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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Anspruch nahm, als vordem erforderlich gewesen, wo man mit einer
genauen Kenntniß der Gesetzbücher und juristischen Gewohnheiten, etwas
patriotischer Belesenheit in der Geschichte der Vorzeit und mit einem
guten Vorrath feuriger Redewendungen eine glänzende Rolle spielen und
für einen ausgezeichneten Politiker gelten konnte. Mit dem Auftauchen
der Handels-und Jndustriefragen wurden diese mit Sorgfalt geputzten und
deshalb im parlamentarischen Strauß so imponirend blinkenden Waf¬
fen auf einmal unbrauchbar, und wenn man sie gleichwohl anwenden
wollte, so hatten sie keine Schärfe, und der Held wurde blos lächerlich.
Man kann sich den Ingrimm und die Verzweiflung denken, welche
die Feldherren der Opposition überwältigten, als sie endlich gewahr
wurden, daß es mit ihrer Unüberwindlichkeit vorbei sei; so muß es
den Rittern des Mittelalters zu Muthe gewesen sein, als die tödtli-
chen Bleikugeln der Hakenschützen ihre Glieder trotz Harnisch und
Panzerhemd gar kläglich zerschmetterten, so würde es ohne Zweifel ei¬
nem kühnen Bergvolke ergehen, das man plötzlich aus den Verschan¬
zungen seiner Gebirgswelt in die Ebene eines flachen Wahlplatzes ver¬
setzte, in der keine seiner angelernten taktischen Maßregeln anwendbar
ist. Umsonst hatten die magyarischen Patrioten zwölf Jahre ihrer
schönsten Jugendzeit dem Studium des ungarischen Staatsrechtes und
den Codices geopfert, umsonst die Reden des Cicero und jene eines
Mirabeau und Pitt als Musterbilder analnsirt und benutzt, jetzt trat
ihnen bei jeder tönenden Phrase, bei jeder schlagenden Gesetzesstelle, die
früher das Schicksal der Debatte entschieden hatte, irgend ein unge¬
lehrter Cameralist oder prunkloser Kaufmann mit Beweisstücken ent¬
gegen, deren Natur sie zu wenig kannten, um die etwaigen Mangel
derselben eben so schnell und siegreich zutreffen wie früher, wo es sich
um juristische Erörterungen gehandelt. Die Jurisprudenz wurde durch
die Cameralistik aus dem Felde geschlagen.

Daß dieser Sieg der Ziffer über den Paragraphen kein bleiben¬
der und nachhaltiger sein kann und wird, ist einleuchtend; sobald sich
die Kräfte der Gegner wieder mehr ins Gleichgewicht gesetzt haben,
geht die Schlacht von neuem los, und dann wird es sich zeigen, auf
welcher Seite die Sympathien der Landes sind. Peter der Große
dankte für die Niederlagen seines Heeres durch die von Karl XII. be¬
fehligten Schweden, denn durch die Verlornen Schlachten lernten die
Russen Schlachten gewinnen, und so wird denn auch die ungarische
Oppositionspartei nach einigen Lehrjahren ihr Narwa finden.

Ein weiterer Grund des momentanen Übergewichtes der Regie¬
rungsparteiliegt in der veränderten Stellung der beiden Parteien zu den
industriellen Tagesfragen, deren glückliche Erledigung hauptsächlich von
dem guten Willen des Adels und von seiner Bereitwilligkeit dem Pri¬
vilegium der Steuerfreiheit freiwillig zu entsagen, das wie ein böser
Alp auf dem Herzen des Landes lastet, abhängt. Somit tritt die Regie-


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Anspruch nahm, als vordem erforderlich gewesen, wo man mit einer
genauen Kenntniß der Gesetzbücher und juristischen Gewohnheiten, etwas
patriotischer Belesenheit in der Geschichte der Vorzeit und mit einem
guten Vorrath feuriger Redewendungen eine glänzende Rolle spielen und
für einen ausgezeichneten Politiker gelten konnte. Mit dem Auftauchen
der Handels-und Jndustriefragen wurden diese mit Sorgfalt geputzten und
deshalb im parlamentarischen Strauß so imponirend blinkenden Waf¬
fen auf einmal unbrauchbar, und wenn man sie gleichwohl anwenden
wollte, so hatten sie keine Schärfe, und der Held wurde blos lächerlich.
Man kann sich den Ingrimm und die Verzweiflung denken, welche
die Feldherren der Opposition überwältigten, als sie endlich gewahr
wurden, daß es mit ihrer Unüberwindlichkeit vorbei sei; so muß es
den Rittern des Mittelalters zu Muthe gewesen sein, als die tödtli-
chen Bleikugeln der Hakenschützen ihre Glieder trotz Harnisch und
Panzerhemd gar kläglich zerschmetterten, so würde es ohne Zweifel ei¬
nem kühnen Bergvolke ergehen, das man plötzlich aus den Verschan¬
zungen seiner Gebirgswelt in die Ebene eines flachen Wahlplatzes ver¬
setzte, in der keine seiner angelernten taktischen Maßregeln anwendbar
ist. Umsonst hatten die magyarischen Patrioten zwölf Jahre ihrer
schönsten Jugendzeit dem Studium des ungarischen Staatsrechtes und
den Codices geopfert, umsonst die Reden des Cicero und jene eines
Mirabeau und Pitt als Musterbilder analnsirt und benutzt, jetzt trat
ihnen bei jeder tönenden Phrase, bei jeder schlagenden Gesetzesstelle, die
früher das Schicksal der Debatte entschieden hatte, irgend ein unge¬
lehrter Cameralist oder prunkloser Kaufmann mit Beweisstücken ent¬
gegen, deren Natur sie zu wenig kannten, um die etwaigen Mangel
derselben eben so schnell und siegreich zutreffen wie früher, wo es sich
um juristische Erörterungen gehandelt. Die Jurisprudenz wurde durch
die Cameralistik aus dem Felde geschlagen.

