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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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din, daß sie oft (wenigstens that sie es in früherer Zeit) eine große
Schaar kleiner Mädchen um sich versammelt und sie, eine liebe¬
volle Kinderfreundin, wie in ihren Büchern auf einnehmende Weise
belehrt und sich mit ihnen über hundert schöne Dinge unterhält.
Ueberhaupt hat sie den Zug zu einer Humoristin, wie man sie un¬
ter den Aristokratinnen des philosophischen Jahrhunderts nicht sel¬
ten fand, die aber in unserer Zeit in Frauenvereinen vcrphilisterten.

-- Diese Kinderfreundschaft gefällt mir ganz besonders; wenn
Sie ihr schreiben, so grüßen Sie sie, von einer Frau die sie verehrt.

-- O, es giebt in Weimar noch eine hübsche Zahl von Frauen,
die Sie grüßen lassen könnten. Da ist z. B. Frau von Ahlefeld
und Adele Schopenhauer. Aber beide waren zur Zeit nicht in
Weimar, und ich habe an der Bekanntschaft dieser Damen ge¬
wiß viel verloren; dafür aber machte ich eine andere, die mir hun¬
dert aufwiegt. Ich lernte eine Frau kennen, bei deren Anblick, bei
deren Worte ich mich mit Eins in die Sturm- und Drangzcit des
vorigen Jahrhunderts zurückversetzt fühlte, wie ruhevoll auch dieser
Anblick, wie priesterlich friedlich auch jedes Wort dieser Frau war.
Diese Frau aber ist Frau von Wollzogen, die erste Beschützerin des
flüchtigen Genies, das mit Flammenschrift seinen Namen Friedrich
Schiller Deutschlands Herzen einschrieb, die erste Freundin Deß
dein alle jungen Herzen in Ewigkeit mit Begeisterung entgegen¬
fliegen. Sie wohnt in Jena, und eine liebenswürdige Freundin
der Frau v. Groß gab mir ein Empfehlungsschreiben an sie. Wie
ich hinauswanderte zu dem stillen Hause weit vor dem Thore,
war es mir als lebte ich in einem Mährchen und wanderte zu
längst entschwundenen Zeiten zurück. Wie ich in die verhangene,
dämmernde Stube eintrat, war mir sonderbar zu Muthe; ich leicht¬
sinniges junges Blut fühlte da vielleicht zum ersten Male so recht
innig, was das heißt: Ehrfurcht vor dem Alter! Frau von Woll¬
zogen saß in einem tiefen Großvaterstuhle, blaß, vom Alter tief ge¬
beugt, kaum ihrer Augen und ihrer Stimme mächtig. Aber so ehr¬
würdig, ach so ehrwürdig! Kaum wagte ich es, mich in ihrer
Gegenwart niederzusetzen, und wie ich saß, saß ich auch nur halb,
immer halb stehend, immer bereit ihr beizuspringen und ihr mit freu¬
diger Ehrfurcht zu dienen. Wie sie zu mir sprach war es mir, als
spräche ein weiser guter Geist von alten Zeiten und längst dahin¬
gegangenen Herrlichkeiten und Hingeschiedenen großen Helden. Un-


din, daß sie oft (wenigstens that sie es in früherer Zeit) eine große
Schaar kleiner Mädchen um sich versammelt und sie, eine liebe¬
volle Kinderfreundin, wie in ihren Büchern auf einnehmende Weise
belehrt und sich mit ihnen über hundert schöne Dinge unterhält.
Ueberhaupt hat sie den Zug zu einer Humoristin, wie man sie un¬
ter den Aristokratinnen des philosophischen Jahrhunderts nicht sel¬
ten fand, die aber in unserer Zeit in Frauenvereinen vcrphilisterten.

— Diese Kinderfreundschaft gefällt mir ganz besonders; wenn
Sie ihr schreiben, so grüßen Sie sie, von einer Frau die sie verehrt.

— O, es giebt in Weimar noch eine hübsche Zahl von Frauen,
die Sie grüßen lassen könnten. Da ist z. B. Frau von Ahlefeld
und Adele Schopenhauer. Aber beide waren zur Zeit nicht in
Weimar, und ich habe an der Bekanntschaft dieser Damen ge¬
wiß viel verloren; dafür aber machte ich eine andere, die mir hun¬
dert aufwiegt. Ich lernte eine Frau kennen, bei deren Anblick, bei
deren Worte ich mich mit Eins in die Sturm- und Drangzcit des
vorigen Jahrhunderts zurückversetzt fühlte, wie ruhevoll auch dieser
Anblick, wie priesterlich friedlich auch jedes Wort dieser Frau war.
Diese Frau aber ist Frau von Wollzogen, die erste Beschützerin des
flüchtigen Genies, das mit Flammenschrift seinen Namen Friedrich
Schiller Deutschlands Herzen einschrieb, die erste Freundin Deß
dein alle jungen Herzen in Ewigkeit mit Begeisterung entgegen¬
fliegen. Sie wohnt in Jena, und eine liebenswürdige Freundin
der Frau v. Groß gab mir ein Empfehlungsschreiben an sie. Wie
ich hinauswanderte zu dem stillen Hause weit vor dem Thore,
war es mir als lebte ich in einem Mährchen und wanderte zu
längst entschwundenen Zeiten zurück. Wie ich in die verhangene,
dämmernde Stube eintrat, war mir sonderbar zu Muthe; ich leicht¬
sinniges junges Blut fühlte da vielleicht zum ersten Male so recht
innig, was das heißt: Ehrfurcht vor dem Alter! Frau von Woll¬
zogen saß in einem tiefen Großvaterstuhle, blaß, vom Alter tief ge¬
beugt, kaum ihrer Augen und ihrer Stimme mächtig. Aber so ehr¬
würdig, ach so ehrwürdig! Kaum wagte ich es, mich in ihrer
Gegenwart niederzusetzen, und wie ich saß, saß ich auch nur halb,
immer halb stehend, immer bereit ihr beizuspringen und ihr mit freu¬
diger Ehrfurcht zu dienen. Wie sie zu mir sprach war es mir, als
spräche ein weiser guter Geist von alten Zeiten und längst dahin¬
gegangenen Herrlichkeiten und Hingeschiedenen großen Helden. Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/452>, abgerufen am 06.10.2024.