Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bürgerbubcn im Schlosse seiner Väter sich breit machen sah,
aber er fuhr mit der Hand über die Stirne und verscheuchte sich
selber die Grillen. "Sie sind ja nicht turnierfähig" beschwichtigte
er sich, die reichen Forsten sind ja dir allein zum Revier an¬
gewiesen und nach dir deinem Sohne; was kümmert dich die Bü"
gerbrüt! --

Zudem waren die drei Jungen voll Unterwürfigkeit und De¬
muth gegen den Ritter und seinen Junker. Es schien ihnen gar
nicht in den Sinn zu kommen, daß jener ihr Bruder, dieser ihr
Vetter war. Mit fast kriechender Unterthänigkeit trugen sie ihm
die Lanze nach, Schnitzler- ihm die Pfeile, halfen dem Junker
auf das Roß und zeigten sich nicht im mindesten gekränkt, wenn
dieser im Uebermuthe ihnen einen Tritt mit dem Fuße gab. So
vergingen wieder Jahre und Jahre; der Burggraf war ein Greis
in Silberlocken, der Ritter ein Mann mit grauen Haaren gewor¬
den. Der Junker hatte sich vermählt; die Jungen hatten sich ver-
heirathet, aber die Nachkommenschaft der letzteren war wieder zahl¬
reicher als die des ersteren. Sie bauten sich rings um die Burgen
an, und weil die Forsten und das Wild im Vorbehalt des Ritters
und des Junkers geblieben, so lehrten sie ihre Sohne andere Ge¬
werbe und Künste. Der eine zog mit Schiffen den Rhein hinab
bis ins Meer, der andere schmiedete Waffen und erfand das Pul¬
ver, der dritte grub nach kostbaren Erzen im Schoße der Berge,
der vierte baute Kirchen und malte Madonnen, der fünfte dich¬
tete unsterbliche Lieder und schlug die Harfe. Aber wenn der
Feind herannahte, das Schloß ihres Vaters zu bekriegen, da ver¬
sammelten sich Alle unter Einem Banner und halfen die An¬
greifenden in die Flucht schlagen. Ihre Kunst und ihre große Anzahl
kam ihnen dabei wohl zu Statten; mit ihrem Golde besoldeten sie
neue Gefährten, mit ihren Gesängen und Liedern beflügelter sie
den Muth in wilder Schlacht.

Einst nach einem gewonnenen Strauß trat der älteste von
ihnen zu dem Burggrafen hin: Vater, sagte er, wir sind so gut
deine Kinder und Enkel wie der Ritter und Junker; wir schützen
deine Schwelle, wir erweitern deine Gebiete: warum sollen wir
nicht auch in deinen Forsten ein gutes Stück Wild zum Lohne ha-


Grcnzbvtc", I. 62

Bürgerbubcn im Schlosse seiner Väter sich breit machen sah,
aber er fuhr mit der Hand über die Stirne und verscheuchte sich
selber die Grillen. „Sie sind ja nicht turnierfähig" beschwichtigte
er sich, die reichen Forsten sind ja dir allein zum Revier an¬
gewiesen und nach dir deinem Sohne; was kümmert dich die Bü»
gerbrüt! —

Zudem waren die drei Jungen voll Unterwürfigkeit und De¬
muth gegen den Ritter und seinen Junker. Es schien ihnen gar
nicht in den Sinn zu kommen, daß jener ihr Bruder, dieser ihr
Vetter war. Mit fast kriechender Unterthänigkeit trugen sie ihm
die Lanze nach, Schnitzler- ihm die Pfeile, halfen dem Junker
auf das Roß und zeigten sich nicht im mindesten gekränkt, wenn
dieser im Uebermuthe ihnen einen Tritt mit dem Fuße gab. So
vergingen wieder Jahre und Jahre; der Burggraf war ein Greis
in Silberlocken, der Ritter ein Mann mit grauen Haaren gewor¬
den. Der Junker hatte sich vermählt; die Jungen hatten sich ver-
heirathet, aber die Nachkommenschaft der letzteren war wieder zahl¬
reicher als die des ersteren. Sie bauten sich rings um die Burgen
an, und weil die Forsten und das Wild im Vorbehalt des Ritters
und des Junkers geblieben, so lehrten sie ihre Sohne andere Ge¬
werbe und Künste. Der eine zog mit Schiffen den Rhein hinab
bis ins Meer, der andere schmiedete Waffen und erfand das Pul¬
ver, der dritte grub nach kostbaren Erzen im Schoße der Berge,
der vierte baute Kirchen und malte Madonnen, der fünfte dich¬
tete unsterbliche Lieder und schlug die Harfe. Aber wenn der
Feind herannahte, das Schloß ihres Vaters zu bekriegen, da ver¬
sammelten sich Alle unter Einem Banner und halfen die An¬
greifenden in die Flucht schlagen. Ihre Kunst und ihre große Anzahl
kam ihnen dabei wohl zu Statten; mit ihrem Golde besoldeten sie
neue Gefährten, mit ihren Gesängen und Liedern beflügelter sie
den Muth in wilder Schlacht.