Daß dieser Sieg der Ziffer über den Paragraphen kein bleiben¬
der und nachhaltiger sein kann und wird, ist einleuchtend; sobald sich
die Kräfte der Gegner wieder mehr ins Gleichgewicht gesetzt haben,
geht die Schlacht von neuem los, und dann wird es sich zeigen, auf
welcher Seite die Sympathien der Landes sind. Peter der Große
dankte für die Niederlagen seines Heeres durch die von Karl XII. be¬
fehligten Schweden, denn durch die Verlornen Schlachten lernten die
Russen Schlachten gewinnen, und so wird denn auch die ungarische
Oppositionspartei nach einigen Lehrjahren ihr Narwa finden.

Ein weiterer Grund des momentanen Übergewichtes der Regie¬
rungsparteiliegt in der veränderten Stellung der beiden Parteien zu den
industriellen Tagesfragen, deren glückliche Erledigung hauptsächlich von
dem guten Willen des Adels und von seiner Bereitwilligkeit dem Pri¬
vilegium der Steuerfreiheit freiwillig zu entsagen, das wie ein böser
Alp auf dem Herzen des Landes lastet, abhängt. Somit tritt die Regie-


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[0515] Anspruch nahm, als vordem erforderlich gewesen, wo man mit einer genauen Kenntniß der Gesetzbücher und juristischen Gewohnheiten, etwas patriotischer Belesenheit in der Geschichte der Vorzeit und mit einem guten Vorrath feuriger Redewendungen eine glänzende Rolle spielen und für einen ausgezeichneten Politiker gelten konnte. Mit dem Auftauchen der Handels-und Jndustriefragen wurden diese mit Sorgfalt geputzten und deshalb im parlamentarischen Strauß so imponirend blinkenden Waf¬ fen auf einmal unbrauchbar, und wenn man sie gleichwohl anwenden wollte, so hatten sie keine Schärfe, und der Held wurde blos lächerlich. Man kann sich den Ingrimm und die Verzweiflung denken, welche die Feldherren der Opposition überwältigten, als sie endlich gewahr wurden, daß es mit ihrer Unüberwindlichkeit vorbei sei; so muß es den Rittern des Mittelalters zu Muthe gewesen sein, als die tödtli- chen Bleikugeln der Hakenschützen ihre Glieder trotz Harnisch und Panzerhemd gar kläglich zerschmetterten, so würde es ohne Zweifel ei¬ nem kühnen Bergvolke ergehen, das man plötzlich aus den Verschan¬ zungen seiner Gebirgswelt in die Ebene eines flachen Wahlplatzes ver¬ setzte, in der keine seiner angelernten taktischen Maßregeln anwendbar ist. Umsonst hatten die magyarischen Patrioten zwölf Jahre ihrer schönsten Jugendzeit dem Studium des ungarischen Staatsrechtes und den Codices geopfert, umsonst die Reden des Cicero und jene eines Mirabeau und Pitt als Musterbilder analnsirt und benutzt, jetzt trat ihnen bei jeder tönenden Phrase, bei jeder schlagenden Gesetzesstelle, die früher das Schicksal der Debatte entschieden hatte, irgend ein unge¬ lehrter Cameralist oder prunkloser Kaufmann mit Beweisstücken ent¬ gegen, deren Natur sie zu wenig kannten, um die etwaigen Mangel derselben eben so schnell und siegreich zutreffen wie früher, wo es sich um juristische Erörterungen gehandelt. Die Jurisprudenz wurde durch die Cameralistik aus dem Felde geschlagen. Daß dieser Sieg der Ziffer über den Paragraphen kein bleiben¬ der und nachhaltiger sein kann und wird, ist einleuchtend; sobald sich die Kräfte der Gegner wieder mehr ins Gleichgewicht gesetzt haben, geht die Schlacht von neuem los, und dann wird es sich zeigen, auf welcher Seite die Sympathien der Landes sind. Peter der Große dankte für die Niederlagen seines Heeres durch die von Karl XII. be¬ fehligten Schweden, denn durch die Verlornen Schlachten lernten die Russen Schlachten gewinnen, und so wird denn auch die ungarische Oppositionspartei nach einigen Lehrjahren ihr Narwa finden. Ein weiterer Grund des momentanen Übergewichtes der Regie¬ rungsparteiliegt in der veränderten Stellung der beiden Parteien zu den industriellen Tagesfragen, deren glückliche Erledigung hauptsächlich von dem guten Willen des Adels und von seiner Bereitwilligkeit dem Pri¬ vilegium der Steuerfreiheit freiwillig zu entsagen, das wie ein böser Alp auf dem Herzen des Landes lastet, abhängt. Somit tritt die Regie- 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/515>, abgerufen am 01.09.2024.