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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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wieder sehr gute Männer, brave Familienväter, treue Unterthanen
mit ganzen Häusern voll Kindern sind und ihre Geschäfte nicht zu
den Gerichtsständen verlassen mögen. Und warum sollte man ge¬
rade ihm beim Schöpfe fassen? Haben es seine Vorgänger nicht
eben so gemacht? Ist dieß nicht eine Herkömmlichkeit, die aller¬
dings wider die Vorschrift ist, aber durch die lange Praxis eine
historische Ehrwürdigkeit erhalten hat?

Aber um aller Heiligen Willen, warum hat man diesen Mi߬
bräuchen so lange Zeit gelassen, bis sie grau wurden, warum hat
man sie nicht gefaßt und niedergetreten, als sie noch jung und grün
waren?

Freilich, freilich! Aber, wer hat denn von ihrer Existenz da¬
mals gewußt? Wo kein Kläger, ist kein Richter. Anders ist's
bei Privatpersonen, anders wo es sich um eine ganze Behörde han¬
delt. Bei Privatpersonen, da ist diese gute, wachsame und zärtliche
Frau Polizei überall bei der Hand, sie packt lieber einen mehr als
einen weniger beim Kragen, und entschlüpft hier und da eine arme
Fliege ihren Augen, so findet sich immer eins jener dienstwilligen
und liebenswürdigen Geschöpfe, welche der Plebs Denuntiantm
heißt, um die arme Fliege auch im kleinsten, dunkelsten Löchelchen
aufzuspüren. Bei einzelnen Personen fehlt es nie an Richtern,
weil es der Ankläger im Ueberflusse giebt. Nicht so bei Behörden
und Aemtern - diese zu überwachen, ist nicht das Geschäft der Po¬
lizei. Die Schilderhäuschen, die an den Thoren unserer Behörde
stehen, sind wie die Herculessäulen, die zu der Polizei sagen: bis
hierher und nicht weiter. Nicht zu jener niedern Polizei, die auf
Straßen und in Privathäuser ihre Späherblicke sendet, sondern zu
jener höhern Polizei, die in andern Staaten in der Gestalt des
Staatsprocurators die Aufsicht über den sämmtlichen Gerichtsgang
führt. In andern Ländern, die minder glücklich sind, als wir, giebt
es sogar noch eine Polizei, die nicht einmal Ehrfurcht vor einem
Schilderhaus hat, die zudringlich und keck ihr Augenmerk auf Alles
richtet und unter dem Namen der freien Presse berüchtigt ist. Wo
diese Geißel grassirt, da ist nicht einmal ein Beamter in den ver¬
schwiegenen Mauern seines Bureaus im Stande, dem Gesetz eine
Nase zu drehen, ohne vor der Gefahr zu zittern, daß es von irgend
einem Journal der öffentlichen Meinung, oder, was noch schlimmer,


wieder sehr gute Männer, brave Familienväter, treue Unterthanen
mit ganzen Häusern voll Kindern sind und ihre Geschäfte nicht zu
den Gerichtsständen verlassen mögen. Und warum sollte man ge¬
rade ihm beim Schöpfe fassen? Haben es seine Vorgänger nicht
eben so gemacht? Ist dieß nicht eine Herkömmlichkeit, die aller¬
dings wider die Vorschrift ist, aber durch die lange Praxis eine
historische Ehrwürdigkeit erhalten hat?

Aber um aller Heiligen Willen, warum hat man diesen Mi߬
bräuchen so lange Zeit gelassen, bis sie grau wurden, warum hat
man sie nicht gefaßt und niedergetreten, als sie noch jung und grün
waren?

