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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Jeder sich was Anderes vorstellt, und so schlägt man denn den Leu¬
ten damit in's Gesicht, die dann verblüfft, mit aufgesperrtem Munde
da stehen und nicht wissen, mit was für einem Instrument man ei¬
gentlich geschlagen habe. Lesen Sie Eugen Sue, Dumas, Hugo,
Sand, und jeden Augenblick werden Sie auf die Phrase stoßen: "ihre
Augen glänzten von jenem unheimlichen Feuer, wie es nur Schiller
zu schildern versteht", oder "seine Gestalt war einem jener nordischen
Titanen zu vergleichen, welche die unsterbliche Feder Jean Pauls ver¬
ewigte", oder "in seinem Kopfe drehten sich jene überirdischen räthsel¬
haft romantischen Ideen, die Lessing allein in Worte zu bannen
wußte". Michelet, der Professor, der Historiker, spricht von Schleier-
macher und Paulus, als hätte er zehn Jahre mit ihnen an einem
Tische gesessen. Geben Sie aber einem von diesen Herren ein deut¬
sches Buch, und Sie können versichert sein, er wird es verkehrt in
die Hand nehmen, wenn nicht die Seitenzahl und die auf dem Titel
gedruckte Jahresziffer ihm verräth, wo der Kopf und wo der Fuß ist.

Ist es das Glück, welches Winterhalter, Schlesinger und einige
andere deutsche Maler hier gemacht, ist es die nahe bevorstehende Er¬
öffnung der Kunstausstellung, ist es überhaupt Lust und Drang, den
französischen Malerstyl zu studiren; genug, seit einiger Zeit strömen
immer mehr und mehr deutsche Maler hierher, und wir haben jetzt
eine eben so zahlreiche Malercolonie wie eine Literatencolonie hier.
Möge nur den deutschen Malern der Aufenthalt in Paris fruchtbarer
werden, als den deutschen Schriftstellern, die hier die heimatlichen
Töne und Denkweise leicht vergessen. Ich kenne viele deutsche Ma¬
ler, die Paris bewohnt haben, aber mit Ausnahme einiger Weniger
(wie z. B. des trefflichen Pecht in Leipzig, ein ehemaliger Schüler
Delaroche's) ist ihnen der Pariser Unterricht nichts weniger als frucht¬
bringend geworden. Der pathetische Styl der Franzosen hat ein ge¬
wisses Element, das dem Deutschen nicht zusagen kann, sei es nun
ein Gemälde von Vngres, eine Ode von Lamartine, eine Tragödie
von Hugo, oder eine Symphonie von Berlioz, Als französisches Pro-
duct im Zusammenhange mit der Nation, in deren Mitte es ent¬
standen, interessirt es uns, aber nach Deutschland übertragen und als
Modell für deutsche Nachstrebungen hingestellt, hat es etwas Fratzen¬
haftes und Widerliches. Ich glaube , in der Literatur wie in der
Kunst können wir von den Franzosen viel lernen, wo sie gesellschaft¬
liche Zustande schildern: im Roman, im Lustspiel, im Genrebild, aber
das Pathetische müssen wir uns vom Leibe halten. Denn ihr Pa¬
thos ist nicht das unsrige. So glaube ich, könnten junge deutsche
Maler hier viel lernen, wenn sie Genrebilder studiren, oder jene geist¬
vollen' Skizzen, welche Granville und Cham unter dem Namen Illu¬
strationen produciren. Aber die historischen Bilder scheinen mir kein
Muster für die deutsche Malerwelt.


Jeder sich was Anderes vorstellt, und so schlägt man denn den Leu¬
ten damit in's Gesicht, die dann verblüfft, mit aufgesperrtem Munde
da stehen und nicht wissen, mit was für einem Instrument man ei¬
gentlich geschlagen habe. Lesen Sie Eugen Sue, Dumas, Hugo,
Sand, und jeden Augenblick werden Sie auf die Phrase stoßen: „ihre
Augen glänzten von jenem unheimlichen Feuer, wie es nur Schiller
zu schildern versteht", oder „seine Gestalt war einem jener nordischen
Titanen zu vergleichen, welche die unsterbliche Feder Jean Pauls ver¬
ewigte", oder „in seinem Kopfe drehten sich jene überirdischen räthsel¬
haft romantischen Ideen, die Lessing allein in Worte zu bannen
wußte". Michelet, der Professor, der Historiker, spricht von Schleier-
macher und Paulus, als hätte er zehn Jahre mit ihnen an einem
Tische gesessen. Geben Sie aber einem von diesen Herren ein deut¬
sches Buch, und Sie können versichert sein, er wird es verkehrt in
die Hand nehmen, wenn nicht die Seitenzahl und die auf dem Titel
gedruckte Jahresziffer ihm verräth, wo der Kopf und wo der Fuß ist.

Ist es das Glück, welches Winterhalter, Schlesinger und einige
andere deutsche Maler hier gemacht, ist es die nahe bevorstehende Er¬
öffnung der Kunstausstellung, ist es überhaupt Lust und Drang, den
französischen Malerstyl zu studiren; genug, seit einiger Zeit strömen
immer mehr und mehr deutsche Maler hierher, und wir haben jetzt
eine eben so zahlreiche Malercolonie wie eine Literatencolonie hier.
Möge nur den deutschen Malern der Aufenthalt in Paris fruchtbarer
werden, als den deutschen Schriftstellern, die hier die heimatlichen
Töne und Denkweise leicht vergessen. Ich kenne viele deutsche Ma¬
ler, die Paris bewohnt haben, aber mit Ausnahme einiger Weniger
(wie z. B. des trefflichen Pecht in Leipzig, ein ehemaliger Schüler
Delaroche's) ist ihnen der Pariser Unterricht nichts weniger als frucht¬
bringend geworden. Der pathetische Styl der Franzosen hat ein ge¬
wisses Element, das dem Deutschen nicht zusagen kann, sei es nun
ein Gemälde von Vngres, eine Ode von Lamartine, eine Tragödie
von Hugo, oder eine Symphonie von Berlioz, Als französisches Pro-
duct im Zusammenhange mit der Nation, in deren Mitte es ent¬
standen, interessirt es uns, aber nach Deutschland übertragen und als
Modell für deutsche Nachstrebungen hingestellt, hat es etwas Fratzen¬
haftes und Widerliches. Ich glaube , in der Literatur wie in der
Kunst können wir von den Franzosen viel lernen, wo sie gesellschaft¬
liche Zustande schildern: im Roman, im Lustspiel, im Genrebild, aber
das Pathetische müssen wir uns vom Leibe halten. Denn ihr Pa¬
thos ist nicht das unsrige. So glaube ich, könnten junge deutsche
Maler hier viel lernen, wenn sie Genrebilder studiren, oder jene geist¬
vollen' Skizzen, welche Granville und Cham unter dem Namen Illu¬
strationen produciren. Aber die historischen Bilder scheinen mir kein
Muster für die deutsche Malerwelt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/416>, abgerufen am 23.12.2024.