Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.Felleisen auf den Rücken, zahlte meine Zeche und ging mit großen Felleisen auf den Rücken, zahlte meine Zeche und ging mit großen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182217"/> <p xml:id="ID_921" prev="#ID_920" next="#ID_922"> Felleisen auf den Rücken, zahlte meine Zeche und ging mit großen<lb/> schrieen, auf ein Wunder hoffend, geraden Weges auf die Grenze<lb/> los, die kaum hundert Schritte mehr von mir entfernt war. Aber<lb/> das Wunder blieb aus. denn als ich über die Brücke des Grenz¬<lb/> bächleins schreiten wollte, schrie eine Donnerstimme „Paß"! entge¬<lb/> gen. — Ich gab ihn hin, eben so schnell hatte ich ihn wieder in<lb/> der Hand, und auf das starre Commando „Zurück!" wandte ich<lb/> lakonisch den Rücken, und nach drei Minuten stand ich mit klägli¬<lb/> chem Gesichte wieder vor meinem Wirthe in Terano. Der aber<lb/> nahm mich bei der Hand, führte mich um eine Ecke, und zeigte mir<lb/> einen Mann, der mit Holzhauer beschäftigt war. Mit Dem ver¬<lb/> ständigen Sie sich, sagte er. Das war bald geschehen. Der<lb/> Mann warf seine Hacke weg, nahm einen ungeheuren unten mit<lb/> Eisen beschlagenen Stock und ging mit Riesenschritten vor mir her.<lb/> Er führte mich hinter den Häusern hin, dann über eine kleine<lb/> Wiese, dann in ein Gebüsch und immer höher und hoher bergauf.<lb/> Da blieb er plötzlich stehn, horchte auf und gab mir ein Zeichen,<lb/> mich tief ins Gebüsch zu bücken, so zu sagen zu verstecken; er selbst<lb/> stellte sich vor mich hin, zog ein Messer aus der Tasche und be¬<lb/> gann mit gleichgiltigem Gesichte Ruthen abzuschneiden. In diesem<lb/> Augenblicke gingen zwei flintenbewaffnete Uniformen ganz nahe an<lb/> uns vorüber. Kaum waren sie fort, so ging unsere Wanderschaft<lb/> weiter. Wie wir aus dem Gebüsche heraus waren und auf einer<lb/> kahlen Höhe standen, hielt mein Führer ein, zog seine Mütze und<lb/> sagte: Jetzt sind Sie in der Schweiz; diesen Berg müssen Sie er¬<lb/> klettern, dann jenseits mit der größten Vorsicht ins Thal nieder-<lb/> steigen, so kommen Sie auf die Straße, die weiter hinein nach<lb/> Graubündten führt. Er ging, und ich hielt mich genau an seine<lb/> Worte. Fast zwei Stunden lang kletterte ich den fürchterlich stei¬<lb/> len und schlüpfrigen Berg hinauf, und herunter, und schweißtrie¬<lb/> fend und zu Tode matt kam ich in dem heiß ersehnten Thale an.<lb/> Und jetzt stand ich erst an dreißig Schritte bloß von dem östreichi¬<lb/> schen Gränzgebäude entfernt, und brauchte zu einem Wege, den ich<lb/> in vier Minuten hätte zurücklegen können, mehr als zwei Stunden.<lb/> O Polizei, zu welchen Umwegen zwingst du ehrliche Seelen! —-<lb/> Der Gränzwächter, der mich mit seinem „Zurück" zurückgedonnert<lb/> hatte, sah mich auf Schweizerboden und drohte mir von jenseits</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0407]
Felleisen auf den Rücken, zahlte meine Zeche und ging mit großen
schrieen, auf ein Wunder hoffend, geraden Weges auf die Grenze
los, die kaum hundert Schritte mehr von mir entfernt war. Aber
das Wunder blieb aus. denn als ich über die Brücke des Grenz¬
bächleins schreiten wollte, schrie eine Donnerstimme „Paß"! entge¬
gen. — Ich gab ihn hin, eben so schnell hatte ich ihn wieder in
der Hand, und auf das starre Commando „Zurück!" wandte ich
lakonisch den Rücken, und nach drei Minuten stand ich mit klägli¬
chem Gesichte wieder vor meinem Wirthe in Terano. Der aber
nahm mich bei der Hand, führte mich um eine Ecke, und zeigte mir
einen Mann, der mit Holzhauer beschäftigt war. Mit Dem ver¬
ständigen Sie sich, sagte er. Das war bald geschehen. Der
Mann warf seine Hacke weg, nahm einen ungeheuren unten mit
Eisen beschlagenen Stock und ging mit Riesenschritten vor mir her.
Er führte mich hinter den Häusern hin, dann über eine kleine
Wiese, dann in ein Gebüsch und immer höher und hoher bergauf.
Da blieb er plötzlich stehn, horchte auf und gab mir ein Zeichen,
mich tief ins Gebüsch zu bücken, so zu sagen zu verstecken; er selbst
stellte sich vor mich hin, zog ein Messer aus der Tasche und be¬
gann mit gleichgiltigem Gesichte Ruthen abzuschneiden. In diesem
Augenblicke gingen zwei flintenbewaffnete Uniformen ganz nahe an
uns vorüber. Kaum waren sie fort, so ging unsere Wanderschaft
weiter. Wie wir aus dem Gebüsche heraus waren und auf einer
kahlen Höhe standen, hielt mein Führer ein, zog seine Mütze und
sagte: Jetzt sind Sie in der Schweiz; diesen Berg müssen Sie er¬
klettern, dann jenseits mit der größten Vorsicht ins Thal nieder-
steigen, so kommen Sie auf die Straße, die weiter hinein nach
Graubündten führt. Er ging, und ich hielt mich genau an seine
Worte. Fast zwei Stunden lang kletterte ich den fürchterlich stei¬
len und schlüpfrigen Berg hinauf, und herunter, und schweißtrie¬
fend und zu Tode matt kam ich in dem heiß ersehnten Thale an.
Und jetzt stand ich erst an dreißig Schritte bloß von dem östreichi¬
schen Gränzgebäude entfernt, und brauchte zu einem Wege, den ich
in vier Minuten hätte zurücklegen können, mehr als zwei Stunden.
O Polizei, zu welchen Umwegen zwingst du ehrliche Seelen! —-
Der Gränzwächter, der mich mit seinem „Zurück" zurückgedonnert
hatte, sah mich auf Schweizerboden und drohte mir von jenseits
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