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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ist nicht angegeben. Anderseits wird man, wo blos die Gestorbe¬
nen gezählt werden, oft versucht sein, auf eine Zunahme zu sah lie
ßer, wo eine wirkliche Abnahme stattgefunden hat. So könnte man,
wenn man sich blos auf Zahlen verläßt, behaupten, daß seit Ein¬
führung der Kuhpockenimpfung alle andern Krankheiten häufiger
geworden seien.

Der einzige Weg, durch die Todtenlisten zu einem genauen
Resultate zu gelangen, wäre der, die Zahl der Opfer des Kran¬
kenbettes mit der Anzahl jener Individuen zu vergleichen, die an
Altersschwäche gestorben sino. Man hat diesen Weg bereits ein¬
geschlagen, und er schien günstige Resultate zu geben, doch kann man
sich auf diese Untersuchungen nicht ganz verlassen, denn theils sind
die Tabellen dieser Art noch nicht zahlreich genug, theils kennt
man die großen Unrichtigkeiten, die sich nur zu oft noch bei den¬
selben einschleichen.

Wir glauben, zu den Krankheiten, deren Zunahme nur eine
scheinbare ist, gehören die Entzündungen jeder Art, die Congestio-
nen und die Schlagflüsse. Was die Lungenschwindsucht betrifft, so
läugnet James Clark, der die in London an der Lungenschwind¬
sucht von 1700 bis 1821 Gestorbenen gezählt hat, daß diese Krank¬
heit in unserem Jahrhundert häufiger sei als in frühern*), und in
andern Städten hat man sogar eine beträchtliche Abnahme dersel¬
ben bemerken können. In Stuttgart z. B. zählte man in den Jah¬
ren 1787 bis 1791 noch 772 an der Lungensucht Gestorbene; von
1792--1796 zählte man 675; von 1797 bis 1801 zählte man
5l6, und 475 von 1802 bis 1806, endlich 465 von 1807 bis
1818.*')

Was die Ne.venkrankheiten, mit Einschluß der Hppochonderie
und Hysterie, betrifft, so glaubt man zwar allgemein, sie seien in
unsern Tagen häufiger geworden, doch stützt sich diese Meinung
auf keinen strengen Beweis; Man behauptet sogar, sie hätten ab¬
genommen. Jedenfalls wird man zugeben müssen, daß jene Krank¬
heiten sich nirgendswo mehr unter neuen Gestalten erzeugen; und




") Fuchs, media. Statistik der Irrenhäuser und des Jrrscins; in Friedrich'
Neuem Magazin für Seelenheilkunde.
"*) Ueber die Lungenschwindsucht, übersetzt von Vetter. Leipzig, 1836.

ist nicht angegeben. Anderseits wird man, wo blos die Gestorbe¬
nen gezählt werden, oft versucht sein, auf eine Zunahme zu sah lie
ßer, wo eine wirkliche Abnahme stattgefunden hat. So könnte man,
wenn man sich blos auf Zahlen verläßt, behaupten, daß seit Ein¬
führung der Kuhpockenimpfung alle andern Krankheiten häufiger
geworden seien.

Der einzige Weg, durch die Todtenlisten zu einem genauen
Resultate zu gelangen, wäre der, die Zahl der Opfer des Kran¬
kenbettes mit der Anzahl jener Individuen zu vergleichen, die an
Altersschwäche gestorben sino. Man hat diesen Weg bereits ein¬
geschlagen, und er schien günstige Resultate zu geben, doch kann man
sich auf diese Untersuchungen nicht ganz verlassen, denn theils sind
die Tabellen dieser Art noch nicht zahlreich genug, theils kennt
man die großen Unrichtigkeiten, die sich nur zu oft noch bei den¬
selben einschleichen.

