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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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byrinth sich einem aufthut, und wundert sich selbst über seinen eige¬
nen Geist und über seine eigene Ergiebigkeit. Aus einem Klümp-
lein roher Seide, das man ihr bietet, weiß sie wie eine geschickte
Spinnerin, einen langen, unendlichen Faden zu spinnen, aus dem
sie dann ein kunstvolles Netz flicht, welches sie einem über den Kopf
wirft, daß man darin als ihr freudiger Gefangener zappelt. In¬
dessen weiß ich nicht, welche von den beiden Damen dieses Mal
die andere gefangen hatte, denn ich traue diese Kunst wohl auch
der Verfasserin der Briefe aus dem Süden zu, und wir kamen zu
spät, als daß wir das interessante Manöver, wie eine geistreiche
Frau die andere umspinnt, hätten mit ansehen können. Wir hatten
nur noch die leichte Mühe, uns an die angesponnenen Fäden zu
halten, und uns von den Damen ins Schleppthau nehmen zu las¬
sen. Ich sah mir Therese genau an, und begriff, warum so viele
Hamburger über das häßliche Portrait in der illustrirten Zeitung
so empört waren; aber die Hamburger hatten doch Unrecht, denn
es giebt ein Etwas, das ein plumper Holzschnitt unmöglich nach¬
machen, und das nur ein feiner, englischer Stahlstich auf ari¬
stokratischem Papier wiedergeben kann. Es gehört zu manchem
Portrait eine gewisse aristokratische Ausstattung, Goldbuchstaben,
massive Sammetdeckel und dergl., so wie man sich die Originale
nicht ohne die reichsten Möbel, Tapeten, Bijour und dergl. denken
kann. So ist Therese. Alles an ihr ist aristokratisch duftig, ihre
Toilette, ihre Bewegungen, ihre Ruhe und ihre sichere, kühne Aus¬
drucksweise. Zum Ueberflusse ist sie auch schön.

-- Wie? zum Ueberflusse? das verstehe ich nicht!

-- Es ist sehr egoistisch von Ihnen, Eugenie, das nicht
verstehen zu wollen. Ja, ich sage zum Ueberflusse, auch weiß ich
nicht einmal genau, ob sie wirklich schön ist, ich weiß nur, daß
sie es entbehren kann, schön zu sein, sie hat genug an ihrer Art
und Weise, an dem gewissen Etwas, das von ihr ausgeht, und an
ihrem Auge. Auch von diesem weiß ich nicht, ob es den Regeln
der Schönheit entspricht, aber wie es so aus seiner Tiefe dunkel
hervorleuchtet, hat es einen gewissen zauberischen Reiz. Sehen Sie,
ich liebe diese kleinen Augen, die, wenn sie lachen, sich anstrengen
müssen, auch zugleich zu sehen, und diese Anstrengung, dieser Kampf
giebt ihnen etwas Komisches, aber auch etwas Liebliches, Kindli-


byrinth sich einem aufthut, und wundert sich selbst über seinen eige¬
nen Geist und über seine eigene Ergiebigkeit. Aus einem Klümp-
lein roher Seide, das man ihr bietet, weiß sie wie eine geschickte
Spinnerin, einen langen, unendlichen Faden zu spinnen, aus dem
sie dann ein kunstvolles Netz flicht, welches sie einem über den Kopf
wirft, daß man darin als ihr freudiger Gefangener zappelt. In¬
dessen weiß ich nicht, welche von den beiden Damen dieses Mal
die andere gefangen hatte, denn ich traue diese Kunst wohl auch
der Verfasserin der Briefe aus dem Süden zu, und wir kamen zu
spät, als daß wir das interessante Manöver, wie eine geistreiche
Frau die andere umspinnt, hätten mit ansehen können. Wir hatten
nur noch die leichte Mühe, uns an die angesponnenen Fäden zu
halten, und uns von den Damen ins Schleppthau nehmen zu las¬
sen. Ich sah mir Therese genau an, und begriff, warum so viele
Hamburger über das häßliche Portrait in der illustrirten Zeitung
so empört waren; aber die Hamburger hatten doch Unrecht, denn
es giebt ein Etwas, das ein plumper Holzschnitt unmöglich nach¬
machen, und das nur ein feiner, englischer Stahlstich auf ari¬
stokratischem Papier wiedergeben kann. Es gehört zu manchem
Portrait eine gewisse aristokratische Ausstattung, Goldbuchstaben,
massive Sammetdeckel und dergl., so wie man sich die Originale
nicht ohne die reichsten Möbel, Tapeten, Bijour und dergl. denken
kann. So ist Therese. Alles an ihr ist aristokratisch duftig, ihre
Toilette, ihre Bewegungen, ihre Ruhe und ihre sichere, kühne Aus¬
drucksweise. Zum Ueberflusse ist sie auch schön.

