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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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seite stehen die Mütter lind lächeln selig dem Freunde ihrer Kinder.
Das Ganze durchweht eine Lust, wie sich ein dichterisches oder
kindliches Gemüth die Atmosphäre des Himmels denkt; eine Luft
aus Sonnengold, Vlättergrün und Blumenduft zusammengeschmol¬
zen, von Palmenschatten sanft durchdäinnert. Es kam mir nicht
anders vor, denn als die sichtbare Darstellung des gläubigen, tief¬
poetischen, kindlichen Gemüthes. Wie gesagt, Bettina stand lange
davor. Mein Auge sprang unaufhörlich von ihr auf das Bild,
von dem Bilde zu ihr zurück; es war mir, als ergänzten die bei¬
den einander, als hätte ich für Bettina den Commentar in dem
Bilde, und für das Bild das Original in Bettina gefunden. Bet¬
tina ist klein und in ihren Bewegungen kindlich--kindisch. Sie steht,
wie ein Kind, nicht einen Augenblick ruhig, sondern hüpft unauf¬
hörlich von einem Fuß auf den andern, und dreht und wendet sich
mit einer Nonchalance, als wäre sie allein auf der Welt! Ihr
Gesicht ist ein merkwürdiges Gemisch von Jugend und Alter. Doch
war es mir nicht schwer, letzteres hinwegzudenken, und ich hatte
ganz und gar die kleine tolle Bettina, die dem alten Jakobi die
Nachtmütze in den See wirft, oder auf einer Eisscholle sich den
Strom hinabtreiben läßt. Mein Entschluß war gefaßt; ich wollte
Bettina auf jeden Fall kennen lernen, wie schwer man mir auch
den Umgang mit ihr schilderte. Kennen Sie die Worte Rückerts,
die sich so gut auf Bettinas Bücher, wie auf ihre Art und Weise
sich zu geben, beziehen lassen?


Kindischer Geberde
Dich zu necken scheint sie dort,
Dann den Muth zur Erde
Schlägt sie mit erwachsenen Wort.
Wenn Du sie willst nehmen
Für ein Kind, wie sie sich giebt,
Wird sie Dich beschämen,
Wenns ihr klug zu sein beliebt.
Wenn Du sie zu fassen
Nun beim Ernste denkst mit Glück,
Zieht sie sich (aus) gelassen
In den kind'schen Scherz zurück.

seite stehen die Mütter lind lächeln selig dem Freunde ihrer Kinder.
Das Ganze durchweht eine Lust, wie sich ein dichterisches oder
kindliches Gemüth die Atmosphäre des Himmels denkt; eine Luft
aus Sonnengold, Vlättergrün und Blumenduft zusammengeschmol¬
zen, von Palmenschatten sanft durchdäinnert. Es kam mir nicht
anders vor, denn als die sichtbare Darstellung des gläubigen, tief¬
poetischen, kindlichen Gemüthes. Wie gesagt, Bettina stand lange
davor. Mein Auge sprang unaufhörlich von ihr auf das Bild,
von dem Bilde zu ihr zurück; es war mir, als ergänzten die bei¬
den einander, als hätte ich für Bettina den Commentar in dem
Bilde, und für das Bild das Original in Bettina gefunden. Bet¬
tina ist klein und in ihren Bewegungen kindlich—kindisch. Sie steht,
wie ein Kind, nicht einen Augenblick ruhig, sondern hüpft unauf¬
hörlich von einem Fuß auf den andern, und dreht und wendet sich
mit einer Nonchalance, als wäre sie allein auf der Welt! Ihr
Gesicht ist ein merkwürdiges Gemisch von Jugend und Alter. Doch
war es mir nicht schwer, letzteres hinwegzudenken, und ich hatte
ganz und gar die kleine tolle Bettina, die dem alten Jakobi die
Nachtmütze in den See wirft, oder auf einer Eisscholle sich den
Strom hinabtreiben läßt. Mein Entschluß war gefaßt; ich wollte
Bettina auf jeden Fall kennen lernen, wie schwer man mir auch
den Umgang mit ihr schilderte. Kennen Sie die Worte Rückerts,
die sich so gut auf Bettinas Bücher, wie auf ihre Art und Weise
sich zu geben, beziehen lassen?


Kindischer Geberde
Dich zu necken scheint sie dort,
Dann den Muth zur Erde
Schlägt sie mit erwachsenen Wort.
Wenn Du sie willst nehmen
Für ein Kind, wie sie sich giebt,
Wird sie Dich beschämen,
Wenns ihr klug zu sein beliebt.
Wenn Du sie zu fassen
Nun beim Ernste denkst mit Glück,
Zieht sie sich (aus) gelassen
In den kind'schen Scherz zurück.

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[0445] seite stehen die Mütter lind lächeln selig dem Freunde ihrer Kinder. Das Ganze durchweht eine Lust, wie sich ein dichterisches oder kindliches Gemüth die Atmosphäre des Himmels denkt; eine Luft aus Sonnengold, Vlättergrün und Blumenduft zusammengeschmol¬ zen, von Palmenschatten sanft durchdäinnert. Es kam mir nicht anders vor, denn als die sichtbare Darstellung des gläubigen, tief¬ poetischen, kindlichen Gemüthes. Wie gesagt, Bettina stand lange davor. Mein Auge sprang unaufhörlich von ihr auf das Bild, von dem Bilde zu ihr zurück; es war mir, als ergänzten die bei¬ den einander, als hätte ich für Bettina den Commentar in dem Bilde, und für das Bild das Original in Bettina gefunden. Bet¬ tina ist klein und in ihren Bewegungen kindlich—kindisch. Sie steht, wie ein Kind, nicht einen Augenblick ruhig, sondern hüpft unauf¬ hörlich von einem Fuß auf den andern, und dreht und wendet sich mit einer Nonchalance, als wäre sie allein auf der Welt! Ihr Gesicht ist ein merkwürdiges Gemisch von Jugend und Alter. Doch war es mir nicht schwer, letzteres hinwegzudenken, und ich hatte ganz und gar die kleine tolle Bettina, die dem alten Jakobi die Nachtmütze in den See wirft, oder auf einer Eisscholle sich den Strom hinabtreiben läßt. Mein Entschluß war gefaßt; ich wollte Bettina auf jeden Fall kennen lernen, wie schwer man mir auch den Umgang mit ihr schilderte. Kennen Sie die Worte Rückerts, die sich so gut auf Bettinas Bücher, wie auf ihre Art und Weise sich zu geben, beziehen lassen? Kindischer Geberde Dich zu necken scheint sie dort, Dann den Muth zur Erde Schlägt sie mit erwachsenen Wort. Wenn Du sie willst nehmen Für ein Kind, wie sie sich giebt, Wird sie Dich beschämen, Wenns ihr klug zu sein beliebt. Wenn Du sie zu fassen Nun beim Ernste denkst mit Glück, Zieht sie sich (aus) gelassen In den kind'schen Scherz zurück.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/445>, abgerufen am 07.10.2024.