Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bekannten fast nur auf specielle Einladungen bei sich zu sehen. Au¬
ßerdem ists auch nach Verhältniß nur ein ziemlich enger Kreis der
Männerwelt, welcher die Privatgesellschaften den tausendfach andern
mehr oder minder öffentlichen Vergnügungen der Stadt vorzieht.
Und besonders thaten bis in die neueste Zeit die geschlossenen Mau¬
rergesellschaften, die sogenannten Clubs oder Casinos, dein geselli¬
gen Familienleben großen Abbruch. Die Männer der Leipziger Ge¬
sellschaft sind dabei durchgängig eigentliche Geschäftsleute. Sie ar¬
beiten sich tagsüber müd im "Geschäft", und sind dann oftmals
nicht aufgelegt, am Abend die weißen Glaceehandschuh und den
schwarzen Frack anzuziehen, dabei aber die Cigarre und das be¬
queme Sichgehenlassen der öffentlichen Orte zu entbehren. Sie siz-
zen lieber in den raucherfüllten Zimmern der Clubs bis zum spä¬
ten Abend und opfern nicht gern einen Theil der Nachtruhe, um
dann am Morgen nicht ermüdet an das Tagewerk gehen zu müs¬
sen. Um es kurz zu sagen: man arbeitet zu emsig und zu regel¬
mäßig in Leipzig, als daß die Gesellschaft, die eigentliche Salon¬
oder Familiengesellschaft, zu einem wirklich einflußreichen Elemente
des hiesigen Lebens werden könnte.

Jene geschlossenen Maurergesellschaften sind dagegen in ande¬
rer Hinsicht nicht ohne Einfluß auf den Charakter der Leipziger Ge¬
sellschaft geblieben. Je mehr die Theilnahme am politischen und
öffentlichen Leben sich der Gemüther bemächtigte, desto mehr wurden
auch diese einzelnen geschlossenen Gesellschaften zu Vereinigungs¬
punkten von Männern gewissen Standes und gewisser Meinungen.
Es wäre sogar nicht schwer, dieselben nach ihren verschiedenen Ele¬
menten als Sammelpunkte gewisser Kreise, z. B. der Beamten und
akademischen Würdenträger, der ältern und vornehmern Kaufleute,
der jungen Generation, der Conservativen und Progressiven, der
Aristokraten und Humaner u. s. w. zu classtficiren. Und indem
nun hier vorzüglich die verheirateten Männer zusammenkommen,
ist es auch wohl erkärlich, wie sich gerade hier die nähern familien-
gesellschaftlichen Beziehungen einzelner Kreise zu einander entwickeln,
wie sich daraus gesellschaftliche Coterien hervorbilden. Diese schei¬
den sich dann sogar in den großen und allgemeinen Zusammenkünf¬
ten der Leipziger Gesellschaft nicht unmerklich. So lange als die
Politik noch nicht factisch in Leipzigs Leben eingedrungen war, so


Bekannten fast nur auf specielle Einladungen bei sich zu sehen. Au¬
ßerdem ists auch nach Verhältniß nur ein ziemlich enger Kreis der
Männerwelt, welcher die Privatgesellschaften den tausendfach andern
mehr oder minder öffentlichen Vergnügungen der Stadt vorzieht.
Und besonders thaten bis in die neueste Zeit die geschlossenen Mau¬
rergesellschaften, die sogenannten Clubs oder Casinos, dein geselli¬
gen Familienleben großen Abbruch. Die Männer der Leipziger Ge¬
sellschaft sind dabei durchgängig eigentliche Geschäftsleute. Sie ar¬
beiten sich tagsüber müd im „Geschäft", und sind dann oftmals
nicht aufgelegt, am Abend die weißen Glaceehandschuh und den
schwarzen Frack anzuziehen, dabei aber die Cigarre und das be¬
queme Sichgehenlassen der öffentlichen Orte zu entbehren. Sie siz-
zen lieber in den raucherfüllten Zimmern der Clubs bis zum spä¬
ten Abend und opfern nicht gern einen Theil der Nachtruhe, um
dann am Morgen nicht ermüdet an das Tagewerk gehen zu müs¬
sen. Um es kurz zu sagen: man arbeitet zu emsig und zu regel¬
mäßig in Leipzig, als daß die Gesellschaft, die eigentliche Salon¬
oder Familiengesellschaft, zu einem wirklich einflußreichen Elemente
des hiesigen Lebens werden könnte.

