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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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zeigt er, daß die Verfasser der erwähnten Abhandlungen einen den
Landtagsabschieden gegenüber unberechtigten Standpunkt einnehmen, in¬
dem sie von den Vorstellungen des Ncpräsentativsystcms, anstatt von
denen der absoluten Monarchie ausgehen. Nichts ist wahrer. In
dem Landtagsabschiede für die Rheinprovinz hieß es in Bezug auf die
Juden: es sei des Königs Absicht nicht, eine "völlige Gleichstellung"
derselben mit den christlichen Unterthanen eintreten zu lassen, und er
halte sich auch überzeugt, daß der so weit gehende Antrag der Stande
bei der Mehrzahl der christlichen Unterthanen keine Unterstützung fin¬
den würde. Aehnliche Berufungen auf die öffentliche Meinung kom¬
men auch sonst noch in den Landtagsabschieden vor. Da fragt denn die
Cölnische Zeitung: woher die Regierung die öffentliche Meinung, in¬
sofern diese von der ausgesprochenen Ansicht der Stande abweiche, er¬
kennen wollte, da nur die Stande als das gesetzmäßige Organ des
Landes anerkant und auch in dem Landtagsabschiede selbst anderwärts
als die "Stimme der Provinzen" bezeichnet sind. Nach der constitu-
tionellen Idee giebt es nun allerdings, um irgend etwas im Staate
zu vernehmen oder zu wirken, keine Mittel und Wege, außer denen,
welche die Verfassung als Organe des Staatslebens hingestellt hat;
aber daß dem in der wirklichen Welt so sei, wird Niemand behaup¬
ten wollen. Wir Alle, die wir den Gang der Ereignisse beobachten,
trauen uns mehr oder minder einen Blick für das, was die Gemü¬
ther im Allgemeinen bewegt, ein Urtheil über das, was nur vorüber¬
gehende Regung und was dauernde Stimmung sei, und wir trauen
uns ein solches Urtheil oft auch im Widerspruch mit Ständen, Kam¬
mern und Presse zu; wir kritisiren alle diese Organe gelegentlich, und
glauben die Sache besser einzusehen, als sie, und besser zu wissen,
was das Volk denkt und will, nun, und die Regierung eines ab¬
soluten Staates sollte das nicht, oder sollte es nicht können oder nicht
dürfen? Constitutioncller Weise darf man nicht, wie sehr man auch
könne und wie gern man möchte; aber Preußen ist nun eben nicht
nach der konstitutionellen Idee verfaßt. Wenn die "gute" Presse auf
diese Weise den Kampf führt, so sührt sie ihn nicht nur gründlich,
sondern, was mehr ist, sie ist in großen: Bortheil gegen die "schlechte^
Presse, denn sie macht dadurch die Waffen zu ihren Gunsten ungleich.
Ihr Vortheil besteht darin, daß sie ehrlich sein kann, weil sie es darf,
während ihre Gegnerin, um wicksam zu kämpfen, aus listige Angriffe
beschränkt ist. Der Kampf ist, wie ich schon im vorigen Briefe sagte,
in Wahrheit ein Prinzipienkamps; die "gute" Presse kann ihn nun
seiner Natur gemäß führen und ihr Prinzip vertheidigen, während es
der Gegnerin verwehrt ist, für das ihrige offen, in die Schranken zu
treten, denn das Censurgcsetz verbietet das; diese Gegnerin kann also
für ihr Prinzip, nur fechten, indem sie es nicht merken läßt, daß es ein
dem herrschenden Prinzip seindsiligcö ist; indem die "gute" Presse


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zeigt er, daß die Verfasser der erwähnten Abhandlungen einen den
Landtagsabschieden gegenüber unberechtigten Standpunkt einnehmen, in¬
dem sie von den Vorstellungen des Ncpräsentativsystcms, anstatt von
denen der absoluten Monarchie ausgehen. Nichts ist wahrer. In
dem Landtagsabschiede für die Rheinprovinz hieß es in Bezug auf die
Juden: es sei des Königs Absicht nicht, eine „völlige Gleichstellung"
derselben mit den christlichen Unterthanen eintreten zu lassen, und er
halte sich auch überzeugt, daß der so weit gehende Antrag der Stande
bei der Mehrzahl der christlichen Unterthanen keine Unterstützung fin¬
den würde. Aehnliche Berufungen auf die öffentliche Meinung kom¬
men auch sonst noch in den Landtagsabschieden vor. Da fragt denn die
Cölnische Zeitung: woher die Regierung die öffentliche Meinung, in¬
sofern diese von der ausgesprochenen Ansicht der Stande abweiche, er¬
kennen wollte, da nur die Stande als das gesetzmäßige Organ des
Landes anerkant und auch in dem Landtagsabschiede selbst anderwärts
als die „Stimme der Provinzen" bezeichnet sind. Nach der constitu-
tionellen Idee giebt es nun allerdings, um irgend etwas im Staate
zu vernehmen oder zu wirken, keine Mittel und Wege, außer denen,
welche die Verfassung als Organe des Staatslebens hingestellt hat;
aber daß dem in der wirklichen Welt so sei, wird Niemand behaup¬
ten wollen. Wir Alle, die wir den Gang der Ereignisse beobachten,
trauen uns mehr oder minder einen Blick für das, was die Gemü¬
ther im Allgemeinen bewegt, ein Urtheil über das, was nur vorüber¬
gehende Regung und was dauernde Stimmung sei, und wir trauen
uns ein solches Urtheil oft auch im Widerspruch mit Ständen, Kam¬
mern und Presse zu; wir kritisiren alle diese Organe gelegentlich, und
glauben die Sache besser einzusehen, als sie, und besser zu wissen,
was das Volk denkt und will, nun, und die Regierung eines ab¬
soluten Staates sollte das nicht, oder sollte es nicht können oder nicht
dürfen? Constitutioncller Weise darf man nicht, wie sehr man auch
könne und wie gern man möchte; aber Preußen ist nun eben nicht
nach der konstitutionellen Idee verfaßt. Wenn die „gute" Presse auf
diese Weise den Kampf führt, so sührt sie ihn nicht nur gründlich,
sondern, was mehr ist, sie ist in großen: Bortheil gegen die „schlechte^
Presse, denn sie macht dadurch die Waffen zu ihren Gunsten ungleich.
Ihr Vortheil besteht darin, daß sie ehrlich sein kann, weil sie es darf,
während ihre Gegnerin, um wicksam zu kämpfen, aus listige Angriffe
beschränkt ist. Der Kampf ist, wie ich schon im vorigen Briefe sagte,
in Wahrheit ein Prinzipienkamps; die „gute" Presse kann ihn nun
seiner Natur gemäß führen und ihr Prinzip vertheidigen, während es
der Gegnerin verwehrt ist, für das ihrige offen, in die Schranken zu
treten, denn das Censurgcsetz verbietet das; diese Gegnerin kann also
für ihr Prinzip, nur fechten, indem sie es nicht merken läßt, daß es ein
dem herrschenden Prinzip seindsiligcö ist; indem die „gute" Presse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/467>, abgerufen am 23.12.2024.