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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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dem Obern oder Vorgesetzten rapportirt wird. Gott behüte uns
vor dieser Geißel, die unserer schönsten Eigenschaft, der vielberühm¬
ten Milde uns berauben würde. Wie konnte man allen diesen gu¬
ten Familienvätern, treuen Unterthanen, fünfundzwanzigjährigen
Dienern, ihre kleinen, und vollends ihre großen Schwachen durch die
Finger sehen, wenn die Presse jede Pflichtverletzung, jeden Mi߬
brauch öffentlich -- und wäre es auch in den anständigsten und
gemäßigtesten Ausdrücken -- denunciren dürfte! Zwar geht eme
dunkle Sage umher, daß ein Censurgcsetz vom Jahre 1810 erlstire,
welches der Presse einen in wohlmeinenden Sinn und anständig
ausgesprochenen Tadel zugestehe. Allein Dank sei es der bessern
Einsicht späterer Jahre, dieses Gesetz ist jetzt wie eine alte Mythe
verklungen. Unsere vielberühmte Milde, die sich darin einen Au¬
genblick verläugnete, ist wieder in voller Strömung zurückgekehrt.
Was wollte man auch mit jenem Gesetz? Höchstens würde es
den Männern, die an der Spitze der Verwaltung stehen, zu Gute
kommen; die obersten Behörden, die in Wien centralisirt sind und
ihre Augen nicht überall haben können, würden mittelst der Ent¬
hüllungen der Presse einen offenen Blick in die tausend und tausend
kleinen Räder der Staatsmaschine werfen können, die öffentlichen
Berichte, die über die Zustände der einzelnen und entfernten Theile
deö Staates und der Gesellschaft geliefert würden, müßten den
Ueberblick erleichtern und bisher verhüllte Schmutzflecke, Hemmnisse
und Unterschleife offen legen; aber dieses Alles würde blos ihre
Wirksamkeit kräftigen, es würde blos ihre Stellung zum Staate
und Volke veredeln, die Achtung vor ihnen erhöhen, das Vertrauen
zu ihnen stärken und die Krone bereichern und befestigen. Die
Krone jedoch ist reich genug, die obersten Räthe sind nur ein klei¬
nes Häuflein. Ein weiser Staat muß die Interessen der Majori¬
tät zu fördern suchen, und die Majorität sind wir, das ungeheure
Heer von Räthen, Secrerären, Kanzelisten und Prädicanten. DaS
muß man vor Allem berücksichtigen; unsere Interessen, unsere Ruhe,
unsere kleinen Nebeneinkünfte würden gestört und geschmälert, wenn
man der gottverfluchten Presse gestatten würde, unsere Angelegen¬
heiten öffentlich zu besprechen. Die Herren Hofräthe und Staats¬
räthe, hochlöblich und hochverehrt, die Herren Minister und Präsi¬
denten Excellenz bilden al!e zusammen kaum ein Häuflein von hun-


dem Obern oder Vorgesetzten rapportirt wird. Gott behüte uns
vor dieser Geißel, die unserer schönsten Eigenschaft, der vielberühm¬
ten Milde uns berauben würde. Wie konnte man allen diesen gu¬
ten Familienvätern, treuen Unterthanen, fünfundzwanzigjährigen
Dienern, ihre kleinen, und vollends ihre großen Schwachen durch die
Finger sehen, wenn die Presse jede Pflichtverletzung, jeden Mi߬
brauch öffentlich — und wäre es auch in den anständigsten und
gemäßigtesten Ausdrücken — denunciren dürfte! Zwar geht eme
dunkle Sage umher, daß ein Censurgcsetz vom Jahre 1810 erlstire,
welches der Presse einen in wohlmeinenden Sinn und anständig
ausgesprochenen Tadel zugestehe. Allein Dank sei es der bessern
Einsicht späterer Jahre, dieses Gesetz ist jetzt wie eine alte Mythe
verklungen. Unsere vielberühmte Milde, die sich darin einen Au¬
genblick verläugnete, ist wieder in voller Strömung zurückgekehrt.
