Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.nem Sitze, vor so viel Lieb und so viel Witze." Freiligraths "Rei¬ Sie kennen diese schöne Art des Bedauerns, das immer hin¬ Sie sind ein arger Heuchler, mein Freund! Nachdem Sie -- Nein, Eugenie! Eine gute Gattin, Hausfrau, Mutter 55*
nem Sitze, vor so viel Lieb und so viel Witze." Freiligraths „Rei¬ Sie kennen diese schöne Art des Bedauerns, das immer hin¬ Sie sind ein arger Heuchler, mein Freund! Nachdem Sie — Nein, Eugenie! Eine gute Gattin, Hausfrau, Mutter 55*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182253"/> <p xml:id="ID_1030" prev="#ID_1029"> nem Sitze, vor so viel Lieb und so viel Witze." Freiligraths „Rei¬<lb/> ter" diente ihr als strategischer Punkt, von welchem aus sie Alles<lb/> was seit zwanzig Jahren zu schreiben angefangen, mit platzenden<lb/> Granaten zu beschießen anfing. So oft sie mit Einem fertig war,<lb/> berief sie sich auf den Refrain jenes Gedichtes: Auch das ist Poesie.<lb/> Selbst Lenau beklagte die Gute! Natürlich, den Verfasser des<lb/> Faust und Savanorola konnte die gute Katholikin nicht gelten<lb/> lassen, die in einer ihrer Novellen, den Teufel durch den Anblick<lb/> eines Breviers in die Holle zurückjagt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1031"> Sie kennen diese schöne Art des Bedauerns, das immer hin¬<lb/> zufügt: ich will nichts Böses gesagt haben. Ich konnte mir die<lb/> Genugthuung nicht versagen, Frau Caroline Pichler geb. von Grei¬<lb/> ner an die alten Leute zu erinnern, die aus dem vorigen Jahrhun¬<lb/> dert stammend, kein Verständniß für die nette Zeit, für die Zeit<lb/> nach der französischen Revolution haben, und sich, wenn sie gescheidt<lb/> wären, lieber jedes Urtheils enthalten sollten. Natürlich nah», ich<lb/> sie mit ihrem hohen Geiste aus. Mitten in ihren Lamentationen<lb/> ließ Caroline Pichler manchmal ein bedauerndes Wörtlein einflie¬<lb/> ßen, daß sie nicht Zeit genug habe, die neue Literatur durchaus<lb/> kennen zu lernen, da sie die Wirthschaft zu sehr beschäftige; etwas,<lb/> worauf die Verfasserin des Germanicus immer aufmerksam machet»<lb/> wollte, daß sie nicht nur eine große Dichterin, sondern auch eine<lb/> vorzügliche Hauswirthin sei. In Gottes Namen, dann aber kriti-<lb/> sire man die neuen Einkäufe über Küche und Keller, aber nicht<lb/> Grün und Lenau. Nicht lange nach meiner Visite starb siez wir<lb/> wollen sie bedauern, sie soll wirklich eine gute Gattin, Hausfrau,<lb/> Mutter und Großmutter gewesen sein, ein größeres Verdienst als<lb/> das einer großen Schriftstellerin.</p><lb/> <p xml:id="ID_1032"> Sie sind ein arger Heuchler, mein Freund! Nachdem Sie<lb/> so über die arme Pichler abgeurtheilt, kommen Sie mit jenem ver¬<lb/> dächtigen Bedauern, von dem Sie vorhin selbst mit Verachtung ge¬<lb/> sprochen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1033" next="#ID_1034"> — Nein, Eugenie! Eine gute Gattin, Hausfrau, Mutter<lb/> und Großmutter bedauere ich aus ganzem Herzen, aber die Schrift¬<lb/> stellerin Pichler? weiß Gott, ich habe gegen wenige schreibende Fe¬<lb/> dern diesen Widerwillen. Lesen Sie nur die Memoiren, die nach<lb/> ihrem Tode erschienen, lesen Sie, wie sie über unsern Kaiser Jo-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 55*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0443]
nem Sitze, vor so viel Lieb und so viel Witze." Freiligraths „Rei¬
ter" diente ihr als strategischer Punkt, von welchem aus sie Alles
was seit zwanzig Jahren zu schreiben angefangen, mit platzenden
Granaten zu beschießen anfing. So oft sie mit Einem fertig war,
berief sie sich auf den Refrain jenes Gedichtes: Auch das ist Poesie.
Selbst Lenau beklagte die Gute! Natürlich, den Verfasser des
Faust und Savanorola konnte die gute Katholikin nicht gelten
lassen, die in einer ihrer Novellen, den Teufel durch den Anblick
eines Breviers in die Holle zurückjagt.
Sie kennen diese schöne Art des Bedauerns, das immer hin¬
zufügt: ich will nichts Böses gesagt haben. Ich konnte mir die
Genugthuung nicht versagen, Frau Caroline Pichler geb. von Grei¬
ner an die alten Leute zu erinnern, die aus dem vorigen Jahrhun¬
dert stammend, kein Verständniß für die nette Zeit, für die Zeit
nach der französischen Revolution haben, und sich, wenn sie gescheidt
wären, lieber jedes Urtheils enthalten sollten. Natürlich nah», ich
sie mit ihrem hohen Geiste aus. Mitten in ihren Lamentationen
ließ Caroline Pichler manchmal ein bedauerndes Wörtlein einflie¬
ßen, daß sie nicht Zeit genug habe, die neue Literatur durchaus
kennen zu lernen, da sie die Wirthschaft zu sehr beschäftige; etwas,
worauf die Verfasserin des Germanicus immer aufmerksam machet»
wollte, daß sie nicht nur eine große Dichterin, sondern auch eine
vorzügliche Hauswirthin sei. In Gottes Namen, dann aber kriti-
sire man die neuen Einkäufe über Küche und Keller, aber nicht
Grün und Lenau. Nicht lange nach meiner Visite starb siez wir
wollen sie bedauern, sie soll wirklich eine gute Gattin, Hausfrau,
Mutter und Großmutter gewesen sein, ein größeres Verdienst als
das einer großen Schriftstellerin.
Sie sind ein arger Heuchler, mein Freund! Nachdem Sie
so über die arme Pichler abgeurtheilt, kommen Sie mit jenem ver¬
dächtigen Bedauern, von dem Sie vorhin selbst mit Verachtung ge¬
sprochen.
— Nein, Eugenie! Eine gute Gattin, Hausfrau, Mutter
und Großmutter bedauere ich aus ganzem Herzen, aber die Schrift¬
stellerin Pichler? weiß Gott, ich habe gegen wenige schreibende Fe¬
dern diesen Widerwillen. Lesen Sie nur die Memoiren, die nach
ihrem Tode erschienen, lesen Sie, wie sie über unsern Kaiser Jo-
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