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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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gegen sich und Andere. Fürchten Sie nichts. Bis zur germanischen
Grobheit werden sie's bei aller Anstrengung doch nicht bringen; so
viel natürliche Anmuth ist ihnen schon angeboren, daß sie nicht leicht
aufhören können, ein vorzugsweise "liebenswürdiges" Volk zu sein.

Nicht ganz so liebenswürdig ist "I.- peupl"-"; so heißt nämlich
das neueste Werk von Herrn Michelet- Wäre Michelet ein heißköpsi-
gcr Spring'nsfeld, ein junger bonapartistischer Souslieutenant, so könnte
man sich die abgeschmackten Fanfaronaden in seiner letzten Schrift er¬
klaren. Aber Herr Michelet ist ein gesetzter Mann, ein Philister,
ein Professor, der sich nicht wenig auf seine krause Gelehrsamkeit und
seine orakulöse Gesichter schneidende Weisheit einbildet. Der ultra¬
nationale Veitstanz, die krähende Arroganz, die hochnäsige und nä¬
selnde Verachtung gegen das Stückchen Europa, welches zufallig nicht
zu Frankreich gehört, stehen dem Historiker Michelet doppelt pos¬
sierlich, und die hysterische Empfindsamkeit, mit der er abwechselnd von
sich, von Frankreich und von dem armen, verkannten Volke redet,
wird zuletzt widerlich. Es ist rührend anzusehen, wie der Professor
die "arme 5>>'nie"!" liebkost und streichelt, wie er sie, gleich einer ge¬
liebten Puppe, in seinen Armen tulit, wie er dem Dulder Frankreich
mit Tröstungen und Aufmunterungen zuspricht, die es gar nicht nö¬
thig hat und am wenigsten von ihm erwartet. Eine besondere Ma¬
rotte Michclets besteht darin, daß er sich steif und fest einbildet, das
Volk sei von den Romanschreibern und Genrcmalern verleumdet, und
er müsse nun den guten Ruf desselben wieder herstellen. In diesem
edeln Bemühen bringt er allerhand hübsche und wahre, obwohl nichts
weniger als neue Bemerkungen vor. Wir würden uns gern schmei¬
cheln, daß die Anerkennung des Guten, was ursprünglich im plmpl"
vorhanden ist, eben auf die Menschheit überhaupt, und daher so
gut auf das deutsche, englische oder italienische Volk anzuwenden sei,
wie auf das französische. Aber Gott bewahre! Solch ein Kosmopo¬
litismus wäre ja Verrath an Frankreich. Nach Herrn Michelet kann
dies Alles nur für das Volk in>r ^ists", pnvi? > nur für die Franzosen
gelten. In der That ist die Carricatur des Nationalgesühles noch von
Niemanden weiter getrieben worden, als von unserm Professor. Die
Franzosen sind ihm nicht blos ein auserwähltes Volk, sondern ein
heiliges Dogma, ein göttliches Princip, der incarnirte Messias der
Welt. Frankreich ist von jeher unfehlbar gewesen; es ist der Erbe
Roms. Seit Jules Cesar (!) und Eharlemagne hat man in Frank¬
reich das politische, religiöse, poetische und philosophische "Papst¬
thum" (p-ip-mu;) zu suchen. Wer's nicht glauben will, dem beweist
Michelet mit leicht hingeworfenen Phrasen, daß kein anderes Volk
einer harmonischen Cultur fähig, ja daß Deutschlands und Englands
Geschichte eitel Bruchstück sei, welches seine Ergänzung von Frank¬
reich erwarte. Ergötzlich ist das bombastische Bild am Schlüsse, worin


gegen sich und Andere. Fürchten Sie nichts. Bis zur germanischen
Grobheit werden sie's bei aller Anstrengung doch nicht bringen; so
viel natürliche Anmuth ist ihnen schon angeboren, daß sie nicht leicht
aufhören können, ein vorzugsweise „liebenswürdiges" Volk zu sein.

Nicht ganz so liebenswürdig ist „I.- peupl»-"; so heißt nämlich
das neueste Werk von Herrn Michelet- Wäre Michelet ein heißköpsi-
gcr Spring'nsfeld, ein junger bonapartistischer Souslieutenant, so könnte
man sich die abgeschmackten Fanfaronaden in seiner letzten Schrift er¬
klaren. Aber Herr Michelet ist ein gesetzter Mann, ein Philister,
ein Professor, der sich nicht wenig auf seine krause Gelehrsamkeit und
seine orakulöse Gesichter schneidende Weisheit einbildet. Der ultra¬
nationale Veitstanz, die krähende Arroganz, die hochnäsige und nä¬
selnde Verachtung gegen das Stückchen Europa, welches zufallig nicht
zu Frankreich gehört, stehen dem Historiker Michelet doppelt pos¬
sierlich, und die hysterische Empfindsamkeit, mit der er abwechselnd von
sich, von Frankreich und von dem armen, verkannten Volke redet,
wird zuletzt widerlich. Es ist rührend anzusehen, wie der Professor
die „arme 5>>'nie»!" liebkost und streichelt, wie er sie, gleich einer ge¬
liebten Puppe, in seinen Armen tulit, wie er dem Dulder Frankreich
mit Tröstungen und Aufmunterungen zuspricht, die es gar nicht nö¬
thig hat und am wenigsten von ihm erwartet. Eine besondere Ma¬
rotte Michclets besteht darin, daß er sich steif und fest einbildet, das
Volk sei von den Romanschreibern und Genrcmalern verleumdet, und
er müsse nun den guten Ruf desselben wieder herstellen. In diesem
edeln Bemühen bringt er allerhand hübsche und wahre, obwohl nichts
weniger als neue Bemerkungen vor. Wir würden uns gern schmei¬
cheln, daß die Anerkennung des Guten, was ursprünglich im plmpl»
vorhanden ist, eben auf die Menschheit überhaupt, und daher so
gut auf das deutsche, englische oder italienische Volk anzuwenden sei,
wie auf das französische. Aber Gott bewahre! Solch ein Kosmopo¬
litismus wäre ja Verrath an Frankreich. Nach Herrn Michelet kann
dies Alles nur für das Volk in>r ^ists«, pnvi? > nur für die Franzosen
gelten. In der That ist die Carricatur des Nationalgesühles noch von
Niemanden weiter getrieben worden, als von unserm Professor. Die
Franzosen sind ihm nicht blos ein auserwähltes Volk, sondern ein
heiliges Dogma, ein göttliches Princip, der incarnirte Messias der
Welt. Frankreich ist von jeher unfehlbar gewesen; es ist der Erbe
Roms. Seit Jules Cesar (!) und Eharlemagne hat man in Frank¬
reich das politische, religiöse, poetische und philosophische „Papst¬
thum" (p-ip-mu;) zu suchen. Wer's nicht glauben will, dem beweist
Michelet mit leicht hingeworfenen Phrasen, daß kein anderes Volk
einer harmonischen Cultur fähig, ja daß Deutschlands und Englands
Geschichte eitel Bruchstück sei, welches seine Ergänzung von Frank¬
reich erwarte. Ergötzlich ist das bombastische Bild am Schlüsse, worin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/552>, abgerufen am 23.12.2024.