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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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tausend Privilegirte mehr zu schaffen als das Bürgerthum in Ge¬
sammtheit zu emancipiren?

Möglich, wahrscheinlich sogar, daß solchen neuen Adelscrei-
rungen ursprünglich diese Absicht zu Grunde lag. Aber wie oft
geht ein Schiffer nach einem bestimmten Punkte unter Segel und
ändert unter Weges seine Richtung, wenn er die Strömung und
ihre Vortheile erst genauer kennen und berechnen lernt? Wie man¬
ches unansehnliche Boot, anfangs blos bestimmt einzelne Bewoh¬
ner des einen Ufers nach dem andern hinüber zu führen, hat sich
allmählig in ein geräumiges Dampfschiff verwandelt, weil man mit
der Zeit erkannte, daß dieses Hin- und Herfahren beide Ufer ganz
umgestaltete und noch eine ganz andere Aufgabe als eine bloße
Personenüberfahrt sich mit dieser schwimmenden Brücke erfüllen läßt,
die der Steuermann nach Belieben hemmen oder rascher treiben
kann? Als Maria Theresia den Leopoldsorden und den Theresien-
orden stiftete, deren Verleihung den erblichen Freiherrnstand mit sich
bringt, da geschah die Ueberfahrt mit einem kleinen Boote; seit
jener Zeit aber sind hundert Tausende in den Adel erhoben worden,
die Ueberfahrt wurde ins Große getrieben, das Boot ist zu einem
Dampfschiff geworden.

Lassen Sie sich eine Geschichte erzählen: Vor vielen, vielen
hundert Jahren gab es einmal einen Burggrafen, ganz im Style
von Victor Hugo. Er wohnte auf einer hohen Felsenburg, rings¬
umher mit großen Waldungen umgeben, die von hundertjährigen
Eichen, von Wölfen, Bären und anderem Wild wimmelten. Der
Burggraf hatte einen Sohn, ein wackerer Degen, wild, stolz aber
tapfer. Er erlegte täglich acht Wölfe, vier Bären, der Füchse, Luchse
und anderes leichten Volks gar nicht zu gedenken. Wenn sein Vater eine
Fehde hatte, so befehligte er seine Mannen und schlug den Feind
aufs Haupt. Oft half er ihm auf der Zinne lauern, wenn die
reichen Kaufleute nach der Messe zogen -- wobei ihnen das gol¬
dene Fell über die Ohren gezogen und das menschliche wacker durch-
gcgerbt wurde, alles in frommer, treuer Rittersitte: für Gott,
Schönheit und Recht, wie es jene fromme Zeit im Gegensatz zu
unserer ungläubigen und unchristlichen mir sich brachte. Der junge
Ritter vermählte sich endlich, und sein Vater, der ihn mit Zärtlich¬
keit liebte, übergab ihm am Hochzeitstage ein Pergament, worin


tausend Privilegirte mehr zu schaffen als das Bürgerthum in Ge¬
sammtheit zu emancipiren?

Möglich, wahrscheinlich sogar, daß solchen neuen Adelscrei-
rungen ursprünglich diese Absicht zu Grunde lag. Aber wie oft
geht ein Schiffer nach einem bestimmten Punkte unter Segel und
ändert unter Weges seine Richtung, wenn er die Strömung und
ihre Vortheile erst genauer kennen und berechnen lernt? Wie man¬
ches unansehnliche Boot, anfangs blos bestimmt einzelne Bewoh¬
ner des einen Ufers nach dem andern hinüber zu führen, hat sich
allmählig in ein geräumiges Dampfschiff verwandelt, weil man mit
der Zeit erkannte, daß dieses Hin- und Herfahren beide Ufer ganz
umgestaltete und noch eine ganz andere Aufgabe als eine bloße
Personenüberfahrt sich mit dieser schwimmenden Brücke erfüllen läßt,
die der Steuermann nach Belieben hemmen oder rascher treiben
kann? Als Maria Theresia den Leopoldsorden und den Theresien-
orden stiftete, deren Verleihung den erblichen Freiherrnstand mit sich
bringt, da geschah die Ueberfahrt mit einem kleinen Boote; seit
jener Zeit aber sind hundert Tausende in den Adel erhoben worden,
die Ueberfahrt wurde ins Große getrieben, das Boot ist zu einem
Dampfschiff geworden.

