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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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gelöscht sein; wie wird es nachher auf der Brandstätte aussehen!
Und das Peinlichste ist, daß man um der Polen selbst willen wün¬
schen muß, die Sache wäre schon vorüber, damit nicht zu viel Blur
unnützer Weise vergossen werde. Die verwitterten Sarmatengesichter,
die man dann und wann im Winkel eines Brüsseler Kaffeehausis
erblickt, sind eine Mahnung an das Loos, welches wieder Hunderten
jener sanguinischen Helden von Kcakau bevorsteht, und eine tragische
Illustration zu den tausenderlei widersprechenden Zeitungsnachrichten.
Scheu und geduckt gehen die hiesigen Polen umher, die Niederge¬
schlagenheit in ihren Mienen scheint ein Zeichen, daß die Emigration,
die bei den jährlichen Denkreden, am 29. November, es eben nicht an
muthigen Hoffnungsphrasen fehlen läßt, sich diesmal keine Illusionen
macht, vielmehr die unüberlegte Schilderhebung als ein nuevo-ixl "-v "t
ansieht. Vielleicht sind sie nur deshalb weniger sanguinisch, als sonst,
weil sie der polnischen Bevölkerung und ihren improvisieren Führern
nicht genug Erfahrung zutrauen, weil sie selbst ganz andere, etwas
phantastische Pläne haben und noch immer hoffen, daß eine aus-
wärtige Macht bei irgend einem nächsten Fciedensbruch (?) die Vete¬
ranen der Emigration an die Spitze der Bewegung stellen werde.
Ob diese Hoffnung nicht eitel, ist freilich sehr die Frage, aber jeden¬
falls kann man die Krakauer Revolution wie einen aus Versehen los-
gegangencn Schuß oder wie das Platzen einer Kanone betrachten,
deren Splitter unter den unvorsichtigen Artilleristen selbst am meisten
Verheerung anrichten werden.

Wie man hört, haben sich etwa ein H.Ubdutzend der Tollkühnsten
unter den Emigranten in Frankreich und Belgien, bei den ersten
Nachrichten von der polnischen Gährung, losgerissen und bis in's Posensche
durchgeschmuggelt, um, wie vorauszusehen war, der Festung in die
Arme zu laufen. Man weiß nicht, wen man mehr beklagen soll:
diese blinden Opfer ihrer Verwegenheit oder ihre zahlreichen Kamera¬
den, die ein trauriges Leben im Auslande geduldig weiter friste".
Geduld ist sonst keine polnische Tugend, aber die meisten jener Flücht¬
linge leiden trotz der kleinen Unterstützung, welche ihnen die belgische
Regierung zukommen läßt, an Nahrungssorgen, und die gemeine Noth
des Lebens, Jahre lang erduldet, lähmt endlich auch die chevalereske
Springkraft des sarmatischen Naturells, besonders bei Leuten, die von
Hause aus an ein flottes Offizier- und Junkerleben und am wenig¬
sten an mühsamen Erwerb gewöhnt sind. Das Elend der Verbannung
wird ihnen jetzt ein doppeltes, wo sie, zur Zuschaucrrolle verurtheilt,
von den Qualen der Ungewißheit und dem Bewußtsein der Ohnmacht
gefoltert, weder zu hoffen wagen, noch zu restgniren sich entschließen
können. Wenn man die deutschen Zeitungen liest, sollte man glau¬
ben, hier und in Paris müsse man über die ganze polnische Tragödie
su s"it sein und gleichsam hinter den Coulissen stehen, weil hier die


gelöscht sein; wie wird es nachher auf der Brandstätte aussehen!
Und das Peinlichste ist, daß man um der Polen selbst willen wün¬
schen muß, die Sache wäre schon vorüber, damit nicht zu viel Blur
unnützer Weise vergossen werde. Die verwitterten Sarmatengesichter,
die man dann und wann im Winkel eines Brüsseler Kaffeehausis
erblickt, sind eine Mahnung an das Loos, welches wieder Hunderten
jener sanguinischen Helden von Kcakau bevorsteht, und eine tragische
Illustration zu den tausenderlei widersprechenden Zeitungsnachrichten.
Scheu und geduckt gehen die hiesigen Polen umher, die Niederge¬
schlagenheit in ihren Mienen scheint ein Zeichen, daß die Emigration,
die bei den jährlichen Denkreden, am 29. November, es eben nicht an
muthigen Hoffnungsphrasen fehlen läßt, sich diesmal keine Illusionen
macht, vielmehr die unüberlegte Schilderhebung als ein nuevo-ixl «-v »t
ansieht. Vielleicht sind sie nur deshalb weniger sanguinisch, als sonst,
weil sie der polnischen Bevölkerung und ihren improvisieren Führern
nicht genug Erfahrung zutrauen, weil sie selbst ganz andere, etwas
phantastische Pläne haben und noch immer hoffen, daß eine aus-
wärtige Macht bei irgend einem nächsten Fciedensbruch (?) die Vete¬
ranen der Emigration an die Spitze der Bewegung stellen werde.
Ob diese Hoffnung nicht eitel, ist freilich sehr die Frage, aber jeden¬
falls kann man die Krakauer Revolution wie einen aus Versehen los-
gegangencn Schuß oder wie das Platzen einer Kanone betrachten,
deren Splitter unter den unvorsichtigen Artilleristen selbst am meisten
Verheerung anrichten werden.

Wie man hört, haben sich etwa ein H.Ubdutzend der Tollkühnsten
unter den Emigranten in Frankreich und Belgien, bei den ersten
Nachrichten von der polnischen Gährung, losgerissen und bis in's Posensche
durchgeschmuggelt, um, wie vorauszusehen war, der Festung in die
Arme zu laufen. Man weiß nicht, wen man mehr beklagen soll:
diese blinden Opfer ihrer Verwegenheit oder ihre zahlreichen Kamera¬
den, die ein trauriges Leben im Auslande geduldig weiter friste».
Geduld ist sonst keine polnische Tugend, aber die meisten jener Flücht¬
linge leiden trotz der kleinen Unterstützung, welche ihnen die belgische
Regierung zukommen läßt, an Nahrungssorgen, und die gemeine Noth
des Lebens, Jahre lang erduldet, lähmt endlich auch die chevalereske
Springkraft des sarmatischen Naturells, besonders bei Leuten, die von
Hause aus an ein flottes Offizier- und Junkerleben und am wenig¬
sten an mühsamen Erwerb gewöhnt sind. Das Elend der Verbannung
wird ihnen jetzt ein doppeltes, wo sie, zur Zuschaucrrolle verurtheilt,
von den Qualen der Ungewißheit und dem Bewußtsein der Ohnmacht
gefoltert, weder zu hoffen wagen, noch zu restgniren sich entschließen
können. Wenn man die deutschen Zeitungen liest, sollte man glau¬
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su s»it sein und gleichsam hinter den Coulissen stehen, weil hier die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/558>, abgerufen am 23.12.2024.