Wir glauben, zu den Krankheiten, deren Zunahme nur eine
scheinbare ist, gehören die Entzündungen jeder Art, die Congestio-
nen und die Schlagflüsse. Was die Lungenschwindsucht betrifft, so
läugnet James Clark, der die in London an der Lungenschwind¬
sucht von 1700 bis 1821 Gestorbenen gezählt hat, daß diese Krank¬
heit in unserem Jahrhundert häufiger sei als in frühern*), und in
andern Städten hat man sogar eine beträchtliche Abnahme dersel¬
ben bemerken können. In Stuttgart z. B. zählte man in den Jah¬
ren 1787 bis 1791 noch 772 an der Lungensucht Gestorbene; von
1792—1796 zählte man 675; von 1797 bis 1801 zählte man
5l6, und 475 von 1802 bis 1806, endlich 465 von 1807 bis
1818.*')

Was die Ne.venkrankheiten, mit Einschluß der Hppochonderie
und Hysterie, betrifft, so glaubt man zwar allgemein, sie seien in
unsern Tagen häufiger geworden, doch stützt sich diese Meinung
auf keinen strengen Beweis; Man behauptet sogar, sie hätten ab¬
genommen. Jedenfalls wird man zugeben müssen, daß jene Krank¬
heiten sich nirgendswo mehr unter neuen Gestalten erzeugen; und




») Fuchs, media. Statistik der Irrenhäuser und des Jrrscins; in Friedrich'
Neuem Magazin für Seelenheilkunde.
"*) Ueber die Lungenschwindsucht, übersetzt von Vetter. Leipzig, 1836.
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[0538] ist nicht angegeben. Anderseits wird man, wo blos die Gestorbe¬ nen gezählt werden, oft versucht sein, auf eine Zunahme zu sah lie ßer, wo eine wirkliche Abnahme stattgefunden hat. So könnte man, wenn man sich blos auf Zahlen verläßt, behaupten, daß seit Ein¬ führung der Kuhpockenimpfung alle andern Krankheiten häufiger geworden seien. Der einzige Weg, durch die Todtenlisten zu einem genauen Resultate zu gelangen, wäre der, die Zahl der Opfer des Kran¬ kenbettes mit der Anzahl jener Individuen zu vergleichen, die an Altersschwäche gestorben sino. Man hat diesen Weg bereits ein¬ geschlagen, und er schien günstige Resultate zu geben, doch kann man sich auf diese Untersuchungen nicht ganz verlassen, denn theils sind die Tabellen dieser Art noch nicht zahlreich genug, theils kennt man die großen Unrichtigkeiten, die sich nur zu oft noch bei den¬ selben einschleichen. Wir glauben, zu den Krankheiten, deren Zunahme nur eine scheinbare ist, gehören die Entzündungen jeder Art, die Congestio- nen und die Schlagflüsse. Was die Lungenschwindsucht betrifft, so läugnet James Clark, der die in London an der Lungenschwind¬ sucht von 1700 bis 1821 Gestorbenen gezählt hat, daß diese Krank¬ heit in unserem Jahrhundert häufiger sei als in frühern*), und in andern Städten hat man sogar eine beträchtliche Abnahme dersel¬ ben bemerken können. In Stuttgart z. B. zählte man in den Jah¬ ren 1787 bis 1791 noch 772 an der Lungensucht Gestorbene; von 1792—1796 zählte man 675; von 1797 bis 1801 zählte man 5l6, und 475 von 1802 bis 1806, endlich 465 von 1807 bis 1818.*') Was die Ne.venkrankheiten, mit Einschluß der Hppochonderie und Hysterie, betrifft, so glaubt man zwar allgemein, sie seien in unsern Tagen häufiger geworden, doch stützt sich diese Meinung auf keinen strengen Beweis; Man behauptet sogar, sie hätten ab¬ genommen. Jedenfalls wird man zugeben müssen, daß jene Krank¬ heiten sich nirgendswo mehr unter neuen Gestalten erzeugen; und ») Fuchs, media. Statistik der Irrenhäuser und des Jrrscins; in Friedrich' Neuem Magazin für Seelenheilkunde. "*) Ueber die Lungenschwindsucht, übersetzt von Vetter. Leipzig, 1836.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/538>, abgerufen am 02.09.2024.