Lassen Sie sich eine Geschichte erzählen: Vor vielen, vielen
hundert Jahren gab es einmal einen Burggrafen, ganz im Style
von Victor Hugo. Er wohnte auf einer hohen Felsenburg, rings¬
umher mit großen Waldungen umgeben, die von hundertjährigen
Eichen, von Wölfen, Bären und anderem Wild wimmelten. Der
Burggraf hatte einen Sohn, ein wackerer Degen, wild, stolz aber
tapfer. Er erlegte täglich acht Wölfe, vier Bären, der Füchse, Luchse
und anderes leichten Volks gar nicht zu gedenken. Wenn sein Vater eine
Fehde hatte, so befehligte er seine Mannen und schlug den Feind
aufs Haupt. Oft half er ihm auf der Zinne lauern, wenn die
reichen Kaufleute nach der Messe zogen — wobei ihnen das gol¬
dene Fell über die Ohren gezogen und das menschliche wacker durch-
gcgerbt wurde, alles in frommer, treuer Rittersitte: für Gott,
Schönheit und Recht, wie es jene fromme Zeit im Gegensatz zu
unserer ungläubigen und unchristlichen mir sich brachte. Der junge
Ritter vermählte sich endlich, und sein Vater, der ihn mit Zärtlich¬
keit liebte, übergab ihm am Hochzeitstage ein Pergament, worin


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[0495] tausend Privilegirte mehr zu schaffen als das Bürgerthum in Ge¬ sammtheit zu emancipiren? Möglich, wahrscheinlich sogar, daß solchen neuen Adelscrei- rungen ursprünglich diese Absicht zu Grunde lag. Aber wie oft geht ein Schiffer nach einem bestimmten Punkte unter Segel und ändert unter Weges seine Richtung, wenn er die Strömung und ihre Vortheile erst genauer kennen und berechnen lernt? Wie man¬ ches unansehnliche Boot, anfangs blos bestimmt einzelne Bewoh¬ ner des einen Ufers nach dem andern hinüber zu führen, hat sich allmählig in ein geräumiges Dampfschiff verwandelt, weil man mit der Zeit erkannte, daß dieses Hin- und Herfahren beide Ufer ganz umgestaltete und noch eine ganz andere Aufgabe als eine bloße Personenüberfahrt sich mit dieser schwimmenden Brücke erfüllen läßt, die der Steuermann nach Belieben hemmen oder rascher treiben kann? Als Maria Theresia den Leopoldsorden und den Theresien- orden stiftete, deren Verleihung den erblichen Freiherrnstand mit sich bringt, da geschah die Ueberfahrt mit einem kleinen Boote; seit jener Zeit aber sind hundert Tausende in den Adel erhoben worden, die Ueberfahrt wurde ins Große getrieben, das Boot ist zu einem Dampfschiff geworden. Lassen Sie sich eine Geschichte erzählen: Vor vielen, vielen hundert Jahren gab es einmal einen Burggrafen, ganz im Style von Victor Hugo. Er wohnte auf einer hohen Felsenburg, rings¬ umher mit großen Waldungen umgeben, die von hundertjährigen Eichen, von Wölfen, Bären und anderem Wild wimmelten. Der Burggraf hatte einen Sohn, ein wackerer Degen, wild, stolz aber tapfer. Er erlegte täglich acht Wölfe, vier Bären, der Füchse, Luchse und anderes leichten Volks gar nicht zu gedenken. Wenn sein Vater eine Fehde hatte, so befehligte er seine Mannen und schlug den Feind aufs Haupt. Oft half er ihm auf der Zinne lauern, wenn die reichen Kaufleute nach der Messe zogen — wobei ihnen das gol¬ dene Fell über die Ohren gezogen und das menschliche wacker durch- gcgerbt wurde, alles in frommer, treuer Rittersitte: für Gott, Schönheit und Recht, wie es jene fromme Zeit im Gegensatz zu unserer ungläubigen und unchristlichen mir sich brachte. Der junge Ritter vermählte sich endlich, und sein Vater, der ihn mit Zärtlich¬ keit liebte, übergab ihm am Hochzeitstage ein Pergament, worin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/495>, abgerufen am 03.09.2024.