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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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fen, sie zu protegiren und zu fördern. Man kann sich so leicht
ein wissenschaftliches Ansehen geben, ohne viel Zeit aufzuwenden
oder über Büchern blaß zu werden; sie hat ja noch keine Annalen und
setzt geringe Gelehrsamkeit voraus." Dazu kommen noch die vor¬
gefaßten Meinungen und die Schwierigkeit der Controle: "Man
kann heutzutage mit der Statistik so ziemlich alles beweisen waS
man will." Zur napoleonischen Zeit bewies man in Frankreich
durch Zahlen, daß große Kriege die Bevölkerung vermehren! Das
war nun freilich einfache grobe Lüge, die den Werth der Statistik
nicht herabsetzen kann. Wenn die Schmeichler Napoleons wissent¬
lich falsch zählten, so thun es aber Andere ohne es zu wissen. Die
gewöhnliche Volkszählung, die Sterblichkeit und GeburtSlisten wim¬
meln oft von crasser Fehlern. Sehr häufig ist daran die Unkennt-
niß irgend einer Landessitte und Eigenthümlichkeit schuld. Mr.
Sarauw bewies durch officiele Zahlen, daß auf einer der dänischen
Antillen, Se. Croir, einer Insel, die er bewohnt hatte, die Sterb¬
lichkeit unter den Negersklaven geringer sei als unter den Weißen,
selbst in Europa. Wie leicht hätte nun ein Pflanzer darauf hin
beweisen können, daß die Negersklaverei ein philanthropisches Institut
sei! Aber Mr. Sarauw hatte nicht gewußt, daß die Negerkinder
unter einem Jahre gar nicht in die Geburth- und Tvdtenlisten kom¬
men. Eben so kann man sich auf die englischen Tvdtenlisten nicht
verlassen, weil die Einschreibung dort nicht, wie in Frankreich,
streng vorgeschrieben ist. Dagegen schien eine Zeit lang die Sterb¬
lichkeit unter den Belgiern großer, als sie wirklich ist, weil die Lo>
calverwaltung auch die Fremden die in einer Commune starben,
anzahlte.

Die größten Mißgriffe werden begangen, wenn man Angaben
traut, die aus vorgefaßten Meinungen, aus Eitelkeit oder Eigen¬
nutz unrichtig ausfallen, wenn man z. B. die Einfuhr eines hoch¬
besteuerten Artikels nach den Listen der Douane zählen und die Rech¬
nung ohne die Schmuggler machen wollte. Systemsüchtigc Publi-
cisten irren meistens, indem sie zu schwache Zahlen, deren Durch¬
schnitt keinen billigen Maßstab liefert, zu Grunde legen. Ist man
von einemVornrtheil eingenommen, so nimmt man oft gern Resultate
an, die anomal sind und von zufälligen Ursachen herrühren."
Ja es gibt Leute, welche Urtheile nachbeten, die sich auf statistische


fen, sie zu protegiren und zu fördern. Man kann sich so leicht
ein wissenschaftliches Ansehen geben, ohne viel Zeit aufzuwenden
oder über Büchern blaß zu werden; sie hat ja noch keine Annalen und
setzt geringe Gelehrsamkeit voraus." Dazu kommen noch die vor¬
gefaßten Meinungen und die Schwierigkeit der Controle: „Man
kann heutzutage mit der Statistik so ziemlich alles beweisen waS
man will." Zur napoleonischen Zeit bewies man in Frankreich
durch Zahlen, daß große Kriege die Bevölkerung vermehren! Das
war nun freilich einfache grobe Lüge, die den Werth der Statistik
nicht herabsetzen kann. Wenn die Schmeichler Napoleons wissent¬
lich falsch zählten, so thun es aber Andere ohne es zu wissen. Die
gewöhnliche Volkszählung, die Sterblichkeit und GeburtSlisten wim¬
meln oft von crasser Fehlern. Sehr häufig ist daran die Unkennt-
niß irgend einer Landessitte und Eigenthümlichkeit schuld. Mr.
Sarauw bewies durch officiele Zahlen, daß auf einer der dänischen
Antillen, Se. Croir, einer Insel, die er bewohnt hatte, die Sterb¬
lichkeit unter den Negersklaven geringer sei als unter den Weißen,
selbst in Europa. Wie leicht hätte nun ein Pflanzer darauf hin
beweisen können, daß die Negersklaverei ein philanthropisches Institut
sei! Aber Mr. Sarauw hatte nicht gewußt, daß die Negerkinder
unter einem Jahre gar nicht in die Geburth- und Tvdtenlisten kom¬
men. Eben so kann man sich auf die englischen Tvdtenlisten nicht
verlassen, weil die Einschreibung dort nicht, wie in Frankreich,
streng vorgeschrieben ist. Dagegen schien eine Zeit lang die Sterb¬
lichkeit unter den Belgiern großer, als sie wirklich ist, weil die Lo>
calverwaltung auch die Fremden die in einer Commune starben,
anzahlte.