Freilich, freilich! Aber, wer hat denn von ihrer Existenz da¬
mals gewußt? Wo kein Kläger, ist kein Richter. Anders ist's
bei Privatpersonen, anders wo es sich um eine ganze Behörde han¬
delt. Bei Privatpersonen, da ist diese gute, wachsame und zärtliche
Frau Polizei überall bei der Hand, sie packt lieber einen mehr als
einen weniger beim Kragen, und entschlüpft hier und da eine arme
Fliege ihren Augen, so findet sich immer eins jener dienstwilligen
und liebenswürdigen Geschöpfe, welche der Plebs Denuntiantm
heißt, um die arme Fliege auch im kleinsten, dunkelsten Löchelchen
aufzuspüren. Bei einzelnen Personen fehlt es nie an Richtern,
weil es der Ankläger im Ueberflusse giebt. Nicht so bei Behörden
und Aemtern - diese zu überwachen, ist nicht das Geschäft der Po¬
lizei. Die Schilderhäuschen, die an den Thoren unserer Behörde
stehen, sind wie die Herculessäulen, die zu der Polizei sagen: bis
hierher und nicht weiter. Nicht zu jener niedern Polizei, die auf
Straßen und in Privathäuser ihre Späherblicke sendet, sondern zu
jener höhern Polizei, die in andern Staaten in der Gestalt des
Staatsprocurators die Aufsicht über den sämmtlichen Gerichtsgang
führt. In andern Ländern, die minder glücklich sind, als wir, giebt
es sogar noch eine Polizei, die nicht einmal Ehrfurcht vor einem
Schilderhaus hat, die zudringlich und keck ihr Augenmerk auf Alles
richtet und unter dem Namen der freien Presse berüchtigt ist. Wo
diese Geißel grassirt, da ist nicht einmal ein Beamter in den ver¬
schwiegenen Mauern seines Bureaus im Stande, dem Gesetz eine
Nase zu drehen, ohne vor der Gefahr zu zittern, daß es von irgend
einem Journal der öffentlichen Meinung, oder, was noch schlimmer,


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[0486] wieder sehr gute Männer, brave Familienväter, treue Unterthanen mit ganzen Häusern voll Kindern sind und ihre Geschäfte nicht zu den Gerichtsständen verlassen mögen. Und warum sollte man ge¬ rade ihm beim Schöpfe fassen? Haben es seine Vorgänger nicht eben so gemacht? Ist dieß nicht eine Herkömmlichkeit, die aller¬ dings wider die Vorschrift ist, aber durch die lange Praxis eine historische Ehrwürdigkeit erhalten hat? Aber um aller Heiligen Willen, warum hat man diesen Mi߬ bräuchen so lange Zeit gelassen, bis sie grau wurden, warum hat man sie nicht gefaßt und niedergetreten, als sie noch jung und grün waren? Freilich, freilich! Aber, wer hat denn von ihrer Existenz da¬ mals gewußt? Wo kein Kläger, ist kein Richter. Anders ist's bei Privatpersonen, anders wo es sich um eine ganze Behörde han¬ delt. Bei Privatpersonen, da ist diese gute, wachsame und zärtliche Frau Polizei überall bei der Hand, sie packt lieber einen mehr als einen weniger beim Kragen, und entschlüpft hier und da eine arme Fliege ihren Augen, so findet sich immer eins jener dienstwilligen und liebenswürdigen Geschöpfe, welche der Plebs Denuntiantm heißt, um die arme Fliege auch im kleinsten, dunkelsten Löchelchen aufzuspüren. Bei einzelnen Personen fehlt es nie an Richtern, weil es der Ankläger im Ueberflusse giebt. Nicht so bei Behörden und Aemtern - diese zu überwachen, ist nicht das Geschäft der Po¬ lizei. Die Schilderhäuschen, die an den Thoren unserer Behörde stehen, sind wie die Herculessäulen, die zu der Polizei sagen: bis hierher und nicht weiter. Nicht zu jener niedern Polizei, die auf Straßen und in Privathäuser ihre Späherblicke sendet, sondern zu jener höhern Polizei, die in andern Staaten in der Gestalt des Staatsprocurators die Aufsicht über den sämmtlichen Gerichtsgang führt. In andern Ländern, die minder glücklich sind, als wir, giebt es sogar noch eine Polizei, die nicht einmal Ehrfurcht vor einem Schilderhaus hat, die zudringlich und keck ihr Augenmerk auf Alles richtet und unter dem Namen der freien Presse berüchtigt ist. Wo diese Geißel grassirt, da ist nicht einmal ein Beamter in den ver¬ schwiegenen Mauern seines Bureaus im Stande, dem Gesetz eine Nase zu drehen, ohne vor der Gefahr zu zittern, daß es von irgend einem Journal der öffentlichen Meinung, oder, was noch schlimmer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/486>, abgerufen am 01.09.2024.