— Wie? zum Ueberflusse? das verstehe ich nicht!

— Es ist sehr egoistisch von Ihnen, Eugenie, das nicht
verstehen zu wollen. Ja, ich sage zum Ueberflusse, auch weiß ich
nicht einmal genau, ob sie wirklich schön ist, ich weiß nur, daß
sie es entbehren kann, schön zu sein, sie hat genug an ihrer Art
und Weise, an dem gewissen Etwas, das von ihr ausgeht, und an
ihrem Auge. Auch von diesem weiß ich nicht, ob es den Regeln
der Schönheit entspricht, aber wie es so aus seiner Tiefe dunkel
hervorleuchtet, hat es einen gewissen zauberischen Reiz. Sehen Sie,
ich liebe diese kleinen Augen, die, wenn sie lachen, sich anstrengen
müssen, auch zugleich zu sehen, und diese Anstrengung, dieser Kampf
giebt ihnen etwas Komisches, aber auch etwas Liebliches, Kindli-


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[0439] byrinth sich einem aufthut, und wundert sich selbst über seinen eige¬ nen Geist und über seine eigene Ergiebigkeit. Aus einem Klümp- lein roher Seide, das man ihr bietet, weiß sie wie eine geschickte Spinnerin, einen langen, unendlichen Faden zu spinnen, aus dem sie dann ein kunstvolles Netz flicht, welches sie einem über den Kopf wirft, daß man darin als ihr freudiger Gefangener zappelt. In¬ dessen weiß ich nicht, welche von den beiden Damen dieses Mal die andere gefangen hatte, denn ich traue diese Kunst wohl auch der Verfasserin der Briefe aus dem Süden zu, und wir kamen zu spät, als daß wir das interessante Manöver, wie eine geistreiche Frau die andere umspinnt, hätten mit ansehen können. Wir hatten nur noch die leichte Mühe, uns an die angesponnenen Fäden zu halten, und uns von den Damen ins Schleppthau nehmen zu las¬ sen. Ich sah mir Therese genau an, und begriff, warum so viele Hamburger über das häßliche Portrait in der illustrirten Zeitung so empört waren; aber die Hamburger hatten doch Unrecht, denn es giebt ein Etwas, das ein plumper Holzschnitt unmöglich nach¬ machen, und das nur ein feiner, englischer Stahlstich auf ari¬ stokratischem Papier wiedergeben kann. Es gehört zu manchem Portrait eine gewisse aristokratische Ausstattung, Goldbuchstaben, massive Sammetdeckel und dergl., so wie man sich die Originale nicht ohne die reichsten Möbel, Tapeten, Bijour und dergl. denken kann. So ist Therese. Alles an ihr ist aristokratisch duftig, ihre Toilette, ihre Bewegungen, ihre Ruhe und ihre sichere, kühne Aus¬ drucksweise. Zum Ueberflusse ist sie auch schön. — Wie? zum Ueberflusse? das verstehe ich nicht! — Es ist sehr egoistisch von Ihnen, Eugenie, das nicht verstehen zu wollen. Ja, ich sage zum Ueberflusse, auch weiß ich nicht einmal genau, ob sie wirklich schön ist, ich weiß nur, daß sie es entbehren kann, schön zu sein, sie hat genug an ihrer Art und Weise, an dem gewissen Etwas, das von ihr ausgeht, und an ihrem Auge. Auch von diesem weiß ich nicht, ob es den Regeln der Schönheit entspricht, aber wie es so aus seiner Tiefe dunkel hervorleuchtet, hat es einen gewissen zauberischen Reiz. Sehen Sie, ich liebe diese kleinen Augen, die, wenn sie lachen, sich anstrengen müssen, auch zugleich zu sehen, und diese Anstrengung, dieser Kampf giebt ihnen etwas Komisches, aber auch etwas Liebliches, Kindli-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/439>, abgerufen am 07.10.2024.