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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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schule in Reichenberg) eben nur als Nachrichten vom Lande
mittheilt?

"Die Antwort auf alle diese Fragen ist einfach, aber deswegen
nicht minder von Belang. Dank sei es den vielen gelehrten und
ungelehrten Dissertationen über den Begriff des Wortes Nationa¬
lität, die man uns seit einem Jahrzehend in den Kopf und in das
Gemüth hineingetrommelt hat, dies schöne einfache Wort ist ein Un¬
ding geworden, unter dessen breitem Schatten jede Letdsnschaft und
jede Eitelkeit ihr Plätzchen findet, und vor der Sonne des
lebendigen Fortschrittes geschützt, den Keim der Zwietracht und der
Spaltung säet. Ein großer Theil Derjenigen, deren Muttersprache
die czechische ist, oder die aus andern Gründen sich der Beförde¬
rung dieser Sprache annehmen, blickt stolz und feindlich über den
neben ihnen stehenden deutsch sprechenden und deutsch gebildeten
Landesbruder, der Freud und Leid, Gesetz und Negierung mit ihnen
gemeinschaftlich genießt, hinweg nach jenen Millionen, die geogra¬
phisch und politisch von ihnen getrennt, eine der czechischen stamm¬
verwandte Sprache reden. Dieser Theil, diese Partei will sich als
Nation hinstellen, tritt als Nation in der Nation auf; sie macht
das Hirngespinst derjenigen Nationalität, welche sie mit den Po¬
len, Jllyriern, Serben u. s. w. zusammenschließt, die sprachliche
geltend, und sieht von den praktischen Anforderungen der politischen
Nationalität ab, welche sie den im Lande wohnenden Deutschböh¬
men eint; sie macht die Taschensptelerei, die politische Nationali¬
tät der böhmischen Nation verschwinden und an deren Stelle die
der czechischen Sprachen-Nationalität erscheinen zu lassen, und sie
zielt offenbar dahin, die Deutschböhmen als Fremde in dem Lande
hinzustellen, welches sie seit Jahrhunderten, gleich ihren czechischen
Brüdern, geliebt, und eben so mit ihrem Blut vertheidigt, als mit
ihrem Fleiß und ihrer Intelligenz geschmückt und gehoben haben.
Ohne Kampf werden wir wahrlich nicht weichen, doch schließen wir
mit der Zuversicht auf ein friedliches Verständniß, dessen Gewähr
uns der gesunde edle Sinn unserer czechischen Landesbrüder ist, den
wir von dem Treiben einiger Ueberspannten und Irregeleiteter wohl
zu unterscheiden wissen."




schule in Reichenberg) eben nur als Nachrichten vom Lande
mittheilt?