Was wollte man auch mit jenem Gesetz? Höchstens würde es
den Männern, die an der Spitze der Verwaltung stehen, zu Gute
kommen; die obersten Behörden, die in Wien centralisirt sind und
ihre Augen nicht überall haben können, würden mittelst der Ent¬
hüllungen der Presse einen offenen Blick in die tausend und tausend
kleinen Räder der Staatsmaschine werfen können, die öffentlichen
Berichte, die über die Zustände der einzelnen und entfernten Theile
deö Staates und der Gesellschaft geliefert würden, müßten den
Ueberblick erleichtern und bisher verhüllte Schmutzflecke, Hemmnisse
und Unterschleife offen legen; aber dieses Alles würde blos ihre
Wirksamkeit kräftigen, es würde blos ihre Stellung zum Staate
und Volke veredeln, die Achtung vor ihnen erhöhen, das Vertrauen
zu ihnen stärken und die Krone bereichern und befestigen. Die
Krone jedoch ist reich genug, die obersten Räthe sind nur ein klei¬
nes Häuflein. Ein weiser Staat muß die Interessen der Majori¬
tät zu fördern suchen, und die Majorität sind wir, das ungeheure
Heer von Räthen, Secrerären, Kanzelisten und Prädicanten. DaS
muß man vor Allem berücksichtigen; unsere Interessen, unsere Ruhe,
unsere kleinen Nebeneinkünfte würden gestört und geschmälert, wenn
man der gottverfluchten Presse gestatten würde, unsere Angelegen¬
heiten öffentlich zu besprechen. Die Herren Hofräthe und Staats¬
räthe, hochlöblich und hochverehrt, die Herren Minister und Präsi¬
denten Excellenz bilden al!e zusammen kaum ein Häuflein von hun-


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[0487] dem Obern oder Vorgesetzten rapportirt wird. Gott behüte uns vor dieser Geißel, die unserer schönsten Eigenschaft, der vielberühm¬ ten Milde uns berauben würde. Wie konnte man allen diesen gu¬ ten Familienvätern, treuen Unterthanen, fünfundzwanzigjährigen Dienern, ihre kleinen, und vollends ihre großen Schwachen durch die Finger sehen, wenn die Presse jede Pflichtverletzung, jeden Mi߬ brauch öffentlich — und wäre es auch in den anständigsten und gemäßigtesten Ausdrücken — denunciren dürfte! Zwar geht eme dunkle Sage umher, daß ein Censurgcsetz vom Jahre 1810 erlstire, welches der Presse einen in wohlmeinenden Sinn und anständig ausgesprochenen Tadel zugestehe. Allein Dank sei es der bessern Einsicht späterer Jahre, dieses Gesetz ist jetzt wie eine alte Mythe verklungen. Unsere vielberühmte Milde, die sich darin einen Au¬ genblick verläugnete, ist wieder in voller Strömung zurückgekehrt. Was wollte man auch mit jenem Gesetz? Höchstens würde es den Männern, die an der Spitze der Verwaltung stehen, zu Gute kommen; die obersten Behörden, die in Wien centralisirt sind und ihre Augen nicht überall haben können, würden mittelst der Ent¬ hüllungen der Presse einen offenen Blick in die tausend und tausend kleinen Räder der Staatsmaschine werfen können, die öffentlichen Berichte, die über die Zustände der einzelnen und entfernten Theile deö Staates und der Gesellschaft geliefert würden, müßten den Ueberblick erleichtern und bisher verhüllte Schmutzflecke, Hemmnisse und Unterschleife offen legen; aber dieses Alles würde blos ihre Wirksamkeit kräftigen, es würde blos ihre Stellung zum Staate und Volke veredeln, die Achtung vor ihnen erhöhen, das Vertrauen zu ihnen stärken und die Krone bereichern und befestigen. Die Krone jedoch ist reich genug, die obersten Räthe sind nur ein klei¬ nes Häuflein. Ein weiser Staat muß die Interessen der Majori¬ tät zu fördern suchen, und die Majorität sind wir, das ungeheure Heer von Räthen, Secrerären, Kanzelisten und Prädicanten. DaS muß man vor Allem berücksichtigen; unsere Interessen, unsere Ruhe, unsere kleinen Nebeneinkünfte würden gestört und geschmälert, wenn man der gottverfluchten Presse gestatten würde, unsere Angelegen¬ heiten öffentlich zu besprechen. Die Herren Hofräthe und Staats¬ räthe, hochlöblich und hochverehrt, die Herren Minister und Präsi¬ denten Excellenz bilden al!e zusammen kaum ein Häuflein von hun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/487>, abgerufen am 22.12.2024.