Einst nach einem gewonnenen Strauß trat der älteste von
ihnen zu dem Burggrafen hin: Vater, sagte er, wir sind so gut
deine Kinder und Enkel wie der Ritter und Junker; wir schützen
deine Schwelle, wir erweitern deine Gebiete: warum sollen wir
nicht auch in deinen Forsten ein gutes Stück Wild zum Lohne ha-


Grcnzbvtc», I. 62
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182307"/>
            <p xml:id="ID_1173" prev="#ID_1172"> Bürgerbubcn im Schlosse seiner Väter sich breit machen sah,<lb/>
aber er fuhr mit der Hand über die Stirne und verscheuchte sich<lb/>
selber die Grillen. &#x201E;Sie sind ja nicht turnierfähig" beschwichtigte<lb/>
er sich, die reichen Forsten sind ja dir allein zum Revier an¬<lb/>
gewiesen und nach dir deinem Sohne; was kümmert dich die Bü»<lb/>
gerbrüt! &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1174"> Zudem waren die drei Jungen voll Unterwürfigkeit und De¬<lb/>
muth gegen den Ritter und seinen Junker. Es schien ihnen gar<lb/>
nicht in den Sinn zu kommen, daß jener ihr Bruder, dieser ihr<lb/>
Vetter war. Mit fast kriechender Unterthänigkeit trugen sie ihm<lb/>
die Lanze nach, Schnitzler- ihm die Pfeile, halfen dem Junker<lb/>
auf das Roß und zeigten sich nicht im mindesten gekränkt, wenn<lb/>
dieser im Uebermuthe ihnen einen Tritt mit dem Fuße gab. So<lb/>
vergingen wieder Jahre und Jahre; der Burggraf war ein Greis<lb/>
in Silberlocken, der Ritter ein Mann mit grauen Haaren gewor¬<lb/>
den. Der Junker hatte sich vermählt; die Jungen hatten sich ver-<lb/>
heirathet, aber die Nachkommenschaft der letzteren war wieder zahl¬<lb/>
reicher als die des ersteren. Sie bauten sich rings um die Burgen<lb/>
an, und weil die Forsten und das Wild im Vorbehalt des Ritters<lb/>
und des Junkers geblieben, so lehrten sie ihre Sohne andere Ge¬<lb/>
werbe und Künste. Der eine zog mit Schiffen den Rhein hinab<lb/>
bis ins Meer, der andere schmiedete Waffen und erfand das Pul¬<lb/>
ver, der dritte grub nach kostbaren Erzen im Schoße der Berge,<lb/>
der vierte baute Kirchen und malte Madonnen, der fünfte dich¬<lb/>
tete unsterbliche Lieder und schlug die Harfe. Aber wenn der<lb/>
Feind herannahte, das Schloß ihres Vaters zu bekriegen, da ver¬<lb/>
sammelten sich Alle unter Einem Banner und halfen die An¬<lb/>
greifenden in die Flucht schlagen. Ihre Kunst und ihre große Anzahl<lb/>
kam ihnen dabei wohl zu Statten; mit ihrem Golde besoldeten sie<lb/>
neue Gefährten, mit ihren Gesängen und Liedern beflügelter sie<lb/>
den Muth in wilder Schlacht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1175" next="#ID_1176"> Einst nach einem gewonnenen Strauß trat der älteste von<lb/>
ihnen zu dem Burggrafen hin: Vater, sagte er, wir sind so gut<lb/>
deine Kinder und Enkel wie der Ritter und Junker; wir schützen<lb/>
deine Schwelle, wir erweitern deine Gebiete: warum sollen wir<lb/>
nicht auch in deinen Forsten ein gutes Stück Wild zum Lohne ha-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbvtc», I. 62</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0497] Bürgerbubcn im Schlosse seiner Väter sich breit machen sah, aber er fuhr mit der Hand über die Stirne und verscheuchte sich selber die Grillen. „Sie sind ja nicht turnierfähig" beschwichtigte er sich, die reichen Forsten sind ja dir allein zum Revier an¬ gewiesen und nach dir deinem Sohne; was kümmert dich die Bü» gerbrüt! — Zudem waren die drei Jungen voll Unterwürfigkeit und De¬ muth gegen den Ritter und seinen Junker. Es schien ihnen gar nicht in den Sinn zu kommen, daß jener ihr Bruder, dieser ihr Vetter war. Mit fast kriechender Unterthänigkeit trugen sie ihm die Lanze nach, Schnitzler- ihm die Pfeile, halfen dem Junker auf das Roß und zeigten sich nicht im mindesten gekränkt, wenn dieser im Uebermuthe ihnen einen Tritt mit dem Fuße gab. So vergingen wieder Jahre und Jahre; der Burggraf war ein Greis in Silberlocken, der Ritter ein Mann mit grauen Haaren gewor¬ den. Der Junker hatte sich vermählt; die Jungen hatten sich ver- heirathet, aber die Nachkommenschaft der letzteren war wieder zahl¬ reicher als die des ersteren. Sie bauten sich rings um die Burgen an, und weil die Forsten und das Wild im Vorbehalt des Ritters und des Junkers geblieben, so lehrten sie ihre Sohne andere Ge¬ werbe und Künste. Der eine zog mit Schiffen den Rhein hinab bis ins Meer, der andere schmiedete Waffen und erfand das Pul¬ ver, der dritte grub nach kostbaren Erzen im Schoße der Berge, der vierte baute Kirchen und malte Madonnen, der fünfte dich¬ tete unsterbliche Lieder und schlug die Harfe. Aber wenn der Feind herannahte, das Schloß ihres Vaters zu bekriegen, da ver¬ sammelten sich Alle unter Einem Banner und halfen die An¬ greifenden in die Flucht schlagen. Ihre Kunst und ihre große Anzahl kam ihnen dabei wohl zu Statten; mit ihrem Golde besoldeten sie neue Gefährten, mit ihren Gesängen und Liedern beflügelter sie den Muth in wilder Schlacht. Einst nach einem gewonnenen Strauß trat der älteste von ihnen zu dem Burggrafen hin: Vater, sagte er, wir sind so gut deine Kinder und Enkel wie der Ritter und Junker; wir schützen deine Schwelle, wir erweitern deine Gebiete: warum sollen wir nicht auch in deinen Forsten ein gutes Stück Wild zum Lohne ha- Grcnzbvtc», I. 62

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/497
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/497>, abgerufen am 03.09.2024.