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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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und beleidigend scheinen, zumal sie eine Hingeschiedene betrifft; aber
helf mir Gott, ich kann nicht anders. Ich hatte nie diese Vereh¬
rung für sie, die die meisten Rächerinnen wirklich empfinden und
die meisten österreichischen Literaten affectiren. Schon in früher
Jugend, als ich ihren "jungen Maler" las, fühlte ich mich sehr
wenig von ihr angezogen, und die Memoiren, die nach ihrem Tode
veröffentlicht wurden, bestärkten mich nur in d.em Widerwillen, den
ich instinktmäßig dieser Frau gegenüber empfand.

-- Sie haben mir versprochen, nicht von Büchern, sondern
von Personen zu sprechen.

-- Erlauben Sie, Eugenie! Die Pichler und ihre Memoiren
sind eins und dasselbe. So wie sie in diesem Buche Schiller uno
Göthe mit Protectormiene auf die Schulter klopft, wie sie echt wei¬
bisch die Toilette der Frau von Stank bekrittelt, auf alles Junge
und Frische mit Verachtung und vornehmer Herablassung nieder"
sieht, und allem Alten, Verdumpften, Verschimmelteil lange Lobre"
den hält, ebenso war sie, nach der nur sehr kurzen Bekanntschaft
zu schließen, auch im Leben. Ihre Freundlichkeit, die sie beliebt
machen sollte, hatte etwas von selbstverlaugnerisch sein sollender
Herablassung, von einem Niedersteigen aus eingebildeter Höhe, ah!
ganz wie in ihrem Buche, in den Memoiren. Der gewisse Jnstinct
war auch Ursache, daß ich mehrere Jahre in Wien lebte, ohne die
geringste Lust nach der Bekanntschaft der Frau Caroline Pichler zu
verspüren, die man mir doch schon in der Schule als Verfasserin
der "Ruth" eifrigst als classische Schriftstellerin empfohlen hatte.
Ein Zufall, ich glaube es war eine Bestellung die ich für einen
Bekannten übernommen hatte, führte mich zu ihr. Sie wohnte in
ihrem eigenen schönen Hause in der Alservorstadt, in der Mitte ih¬
rer Enkel. Wie ich ins Zimmer trat und die alte Frau von lieb¬
lichen Kindern, wie einen Patriarchen umgeben sah, gefiel sie mir
ausnehmend, trotz ihrer harten Züge, ihrer derb ausgeprägten Phi-
siognomie. Hätte sie meine Bestellung angehört und mich dann
gehen lassen, mir wäre wohl und ich hätte ein hübsches Bild von
ihr mit fortgenommen. Aber nein! Sie nöthigte mich zum Si¬
tzen, und kaum hatte sie erfahren, daß ich auch eine schriftstellernde
Gansfeder führe, so begann sie so jämmerlich über die ganze junge
Literatur zu klagen und zu kritteln, daß mir "weh ward auf mei-


und beleidigend scheinen, zumal sie eine Hingeschiedene betrifft; aber
helf mir Gott, ich kann nicht anders. Ich hatte nie diese Vereh¬
rung für sie, die die meisten Rächerinnen wirklich empfinden und
die meisten österreichischen Literaten affectiren. Schon in früher
Jugend, als ich ihren „jungen Maler" las, fühlte ich mich sehr
wenig von ihr angezogen, und die Memoiren, die nach ihrem Tode
veröffentlicht wurden, bestärkten mich nur in d.em Widerwillen, den
ich instinktmäßig dieser Frau gegenüber empfand.

— Sie haben mir versprochen, nicht von Büchern, sondern
von Personen zu sprechen.

