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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Scharfsinn bereits manches wichtige Ergebniß zu Tage gefördert
haben; er ist ein begeisterter Anhänger dieses modernen Studiums,
von welchem er unübersehbare Wirkungen erwartet, und es ist da¬
her doppelt interessant, die Bekenntnisse und Erfahrungen zu hören,
welche er bei Entwicklung seiner statistischen Principien mittheilt.

Die Statistik hat seit Schlözer, der sie "die stillstehende Ge¬
schichte" nannte, große Fortschritte gemacht, steckt aber doch noch in
den Kinderschuhen. Quetelet erinnert, indem er die Frage aufwirft,
ob man sie bereits als Wissenschaft anerkennen dürfe, an die An¬
fänge aller Wissenschaften. Was waren Zoologie, Botanik und
Mineralogie vor hundert Jahren? Die Astronomie war anfangs
eine gauklerische Astrologie. Betrüger und Charlatane deuteten keck
die Leichtgläubigkeit des Volkes aus, während die wahre Stern¬
kunde, schüchtern und verkannt, ihre ersten Schritte wagte, und sich
umsonst bemühte, den von einer falschen Prätendentin usurpirter
Thron einzunehmen. Eben so setzte sich die Alchymie neben die Wiege
der Chemie. Und die Magie, die künftigen Wunder der Physik
voraus ahnend, suchte dieselben in ihrer Weise zu vollbringen, und
ein Scepter an sich zu reißen, welches ihr nicht bleiben sollte. Man
sieht aus diesen Vergleichungen, daß Herr Quetelet die Statistik
für mehr als ein trocknes Jnventarienaufnehmen ansieht, und in der
That erklärt er sich gegen die meisten bekannten Definitionen dersel¬
ben, "als hervorgegangen aus einer mangelhaften Vorstellung von
ihrem Wirkungskreis." Auch führt er schlagende Beispiele an von
positiven Resultaten und fruchtbaren Entdeckungen in Physiologie,
Oekonomie und Strafgesetzgebung, zu denen man auf dem Wege
rein statistischer Forschung gelangt ist.

Die Auseinandersetzung der Queteletschen Anweisung über die
Art wie man Statistik treiben müsse, über die Vorsichtsmaßregeln,
die man bei allgemeiner, specieller und localer Statistik zu treffen
hat, über das sicherste Studium der Ursachen, welches vorherge¬
hen muß, über die Vergleichung analoger und unähnlicher Elemente
u. s. w, wollen wir nicht erst unternehmen, weil sie uns zu weit
führen würde; nur einige interessante Beispiele von der gewöhnli¬
chen Art statistischer Verirrungen sei uns erlaubt, ihm nachzuerzählen.

"Jede neue Wissenschaft/' sagt Hr. Quetelet, "hat für die pro¬
fane Menge einen unwiderstehlichen Neiz, Jeder glaubt sich bern-


Scharfsinn bereits manches wichtige Ergebniß zu Tage gefördert
haben; er ist ein begeisterter Anhänger dieses modernen Studiums,
von welchem er unübersehbare Wirkungen erwartet, und es ist da¬
her doppelt interessant, die Bekenntnisse und Erfahrungen zu hören,
welche er bei Entwicklung seiner statistischen Principien mittheilt.

Die Statistik hat seit Schlözer, der sie „die stillstehende Ge¬
schichte" nannte, große Fortschritte gemacht, steckt aber doch noch in
den Kinderschuhen. Quetelet erinnert, indem er die Frage aufwirft,
ob man sie bereits als Wissenschaft anerkennen dürfe, an die An¬
fänge aller Wissenschaften. Was waren Zoologie, Botanik und
Mineralogie vor hundert Jahren? Die Astronomie war anfangs
eine gauklerische Astrologie. Betrüger und Charlatane deuteten keck
die Leichtgläubigkeit des Volkes aus, während die wahre Stern¬
kunde, schüchtern und verkannt, ihre ersten Schritte wagte, und sich
umsonst bemühte, den von einer falschen Prätendentin usurpirter
Thron einzunehmen. Eben so setzte sich die Alchymie neben die Wiege
der Chemie. Und die Magie, die künftigen Wunder der Physik
voraus ahnend, suchte dieselben in ihrer Weise zu vollbringen, und
ein Scepter an sich zu reißen, welches ihr nicht bleiben sollte. Man
sieht aus diesen Vergleichungen, daß Herr Quetelet die Statistik
für mehr als ein trocknes Jnventarienaufnehmen ansieht, und in der
That erklärt er sich gegen die meisten bekannten Definitionen dersel¬
ben, „als hervorgegangen aus einer mangelhaften Vorstellung von
ihrem Wirkungskreis." Auch führt er schlagende Beispiele an von
positiven Resultaten und fruchtbaren Entdeckungen in Physiologie,
Oekonomie und Strafgesetzgebung, zu denen man auf dem Wege
rein statistischer Forschung gelangt ist.