„Die Antwort auf alle diese Fragen ist einfach, aber deswegen
nicht minder von Belang. Dank sei es den vielen gelehrten und
ungelehrten Dissertationen über den Begriff des Wortes Nationa¬
lität, die man uns seit einem Jahrzehend in den Kopf und in das
Gemüth hineingetrommelt hat, dies schöne einfache Wort ist ein Un¬
ding geworden, unter dessen breitem Schatten jede Letdsnschaft und
jede Eitelkeit ihr Plätzchen findet, und vor der Sonne des
lebendigen Fortschrittes geschützt, den Keim der Zwietracht und der
Spaltung säet. Ein großer Theil Derjenigen, deren Muttersprache
die czechische ist, oder die aus andern Gründen sich der Beförde¬
rung dieser Sprache annehmen, blickt stolz und feindlich über den
neben ihnen stehenden deutsch sprechenden und deutsch gebildeten
Landesbruder, der Freud und Leid, Gesetz und Negierung mit ihnen
gemeinschaftlich genießt, hinweg nach jenen Millionen, die geogra¬
phisch und politisch von ihnen getrennt, eine der czechischen stamm¬
verwandte Sprache reden. Dieser Theil, diese Partei will sich als
Nation hinstellen, tritt als Nation in der Nation auf; sie macht
das Hirngespinst derjenigen Nationalität, welche sie mit den Po¬
len, Jllyriern, Serben u. s. w. zusammenschließt, die sprachliche
geltend, und sieht von den praktischen Anforderungen der politischen
Nationalität ab, welche sie den im Lande wohnenden Deutschböh¬
men eint; sie macht die Taschensptelerei, die politische Nationali¬
tät der böhmischen Nation verschwinden und an deren Stelle die
der czechischen Sprachen-Nationalität erscheinen zu lassen, und sie
zielt offenbar dahin, die Deutschböhmen als Fremde in dem Lande
hinzustellen, welches sie seit Jahrhunderten, gleich ihren czechischen
Brüdern, geliebt, und eben so mit ihrem Blut vertheidigt, als mit
ihrem Fleiß und ihrer Intelligenz geschmückt und gehoben haben.
Ohne Kampf werden wir wahrlich nicht weichen, doch schließen wir
mit der Zuversicht auf ein friedliches Verständniß, dessen Gewähr
uns der gesunde edle Sinn unserer czechischen Landesbrüder ist, den
wir von dem Treiben einiger Ueberspannten und Irregeleiteter wohl
zu unterscheiden wissen."




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[0458] schule in Reichenberg) eben nur als Nachrichten vom Lande mittheilt? „Die Antwort auf alle diese Fragen ist einfach, aber deswegen nicht minder von Belang. Dank sei es den vielen gelehrten und ungelehrten Dissertationen über den Begriff des Wortes Nationa¬ lität, die man uns seit einem Jahrzehend in den Kopf und in das Gemüth hineingetrommelt hat, dies schöne einfache Wort ist ein Un¬ ding geworden, unter dessen breitem Schatten jede Letdsnschaft und jede Eitelkeit ihr Plätzchen findet, und vor der Sonne des lebendigen Fortschrittes geschützt, den Keim der Zwietracht und der Spaltung säet. Ein großer Theil Derjenigen, deren Muttersprache die czechische ist, oder die aus andern Gründen sich der Beförde¬ rung dieser Sprache annehmen, blickt stolz und feindlich über den neben ihnen stehenden deutsch sprechenden und deutsch gebildeten Landesbruder, der Freud und Leid, Gesetz und Negierung mit ihnen gemeinschaftlich genießt, hinweg nach jenen Millionen, die geogra¬ phisch und politisch von ihnen getrennt, eine der czechischen stamm¬ verwandte Sprache reden. Dieser Theil, diese Partei will sich als Nation hinstellen, tritt als Nation in der Nation auf; sie macht das Hirngespinst derjenigen Nationalität, welche sie mit den Po¬ len, Jllyriern, Serben u. s. w. zusammenschließt, die sprachliche geltend, und sieht von den praktischen Anforderungen der politischen Nationalität ab, welche sie den im Lande wohnenden Deutschböh¬ men eint; sie macht die Taschensptelerei, die politische Nationali¬ tät der böhmischen Nation verschwinden und an deren Stelle die der czechischen Sprachen-Nationalität erscheinen zu lassen, und sie zielt offenbar dahin, die Deutschböhmen als Fremde in dem Lande hinzustellen, welches sie seit Jahrhunderten, gleich ihren czechischen Brüdern, geliebt, und eben so mit ihrem Blut vertheidigt, als mit ihrem Fleiß und ihrer Intelligenz geschmückt und gehoben haben. Ohne Kampf werden wir wahrlich nicht weichen, doch schließen wir mit der Zuversicht auf ein friedliches Verständniß, dessen Gewähr uns der gesunde edle Sinn unserer czechischen Landesbrüder ist, den wir von dem Treiben einiger Ueberspannten und Irregeleiteter wohl zu unterscheiden wissen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/458>, abgerufen am 01.09.2024.