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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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seine Erfahrung hatte ihn nicht getäuscht. Walpurgas Enkel fan¬
den sich geschmeichelt von den sanften Reden der ritterlichen Sipp¬
schaft, sie kamen gutmüthig herbei, umpflanzten den Forst, legten
Straßen und Felder an, und ließen ihre Erfahrung, ihre Kunst und
ihre Arbeit ihren stolzen Verwandten so zu Gute kommen, wie sich
selbst. Von Zeit zu Zeit ertheilte der Alte dem fleißigsten unter
ihnen zur Aufmunterung für die andern das Herrenrecht im Walde,
ganz nach der Art der Privilegien seiner ältern Brüder. Der Rit¬
ter und der Junker wagten diesmal nicht mehr zu widersprechen.
Aber die Zahl dieser neuen Herren vergrößerte sich mit ihrem Fleiße.
Der Ritter und der Junker verbissen ihren Ingrimm und wichen,
wo sie konnten, den neuen Eindringlingen aus. Die meisten von
diesen waren noch zu jung in ihrem neuen Rechte, um diesen Hoch¬
muth scharf zu fühlen. Aber ein Jüngling mit goldenen Locken
und hochgewölbter Stirn, ein Enkel jenes Liedersängers, der einst
den Sieg und den Lorbeer errungen, fühlte mit pochendem Herzen,
was jenen in ihrer Stumpfheit und im Rausch ihrer neuen Stel¬
lung entging. An einem warmen Frühlingsmorgen, als Saaten
und Bäume aufblüheten und der Hauch der neuen Zukunft über
die ganze Natur ausgegossen lag, da faßte er sich ein Herz und
trat in das Gemach des Alten und sprach: Vater, sind wir nicht
Deine Kinder und Enkel so gut wie der Ritter und der Junker,
wir schützen Deine Schwelle, wir erweitern Deine Gebiete, warum
sollen wir nicht auch--... Der Greis aber war bei diesen ihm
wohlbekannten Worten erschrocken in den Stuhl gesunken, sein Haupt
sank auf seine Brust herab, und mit einer abwehrenden Bewegung
gebot er dem Jüngling Schweigen. Dieser warf einen langen, lan¬
gen Blick auf den ehrwürdigen, aber schwachen Großvater und
schritt zur Thür hinaus. Draußen aber harrte seiner eine Diene¬
rin, die ihn zur Frau Walpurga beschied. Die hochbetagte Greisin
empfing den Urenkel mit einem freundlichen Lächeln. Aus ihrem
alten von weißen Löckchen umgebenen Gesichte, leuchteten die schwar¬
zen Augen noch immer so klug und schlau hervor, als an dem
Hochzeitstage, der sie mit dem Burggrafen vereinigte. Muth, Muth,
mein Knabe, sagte sie, indem sie den niederknieenden Jüngling mit
der weichen Hand durch die Locken fuhr. Noch ist der letzte Tag
nicht gekommen und ich wache über Euch! Geh heim und sage


seine Erfahrung hatte ihn nicht getäuscht. Walpurgas Enkel fan¬
den sich geschmeichelt von den sanften Reden der ritterlichen Sipp¬
schaft, sie kamen gutmüthig herbei, umpflanzten den Forst, legten
Straßen und Felder an, und ließen ihre Erfahrung, ihre Kunst und
ihre Arbeit ihren stolzen Verwandten so zu Gute kommen, wie sich
selbst. Von Zeit zu Zeit ertheilte der Alte dem fleißigsten unter
ihnen zur Aufmunterung für die andern das Herrenrecht im Walde,
ganz nach der Art der Privilegien seiner ältern Brüder. Der Rit¬
ter und der Junker wagten diesmal nicht mehr zu widersprechen.
Aber die Zahl dieser neuen Herren vergrößerte sich mit ihrem Fleiße.