Die Auseinandersetzung der Queteletschen Anweisung über die
Art wie man Statistik treiben müsse, über die Vorsichtsmaßregeln,
die man bei allgemeiner, specieller und localer Statistik zu treffen
hat, über das sicherste Studium der Ursachen, welches vorherge¬
hen muß, über die Vergleichung analoger und unähnlicher Elemente
u. s. w, wollen wir nicht erst unternehmen, weil sie uns zu weit
führen würde; nur einige interessante Beispiele von der gewöhnli¬
chen Art statistischer Verirrungen sei uns erlaubt, ihm nachzuerzählen.

„Jede neue Wissenschaft/' sagt Hr. Quetelet, „hat für die pro¬
fane Menge einen unwiderstehlichen Neiz, Jeder glaubt sich bern-


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[0509] Scharfsinn bereits manches wichtige Ergebniß zu Tage gefördert haben; er ist ein begeisterter Anhänger dieses modernen Studiums, von welchem er unübersehbare Wirkungen erwartet, und es ist da¬ her doppelt interessant, die Bekenntnisse und Erfahrungen zu hören, welche er bei Entwicklung seiner statistischen Principien mittheilt. Die Statistik hat seit Schlözer, der sie „die stillstehende Ge¬ schichte" nannte, große Fortschritte gemacht, steckt aber doch noch in den Kinderschuhen. Quetelet erinnert, indem er die Frage aufwirft, ob man sie bereits als Wissenschaft anerkennen dürfe, an die An¬ fänge aller Wissenschaften. Was waren Zoologie, Botanik und Mineralogie vor hundert Jahren? Die Astronomie war anfangs eine gauklerische Astrologie. Betrüger und Charlatane deuteten keck die Leichtgläubigkeit des Volkes aus, während die wahre Stern¬ kunde, schüchtern und verkannt, ihre ersten Schritte wagte, und sich umsonst bemühte, den von einer falschen Prätendentin usurpirter Thron einzunehmen. Eben so setzte sich die Alchymie neben die Wiege der Chemie. Und die Magie, die künftigen Wunder der Physik voraus ahnend, suchte dieselben in ihrer Weise zu vollbringen, und ein Scepter an sich zu reißen, welches ihr nicht bleiben sollte. Man sieht aus diesen Vergleichungen, daß Herr Quetelet die Statistik für mehr als ein trocknes Jnventarienaufnehmen ansieht, und in der That erklärt er sich gegen die meisten bekannten Definitionen dersel¬ ben, „als hervorgegangen aus einer mangelhaften Vorstellung von ihrem Wirkungskreis." Auch führt er schlagende Beispiele an von positiven Resultaten und fruchtbaren Entdeckungen in Physiologie, Oekonomie und Strafgesetzgebung, zu denen man auf dem Wege rein statistischer Forschung gelangt ist. Die Auseinandersetzung der Queteletschen Anweisung über die Art wie man Statistik treiben müsse, über die Vorsichtsmaßregeln, die man bei allgemeiner, specieller und localer Statistik zu treffen hat, über das sicherste Studium der Ursachen, welches vorherge¬ hen muß, über die Vergleichung analoger und unähnlicher Elemente u. s. w, wollen wir nicht erst unternehmen, weil sie uns zu weit führen würde; nur einige interessante Beispiele von der gewöhnli¬ chen Art statistischer Verirrungen sei uns erlaubt, ihm nachzuerzählen. „Jede neue Wissenschaft/' sagt Hr. Quetelet, „hat für die pro¬ fane Menge einen unwiderstehlichen Neiz, Jeder glaubt sich bern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/509>, abgerufen am 02.09.2024.