein, wenn sie einen unbedingten
Abscheu vor dem sarmatischen Wesen heucheln und den Deutschen
überhaupt blinden Polenhaß andichten. Man soll es aber nicht läug-
nen, vielmehr jederzeit laut aussprechen, daß Polen beim deutschen
Volke die lebendigsten Sympathien besitzt und daß man die Hoffnung
nicht ganz aufgeben kann, die deutschen Großmächte würden einst an
eine Wiederherstellung Polens denken, sowohl im Interesse der deut¬
sch n Zukunft, wie um eine alte Schuld zu sühnen.

Im Vergleiche zu den tragischen Begebenheiten die jetzt die drei
Großmächte in Athem halten, kommen uns die hiesigen Zänkereien
und Ministerkrisen ziemlich kindisch und abgeschmackt vor. Belgien
hatte durch fünf Jahre einen Minister an der Spitze seiner Verwal-


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polnischen Flüchtlinge sind, die allerdings sämmtlich zur sogenannten
Propaganda gehören mögen. Indessen ist man in Berlin, Leipzig und
Wien durch die Nähe des Schauplatzes wahrscheinlich besser unter¬
richtet. Die belqischen und französischen Blatter schöpfen, wie ge¬
wöhnlich, ihre Berichte erst aus deutschen Journalen und von diesen
selbst kommen nur wenige nach Belgien. Man muß im Esiaminct
oder im Kaffeehause die zitternde Hast beobachten, mit der gewöhnlich
zwei, drei polnische Gaste über die Kölnische Zeitung herfallen, die sie
oft mühsam buchstabiren — denn die meisten verstehen nur halb das
Deutsche — einander vorlesen und übersetzen. Die Zeitungslectüre,
Andern ein harmloser Zeitvertreib beim Kaffee und der duftenden
Cigarre, ihnen ist sie eine fieberheiße Beschäftigung. Wie viel schlaf¬
lose Nächte, wie viel ängstliche Träume sind in diesen blassen, durch¬
furchten Gesichtern verzeichnet. Noch melancholischer ist es anzusehen,
wenn sie manchmal, mit tiefen Verbeugungen, zu einem oder dem
andern Zeitungsleser treten und fragen, ob man nichts aus Polen
wisse, ob man nicht gehört habe, wie es ihren Landsleuten geht;
denn die briefliche Verbindung mit dem Osten scheint ihnen sehr er¬
schwert oder ganz verkümmert zu sein.

Es ist erfreulich, daß die deutsche Presse allmälig die verleum¬
derischen und monströsen Gerüchte über das Benehmen der Polen zu
widerrufen beginnt, welche sie anfangs nur zu leichtgläubig aufzu¬
nehmen und nur zu böswillig zu verbreiten sich beeilte. Bald sollte
es im Plane gewesen sein, in Posen eine Art sicilische Vesper gegen
die Deutschen zu veranstalten, bald fand man bei einem verhafteten
Polen in Berlin zwölf Pfund Arsenik, vermuthlich um die Spree zu
vergiften, und was dergleichen Unsinn mehr ist. Noch jetzt, nachdem
die Haltung der Krakauer Rebellen gegen die Preußen jene Verleum¬
dungen Lügen gestraft hat, gefallen sich manche Blätter darin, alles
was polnisch ist, ins Blaue hinein zu denunciren. Man mag den
Polen Leichtsinn und Tollkühnheit vorwerfen; ein seltenes, ritterliches
Ehrgefühl hat man ihnen noch niemals abstreiten können. Manche
Zeitungen glauben sehr loyal zu sein, wenn sie einen unbedingten
Abscheu vor dem sarmatischen Wesen heucheln und den Deutschen
überhaupt blinden Polenhaß andichten. Man soll es aber nicht läug-
nen, vielmehr jederzeit laut aussprechen, daß Polen beim deutschen
Volke die lebendigsten Sympathien besitzt und daß man die Hoffnung
nicht ganz aufgeben kann, die deutschen Großmächte würden einst an
eine Wiederherstellung Polens denken, sowohl im Interesse der deut¬
sch n Zukunft, wie um eine alte Schuld zu sühnen.