Der Ritter und der Junker verbissen ihren Ingrimm und wichen,
wo sie konnten, den neuen Eindringlingen aus. Die meisten von
diesen waren noch zu jung in ihrem neuen Rechte, um diesen Hoch¬
muth scharf zu fühlen. Aber ein Jüngling mit goldenen Locken
und hochgewölbter Stirn, ein Enkel jenes Liedersängers, der einst
den Sieg und den Lorbeer errungen, fühlte mit pochendem Herzen,
was jenen in ihrer Stumpfheit und im Rausch ihrer neuen Stel¬
lung entging. An einem warmen Frühlingsmorgen, als Saaten
und Bäume aufblüheten und der Hauch der neuen Zukunft über
die ganze Natur ausgegossen lag, da faßte er sich ein Herz und
trat in das Gemach des Alten und sprach: Vater, sind wir nicht
Deine Kinder und Enkel so gut wie der Ritter und der Junker,
wir schützen Deine Schwelle, wir erweitern Deine Gebiete, warum
sollen wir nicht auch--... Der Greis aber war bei diesen ihm
wohlbekannten Worten erschrocken in den Stuhl gesunken, sein Haupt
sank auf seine Brust herab, und mit einer abwehrenden Bewegung
gebot er dem Jüngling Schweigen. Dieser warf einen langen, lan¬
gen Blick auf den ehrwürdigen, aber schwachen Großvater und
schritt zur Thür hinaus. Draußen aber harrte seiner eine Diene¬
rin, die ihn zur Frau Walpurga beschied. Die hochbetagte Greisin
empfing den Urenkel mit einem freundlichen Lächeln. Aus ihrem
alten von weißen Löckchen umgebenen Gesichte, leuchteten die schwar¬
zen Augen noch immer so klug und schlau hervor, als an dem
Hochzeitstage, der sie mit dem Burggrafen vereinigte. Muth, Muth,
mein Knabe, sagte sie, indem sie den niederknieenden Jüngling mit
der weichen Hand durch die Locken fuhr. Noch ist der letzte Tag
nicht gekommen und ich wache über Euch! Geh heim und sage


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[0502] seine Erfahrung hatte ihn nicht getäuscht. Walpurgas Enkel fan¬ den sich geschmeichelt von den sanften Reden der ritterlichen Sipp¬ schaft, sie kamen gutmüthig herbei, umpflanzten den Forst, legten Straßen und Felder an, und ließen ihre Erfahrung, ihre Kunst und ihre Arbeit ihren stolzen Verwandten so zu Gute kommen, wie sich selbst. Von Zeit zu Zeit ertheilte der Alte dem fleißigsten unter ihnen zur Aufmunterung für die andern das Herrenrecht im Walde, ganz nach der Art der Privilegien seiner ältern Brüder. Der Rit¬ ter und der Junker wagten diesmal nicht mehr zu widersprechen. Aber die Zahl dieser neuen Herren vergrößerte sich mit ihrem Fleiße. Der Ritter und der Junker verbissen ihren Ingrimm und wichen, wo sie konnten, den neuen Eindringlingen aus. Die meisten von diesen waren noch zu jung in ihrem neuen Rechte, um diesen Hoch¬ muth scharf zu fühlen. Aber ein Jüngling mit goldenen Locken und hochgewölbter Stirn, ein Enkel jenes Liedersängers, der einst den Sieg und den Lorbeer errungen, fühlte mit pochendem Herzen, was jenen in ihrer Stumpfheit und im Rausch ihrer neuen Stel¬ lung entging. An einem warmen Frühlingsmorgen, als Saaten und Bäume aufblüheten und der Hauch der neuen Zukunft über die ganze Natur ausgegossen lag, da faßte er sich ein Herz und trat in das Gemach des Alten und sprach: Vater, sind wir nicht Deine Kinder und Enkel so gut wie der Ritter und der Junker, wir schützen Deine Schwelle, wir erweitern Deine Gebiete, warum sollen wir nicht auch--... Der Greis aber war bei diesen ihm wohlbekannten Worten erschrocken in den Stuhl gesunken, sein Haupt sank auf seine Brust herab, und mit einer abwehrenden Bewegung gebot er dem Jüngling Schweigen. Dieser warf einen langen, lan¬ gen Blick auf den ehrwürdigen, aber schwachen Großvater und schritt zur Thür hinaus. Draußen aber harrte seiner eine Diene¬ rin, die ihn zur Frau Walpurga beschied. Die hochbetagte Greisin empfing den Urenkel mit einem freundlichen Lächeln. Aus ihrem alten von weißen Löckchen umgebenen Gesichte, leuchteten die schwar¬ zen Augen noch immer so klug und schlau hervor, als an dem Hochzeitstage, der sie mit dem Burggrafen vereinigte. Muth, Muth, mein Knabe, sagte sie, indem sie den niederknieenden Jüngling mit der weichen Hand durch die Locken fuhr. Noch ist der letzte Tag nicht gekommen und ich wache über Euch! Geh heim und sage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/502>, abgerufen am 02.09.2024.