— Erlauben Sie, Eugenie! Die Pichler und ihre Memoiren
sind eins und dasselbe. So wie sie in diesem Buche Schiller uno
Göthe mit Protectormiene auf die Schulter klopft, wie sie echt wei¬
bisch die Toilette der Frau von Stank bekrittelt, auf alles Junge
und Frische mit Verachtung und vornehmer Herablassung nieder»
sieht, und allem Alten, Verdumpften, Verschimmelteil lange Lobre«
den hält, ebenso war sie, nach der nur sehr kurzen Bekanntschaft
zu schließen, auch im Leben. Ihre Freundlichkeit, die sie beliebt
machen sollte, hatte etwas von selbstverlaugnerisch sein sollender
Herablassung, von einem Niedersteigen aus eingebildeter Höhe, ah!
ganz wie in ihrem Buche, in den Memoiren. Der gewisse Jnstinct
war auch Ursache, daß ich mehrere Jahre in Wien lebte, ohne die
geringste Lust nach der Bekanntschaft der Frau Caroline Pichler zu
verspüren, die man mir doch schon in der Schule als Verfasserin
der „Ruth" eifrigst als classische Schriftstellerin empfohlen hatte.
Ein Zufall, ich glaube es war eine Bestellung die ich für einen
Bekannten übernommen hatte, führte mich zu ihr. Sie wohnte in
ihrem eigenen schönen Hause in der Alservorstadt, in der Mitte ih¬
rer Enkel. Wie ich ins Zimmer trat und die alte Frau von lieb¬
lichen Kindern, wie einen Patriarchen umgeben sah, gefiel sie mir
ausnehmend, trotz ihrer harten Züge, ihrer derb ausgeprägten Phi-
siognomie. Hätte sie meine Bestellung angehört und mich dann
gehen lassen, mir wäre wohl und ich hätte ein hübsches Bild von
ihr mit fortgenommen. Aber nein! Sie nöthigte mich zum Si¬
tzen, und kaum hatte sie erfahren, daß ich auch eine schriftstellernde
Gansfeder führe, so begann sie so jämmerlich über die ganze junge
Literatur zu klagen und zu kritteln, daß mir „weh ward auf mei-


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[0442] und beleidigend scheinen, zumal sie eine Hingeschiedene betrifft; aber helf mir Gott, ich kann nicht anders. Ich hatte nie diese Vereh¬ rung für sie, die die meisten Rächerinnen wirklich empfinden und die meisten österreichischen Literaten affectiren. Schon in früher Jugend, als ich ihren „jungen Maler" las, fühlte ich mich sehr wenig von ihr angezogen, und die Memoiren, die nach ihrem Tode veröffentlicht wurden, bestärkten mich nur in d.em Widerwillen, den ich instinktmäßig dieser Frau gegenüber empfand. — Sie haben mir versprochen, nicht von Büchern, sondern von Personen zu sprechen. — Erlauben Sie, Eugenie! Die Pichler und ihre Memoiren sind eins und dasselbe. So wie sie in diesem Buche Schiller uno Göthe mit Protectormiene auf die Schulter klopft, wie sie echt wei¬ bisch die Toilette der Frau von Stank bekrittelt, auf alles Junge und Frische mit Verachtung und vornehmer Herablassung nieder» sieht, und allem Alten, Verdumpften, Verschimmelteil lange Lobre« den hält, ebenso war sie, nach der nur sehr kurzen Bekanntschaft zu schließen, auch im Leben. Ihre Freundlichkeit, die sie beliebt machen sollte, hatte etwas von selbstverlaugnerisch sein sollender Herablassung, von einem Niedersteigen aus eingebildeter Höhe, ah! ganz wie in ihrem Buche, in den Memoiren. Der gewisse Jnstinct war auch Ursache, daß ich mehrere Jahre in Wien lebte, ohne die geringste Lust nach der Bekanntschaft der Frau Caroline Pichler zu verspüren, die man mir doch schon in der Schule als Verfasserin der „Ruth" eifrigst als classische Schriftstellerin empfohlen hatte. Ein Zufall, ich glaube es war eine Bestellung die ich für einen Bekannten übernommen hatte, führte mich zu ihr. Sie wohnte in ihrem eigenen schönen Hause in der Alservorstadt, in der Mitte ih¬ rer Enkel. Wie ich ins Zimmer trat und die alte Frau von lieb¬ lichen Kindern, wie einen Patriarchen umgeben sah, gefiel sie mir ausnehmend, trotz ihrer harten Züge, ihrer derb ausgeprägten Phi- siognomie. Hätte sie meine Bestellung angehört und mich dann gehen lassen, mir wäre wohl und ich hätte ein hübsches Bild von ihr mit fortgenommen. Aber nein! Sie nöthigte mich zum Si¬ tzen, und kaum hatte sie erfahren, daß ich auch eine schriftstellernde Gansfeder führe, so begann sie so jämmerlich über die ganze junge Literatur zu klagen und zu kritteln, daß mir „weh ward auf mei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/442>, abgerufen am 07.10.2024.