Im Vergleiche zu den tragischen Begebenheiten die jetzt die drei
Großmächte in Athem halten, kommen uns die hiesigen Zänkereien
und Ministerkrisen ziemlich kindisch und abgeschmackt vor. Belgien
hatte durch fünf Jahre einen Minister an der Spitze seiner Verwal-


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[0559] polnischen Flüchtlinge sind, die allerdings sämmtlich zur sogenannten Propaganda gehören mögen. Indessen ist man in Berlin, Leipzig und Wien durch die Nähe des Schauplatzes wahrscheinlich besser unter¬ richtet. Die belqischen und französischen Blatter schöpfen, wie ge¬ wöhnlich, ihre Berichte erst aus deutschen Journalen und von diesen selbst kommen nur wenige nach Belgien. Man muß im Esiaminct oder im Kaffeehause die zitternde Hast beobachten, mit der gewöhnlich zwei, drei polnische Gaste über die Kölnische Zeitung herfallen, die sie oft mühsam buchstabiren — denn die meisten verstehen nur halb das Deutsche — einander vorlesen und übersetzen. Die Zeitungslectüre, Andern ein harmloser Zeitvertreib beim Kaffee und der duftenden Cigarre, ihnen ist sie eine fieberheiße Beschäftigung. Wie viel schlaf¬ lose Nächte, wie viel ängstliche Träume sind in diesen blassen, durch¬ furchten Gesichtern verzeichnet. Noch melancholischer ist es anzusehen, wenn sie manchmal, mit tiefen Verbeugungen, zu einem oder dem andern Zeitungsleser treten und fragen, ob man nichts aus Polen wisse, ob man nicht gehört habe, wie es ihren Landsleuten geht; denn die briefliche Verbindung mit dem Osten scheint ihnen sehr er¬ schwert oder ganz verkümmert zu sein. Es ist erfreulich, daß die deutsche Presse allmälig die verleum¬ derischen und monströsen Gerüchte über das Benehmen der Polen zu widerrufen beginnt, welche sie anfangs nur zu leichtgläubig aufzu¬ nehmen und nur zu böswillig zu verbreiten sich beeilte. Bald sollte es im Plane gewesen sein, in Posen eine Art sicilische Vesper gegen die Deutschen zu veranstalten, bald fand man bei einem verhafteten Polen in Berlin zwölf Pfund Arsenik, vermuthlich um die Spree zu vergiften, und was dergleichen Unsinn mehr ist. Noch jetzt, nachdem die Haltung der Krakauer Rebellen gegen die Preußen jene Verleum¬ dungen Lügen gestraft hat, gefallen sich manche Blätter darin, alles was polnisch ist, ins Blaue hinein zu denunciren. Man mag den Polen Leichtsinn und Tollkühnheit vorwerfen; ein seltenes, ritterliches Ehrgefühl hat man ihnen noch niemals abstreiten können. Manche Zeitungen glauben sehr loyal zu sein, wenn sie einen unbedingten Abscheu vor dem sarmatischen Wesen heucheln und den Deutschen überhaupt blinden Polenhaß andichten. Man soll es aber nicht läug- nen, vielmehr jederzeit laut aussprechen, daß Polen beim deutschen Volke die lebendigsten Sympathien besitzt und daß man die Hoffnung nicht ganz aufgeben kann, die deutschen Großmächte würden einst an eine Wiederherstellung Polens denken, sowohl im Interesse der deut¬ sch n Zukunft, wie um eine alte Schuld zu sühnen. Im Vergleiche zu den tragischen Begebenheiten die jetzt die drei Großmächte in Athem halten, kommen uns die hiesigen Zänkereien und Ministerkrisen ziemlich kindisch und abgeschmackt vor. Belgien hatte durch fünf Jahre einen Minister an der Spitze seiner Verwal- 70 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/559>, abgerufen am 28.07.2024.