Die größten Mißgriffe werden begangen, wenn man Angaben
traut, die aus vorgefaßten Meinungen, aus Eitelkeit oder Eigen¬
nutz unrichtig ausfallen, wenn man z. B. die Einfuhr eines hoch¬
besteuerten Artikels nach den Listen der Douane zählen und die Rech¬
nung ohne die Schmuggler machen wollte. Systemsüchtigc Publi-
cisten irren meistens, indem sie zu schwache Zahlen, deren Durch¬
schnitt keinen billigen Maßstab liefert, zu Grunde legen. Ist man
von einemVornrtheil eingenommen, so nimmt man oft gern Resultate
an, die anomal sind und von zufälligen Ursachen herrühren."
Ja es gibt Leute, welche Urtheile nachbeten, die sich auf statistische


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[0510] fen, sie zu protegiren und zu fördern. Man kann sich so leicht ein wissenschaftliches Ansehen geben, ohne viel Zeit aufzuwenden oder über Büchern blaß zu werden; sie hat ja noch keine Annalen und setzt geringe Gelehrsamkeit voraus." Dazu kommen noch die vor¬ gefaßten Meinungen und die Schwierigkeit der Controle: „Man kann heutzutage mit der Statistik so ziemlich alles beweisen waS man will." Zur napoleonischen Zeit bewies man in Frankreich durch Zahlen, daß große Kriege die Bevölkerung vermehren! Das war nun freilich einfache grobe Lüge, die den Werth der Statistik nicht herabsetzen kann. Wenn die Schmeichler Napoleons wissent¬ lich falsch zählten, so thun es aber Andere ohne es zu wissen. Die gewöhnliche Volkszählung, die Sterblichkeit und GeburtSlisten wim¬ meln oft von crasser Fehlern. Sehr häufig ist daran die Unkennt- niß irgend einer Landessitte und Eigenthümlichkeit schuld. Mr. Sarauw bewies durch officiele Zahlen, daß auf einer der dänischen Antillen, Se. Croir, einer Insel, die er bewohnt hatte, die Sterb¬ lichkeit unter den Negersklaven geringer sei als unter den Weißen, selbst in Europa. Wie leicht hätte nun ein Pflanzer darauf hin beweisen können, daß die Negersklaverei ein philanthropisches Institut sei! Aber Mr. Sarauw hatte nicht gewußt, daß die Negerkinder unter einem Jahre gar nicht in die Geburth- und Tvdtenlisten kom¬ men. Eben so kann man sich auf die englischen Tvdtenlisten nicht verlassen, weil die Einschreibung dort nicht, wie in Frankreich, streng vorgeschrieben ist. Dagegen schien eine Zeit lang die Sterb¬ lichkeit unter den Belgiern großer, als sie wirklich ist, weil die Lo> calverwaltung auch die Fremden die in einer Commune starben, anzahlte. Die größten Mißgriffe werden begangen, wenn man Angaben traut, die aus vorgefaßten Meinungen, aus Eitelkeit oder Eigen¬ nutz unrichtig ausfallen, wenn man z. B. die Einfuhr eines hoch¬ besteuerten Artikels nach den Listen der Douane zählen und die Rech¬ nung ohne die Schmuggler machen wollte. Systemsüchtigc Publi- cisten irren meistens, indem sie zu schwache Zahlen, deren Durch¬ schnitt keinen billigen Maßstab liefert, zu Grunde legen. Ist man von einemVornrtheil eingenommen, so nimmt man oft gern Resultate an, die anomal sind und von zufälligen Ursachen herrühren." Ja es gibt Leute, welche Urtheile nachbeten, die sich auf statistische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/510>, abgerufen am 02.09.2024.