Jene geschlossenen Maurergesellschaften sind dagegen in ande¬
rer Hinsicht nicht ohne Einfluß auf den Charakter der Leipziger Ge¬
sellschaft geblieben. Je mehr die Theilnahme am politischen und
öffentlichen Leben sich der Gemüther bemächtigte, desto mehr wurden
auch diese einzelnen geschlossenen Gesellschaften zu Vereinigungs¬
punkten von Männern gewissen Standes und gewisser Meinungen.
Es wäre sogar nicht schwer, dieselben nach ihren verschiedenen Ele¬
menten als Sammelpunkte gewisser Kreise, z. B. der Beamten und
akademischen Würdenträger, der ältern und vornehmern Kaufleute,
der jungen Generation, der Conservativen und Progressiven, der
Aristokraten und Humaner u. s. w. zu classtficiren. Und indem
nun hier vorzüglich die verheirateten Männer zusammenkommen,
ist es auch wohl erkärlich, wie sich gerade hier die nähern familien-
gesellschaftlichen Beziehungen einzelner Kreise zu einander entwickeln,
wie sich daraus gesellschaftliche Coterien hervorbilden. Diese schei¬
den sich dann sogar in den großen und allgemeinen Zusammenkünf¬
ten der Leipziger Gesellschaft nicht unmerklich. So lange als die
Politik noch nicht factisch in Leipzigs Leben eingedrungen war, so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182354"/>
          <p xml:id="ID_1300" prev="#ID_1299"> Bekannten fast nur auf specielle Einladungen bei sich zu sehen. Au¬<lb/>
ßerdem ists auch nach Verhältniß nur ein ziemlich enger Kreis der<lb/>
Männerwelt, welcher die Privatgesellschaften den tausendfach andern<lb/>
mehr oder minder öffentlichen Vergnügungen der Stadt vorzieht.<lb/>
Und besonders thaten bis in die neueste Zeit die geschlossenen Mau¬<lb/>
rergesellschaften, die sogenannten Clubs oder Casinos, dein geselli¬<lb/>
gen Familienleben großen Abbruch. Die Männer der Leipziger Ge¬<lb/>
sellschaft sind dabei durchgängig eigentliche Geschäftsleute. Sie ar¬<lb/>
beiten sich tagsüber müd im &#x201E;Geschäft", und sind dann oftmals<lb/>
nicht aufgelegt, am Abend die weißen Glaceehandschuh und den<lb/>
schwarzen Frack anzuziehen, dabei aber die Cigarre und das be¬<lb/>
queme Sichgehenlassen der öffentlichen Orte zu entbehren. Sie siz-<lb/>
zen lieber in den raucherfüllten Zimmern der Clubs bis zum spä¬<lb/>
ten Abend und opfern nicht gern einen Theil der Nachtruhe, um<lb/>
dann am Morgen nicht ermüdet an das Tagewerk gehen zu müs¬<lb/>
sen. Um es kurz zu sagen: man arbeitet zu emsig und zu regel¬<lb/>
mäßig in Leipzig, als daß die Gesellschaft, die eigentliche Salon¬<lb/>
oder Familiengesellschaft, zu einem wirklich einflußreichen Elemente<lb/>
des hiesigen Lebens werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1301" next="#ID_1302"> Jene geschlossenen Maurergesellschaften sind dagegen in ande¬<lb/>
rer Hinsicht nicht ohne Einfluß auf den Charakter der Leipziger Ge¬<lb/>
sellschaft geblieben. Je mehr die Theilnahme am politischen und<lb/>
öffentlichen Leben sich der Gemüther bemächtigte, desto mehr wurden<lb/>
auch diese einzelnen geschlossenen Gesellschaften zu Vereinigungs¬<lb/>
punkten von Männern gewissen Standes und gewisser Meinungen.<lb/>
Es wäre sogar nicht schwer, dieselben nach ihren verschiedenen Ele¬<lb/>
menten als Sammelpunkte gewisser Kreise, z. B. der Beamten und<lb/>
akademischen Würdenträger, der ältern und vornehmern Kaufleute,<lb/>
