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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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- "Schloß Goczin!"

-- Jda von Dühringsfcld kenne ich leider nicht, wie sehr ich
seit Jahren auf diese Bekanntschaft begierig bin; denn nach den
Gedichten, die sich in ihren Romanen zerstreut finden, muß sie eine
höchst poetische, tiefe, gemüthvolle Natur sein, tiefer und poetischer,
als die meisten unserer Frauen, vielleicht als alle. Doch erinnere
ich mich bei ihr an eine Dichterin, die vielleicht nur mir bekannt
und tief im Süden Deutschlands heimisch ist. Es ist eine stille
Mädchenseele von kaum zwei und zwanzig Jahren, die nichts schreibt,
als ihr Tagebuch und Briefe an ihre Freunde. Aber beide ent¬
halten reiche Schätze von Poesie, und in Bücher gesammelt wür¬
den sie ihrer Verfasserin bald einen schönen, blütenvollen Kranz
aufs Haupt setzen und ihr den Namen einer Dichterin erobern.
Aber daran denkt die gute, stille, bescheidene Seele nicht; Tags ist
sie wie Werthers Lotte mit ihren kleinen Geschwistern beschäftigt,
und erst spät Nachts kommt sie dazu, sich in ihrem kleinen Stüb-
chen hinzusetzen und schlicht aufzuschreiben, was sie denkt und em¬
pfindet. Alles mit jener Harmlosigkeit, als schriebe sie, noch ein
Kind, die Aufgaben für ihren Lehrer. ' Nur manchmal mag ihr
Herz bewegter schlagen und zittern, wenn sie ein Lied schreibt, wie
z. B. dieses, das ich ihr einst in trauriger Zeit geraubt habe und
das ich wie ein Kleinod bewahre. Hören Sie!

Da ich verzagen wollte
Kanst Du zu mir;
Mein Herz, das heimlich grollte,
Es neigte liebend sich zu Dir.
Mein Herz, das heimlich grollte,
Beglücktest Du;
Und da es brechen wollte,
Gabst Du ihm wieder seine Ruh!
O, war' es doch gebrochen!
Die Gnadenzeit,
Die mir Dein Blick versprochen,
Wie ist sie nun so weit, so weit!

- „Schloß Goczin!"

— Jda von Dühringsfcld kenne ich leider nicht, wie sehr ich
seit Jahren auf diese Bekanntschaft begierig bin; denn nach den
Gedichten, die sich in ihren Romanen zerstreut finden, muß sie eine
höchst poetische, tiefe, gemüthvolle Natur sein, tiefer und poetischer,
als die meisten unserer Frauen, vielleicht als alle. Doch erinnere
ich mich bei ihr an eine Dichterin, die vielleicht nur mir bekannt
und tief im Süden Deutschlands heimisch ist. Es ist eine stille
Mädchenseele von kaum zwei und zwanzig Jahren, die nichts schreibt,
als ihr Tagebuch und Briefe an ihre Freunde. Aber beide ent¬
halten reiche Schätze von Poesie, und in Bücher gesammelt wür¬
den sie ihrer Verfasserin bald einen schönen, blütenvollen Kranz
aufs Haupt setzen und ihr den Namen einer Dichterin erobern.
Aber daran denkt die gute, stille, bescheidene Seele nicht; Tags ist
sie wie Werthers Lotte mit ihren kleinen Geschwistern beschäftigt,
und erst spät Nachts kommt sie dazu, sich in ihrem kleinen Stüb-
chen hinzusetzen und schlicht aufzuschreiben, was sie denkt und em¬
pfindet. Alles mit jener Harmlosigkeit, als schriebe sie, noch ein
Kind, die Aufgaben für ihren Lehrer. ' Nur manchmal mag ihr
Herz bewegter schlagen und zittern, wenn sie ein Lied schreibt, wie
z. B. dieses, das ich ihr einst in trauriger Zeit geraubt habe und
das ich wie ein Kleinod bewahre. Hören Sie!

Da ich verzagen wollte
Kanst Du zu mir;
Mein Herz, das heimlich grollte,
Es neigte liebend sich zu Dir.
Mein Herz, das heimlich grollte,
Beglücktest Du;
Und da es brechen wollte,
Gabst Du ihm wieder seine Ruh!
O, war' es doch gebrochen!
Die Gnadenzeit,
Die mir Dein Blick versprochen,
Wie ist sie nun so weit, so weit!

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[0447] - „Schloß Goczin!" — Jda von Dühringsfcld kenne ich leider nicht, wie sehr ich seit Jahren auf diese Bekanntschaft begierig bin; denn nach den Gedichten, die sich in ihren Romanen zerstreut finden, muß sie eine höchst poetische, tiefe, gemüthvolle Natur sein, tiefer und poetischer, als die meisten unserer Frauen, vielleicht als alle. Doch erinnere ich mich bei ihr an eine Dichterin, die vielleicht nur mir bekannt und tief im Süden Deutschlands heimisch ist. Es ist eine stille Mädchenseele von kaum zwei und zwanzig Jahren, die nichts schreibt, als ihr Tagebuch und Briefe an ihre Freunde. Aber beide ent¬ halten reiche Schätze von Poesie, und in Bücher gesammelt wür¬ den sie ihrer Verfasserin bald einen schönen, blütenvollen Kranz aufs Haupt setzen und ihr den Namen einer Dichterin erobern. Aber daran denkt die gute, stille, bescheidene Seele nicht; Tags ist sie wie Werthers Lotte mit ihren kleinen Geschwistern beschäftigt, und erst spät Nachts kommt sie dazu, sich in ihrem kleinen Stüb- chen hinzusetzen und schlicht aufzuschreiben, was sie denkt und em¬ pfindet. Alles mit jener Harmlosigkeit, als schriebe sie, noch ein Kind, die Aufgaben für ihren Lehrer. ' Nur manchmal mag ihr Herz bewegter schlagen und zittern, wenn sie ein Lied schreibt, wie z. B. dieses, das ich ihr einst in trauriger Zeit geraubt habe und das ich wie ein Kleinod bewahre. Hören Sie! Da ich verzagen wollte Kanst Du zu mir; Mein Herz, das heimlich grollte, Es neigte liebend sich zu Dir. Mein Herz, das heimlich grollte, Beglücktest Du; Und da es brechen wollte, Gabst Du ihm wieder seine Ruh! O, war' es doch gebrochen! Die Gnadenzeit, Die mir Dein Blick versprochen, Wie ist sie nun so weit, so weit!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/447>, abgerufen am 07.10.2024.