der jungen Generation, der Conservativen und Progressiven, der<lb/>
Aristokraten und Humaner u. s. w. zu classtficiren. Und indem<lb/>
nun hier vorzüglich die verheirateten Männer zusammenkommen,<lb/>
ist es auch wohl erkärlich, wie sich gerade hier die nähern familien-<lb/>
gesellschaftlichen Beziehungen einzelner Kreise zu einander entwickeln,<lb/>
wie sich daraus gesellschaftliche Coterien hervorbilden. Diese schei¬<lb/>
den sich dann sogar in den großen und allgemeinen Zusammenkünf¬<lb/>
ten der Leipziger Gesellschaft nicht unmerklich. So lange als die<lb/>
Politik noch nicht factisch in Leipzigs Leben eingedrungen war, so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0544] Bekannten fast nur auf specielle Einladungen bei sich zu sehen. Au¬ ßerdem ists auch nach Verhältniß nur ein ziemlich enger Kreis der Männerwelt, welcher die Privatgesellschaften den tausendfach andern mehr oder minder öffentlichen Vergnügungen der Stadt vorzieht. Und besonders thaten bis in die neueste Zeit die geschlossenen Mau¬ rergesellschaften, die sogenannten Clubs oder Casinos, dein geselli¬ gen Familienleben großen Abbruch. Die Männer der Leipziger Ge¬ sellschaft sind dabei durchgängig eigentliche Geschäftsleute. Sie ar¬ beiten sich tagsüber müd im „Geschäft", und sind dann oftmals nicht aufgelegt, am Abend die weißen Glaceehandschuh und den schwarzen Frack anzuziehen, dabei aber die Cigarre und das be¬ queme Sichgehenlassen der öffentlichen Orte zu entbehren. Sie siz- zen lieber in den raucherfüllten Zimmern der Clubs bis zum spä¬ ten Abend und opfern nicht gern einen Theil der Nachtruhe, um dann am Morgen nicht ermüdet an das Tagewerk gehen zu müs¬ sen. Um es kurz zu sagen: man arbeitet zu emsig und zu regel¬ mäßig in Leipzig, als daß die Gesellschaft, die eigentliche Salon¬ oder Familiengesellschaft, zu einem wirklich einflußreichen Elemente des hiesigen Lebens werden könnte. Jene geschlossenen Maurergesellschaften sind dagegen in ande¬ rer Hinsicht nicht ohne Einfluß auf den Charakter der Leipziger Ge¬ sellschaft geblieben. Je mehr die Theilnahme am politischen und öffentlichen Leben sich der Gemüther bemächtigte, desto mehr wurden auch diese einzelnen geschlossenen Gesellschaften zu Vereinigungs¬ punkten von Männern gewissen Standes und gewisser Meinungen. Es wäre sogar nicht schwer, dieselben nach ihren verschiedenen Ele¬ menten als Sammelpunkte gewisser Kreise, z. B. der Beamten und akademischen Würdenträger, der ältern und vornehmern Kaufleute, der jungen Generation, der Conservativen und Progressiven, der Aristokraten und Humaner u. s. w. zu classtficiren. Und indem nun hier vorzüglich die verheirateten Männer zusammenkommen, ist es auch wohl erkärlich, wie sich gerade hier die nähern familien- gesellschaftlichen Beziehungen einzelner Kreise zu einander entwickeln, wie sich daraus gesellschaftliche Coterien hervorbilden. Diese schei¬ den sich dann sogar in den großen und allgemeinen Zusammenkünf¬ ten der Leipziger Gesellschaft nicht unmerklich. So lange als die Politik noch nicht factisch in Leipzigs Leben eingedrungen war, so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/544
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/544>, abgerufen am 02.09.2024.