Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Buchstaben zu lesen: überSondrio und die neue Straße zurück.
Die neue Straße war durch einen Strich besonders hervorgehoben,
daß es mir bei Leibe ja nicht einfalle, über die alte Straße nach
Hause zurückzukehren, denn diese geht durch einen kleinen Theil der
Schweiz und die Lust daselbst soll für gute Oesterreicher ungesun¬
der sein, auch könnte man sich linksab und in die Freiheit verlie¬
ren ohne Wiederkehr. Es ist das hier sicherlich eine der wenigen
Ausnahmen, wo Oesterreich für seine Unterthanen die neue Straße
der alten vorzieht.

Ich hielt mich gerne an die väterliche Instruction, besah mir
den Comer See mit Muße und wanderte dann zu Fuße über
Sondrio und durch das schöne Vältelin-Thal auf der neuen
Straße. So kam ich an einem sehr schönen Morgen nach dem
Städtchen Terano, wo ich vor der Thüre eines Gasthauses ein
treffliches Frühstück einnahm. Vor mir lagen herrliche, himmelhohe
Berge, und an ihnen, wie Schwalbennester an Riesenpalästen, hin¬
gen kleine, kleine Hütten, und die Menschen, die oben vor ihren
Wohnungen sich bewegten, waren kaum mit freien Augen zu sehen.
Mein Wirth, der neben mir stand, sah, mit welchem Entzücken
mein Auge an diesem herrlichen Schauspiele haftete, und mit Stolz
zu mir gewendet, und die Hand nach jenen Bergen mit ihren Hüt¬
ten ausgestreckt, sagte er: Das ist die Schweiz! --So nahe der
Schweiz, und ich sollte das classische Land der Freiheit und der
Gemsen, die Heimat Wilhelm Teils und seines Sohnes, meines
Jugendfreundes nicht sehen? ich sollte Altdorf, Rüttli, Bürgeln,
Küßnacht und alle die classischen Stellen nicht sehen, von denen
ich als zehnjähriger Knabe schon geträumt und declamirt habe?
-- Das wäre gegen die Natur! ich mußte hinüber. Mein Wirth,
ein geborner Schweizer, fühlte sich durch meine Begeisterung und
Sehnsucht nach seinem Vaterlande geschmeichelt und führte mich
sogleich zu dem Beamten, der die Pässe über die Grenze zu visiren
hatte und in seinem Hause wohnte, um mich bei ihm zu prote-
giren. Der Beamte aber lächelte: Sehen Sie lieber, daß Sie mit
diesem Quasi-Paß so schnell als möglich nach Hause kommen, und
lassen Sie sich nicht erst auf Umwege ein. In die Schweiz könnte
ich Sie nun einmal damit nicht lassen, und wenn Sie ein Prinz
aus dem kaiserlichen Hause selber wären. Aergerlich warf ich mein


Buchstaben zu lesen: überSondrio und die neue Straße zurück.
Die neue Straße war durch einen Strich besonders hervorgehoben,
daß es mir bei Leibe ja nicht einfalle, über die alte Straße nach
Hause zurückzukehren, denn diese geht durch einen kleinen Theil der
Schweiz und die Lust daselbst soll für gute Oesterreicher ungesun¬
der sein, auch könnte man sich linksab und in die Freiheit verlie¬
ren ohne Wiederkehr. Es ist das hier sicherlich eine der wenigen
Ausnahmen, wo Oesterreich für seine Unterthanen die neue Straße
der alten vorzieht.

Ich hielt mich gerne an die väterliche Instruction, besah mir
den Comer See mit Muße und wanderte dann zu Fuße über
Sondrio und durch das schöne Vältelin-Thal auf der neuen
Straße. So kam ich an einem sehr schönen Morgen nach dem
Städtchen Terano, wo ich vor der Thüre eines Gasthauses ein
treffliches Frühstück einnahm. Vor mir lagen herrliche, himmelhohe
Berge, und an ihnen, wie Schwalbennester an Riesenpalästen, hin¬
gen kleine, kleine Hütten, und die Menschen, die oben vor ihren
Wohnungen sich bewegten, waren kaum mit freien Augen zu sehen.
Mein Wirth, der neben mir stand, sah, mit welchem Entzücken
mein Auge an diesem herrlichen Schauspiele haftete, und mit Stolz
zu mir gewendet, und die Hand nach jenen Bergen mit ihren Hüt¬
ten ausgestreckt, sagte er: Das ist die Schweiz! —So nahe der
Schweiz, und ich sollte das classische Land der Freiheit und der
Gemsen, die Heimat Wilhelm Teils und seines Sohnes, meines
Jugendfreundes nicht sehen? ich sollte Altdorf, Rüttli, Bürgeln,
Küßnacht und alle die classischen Stellen nicht sehen, von denen
ich als zehnjähriger Knabe schon geträumt und declamirt habe?
— Das wäre gegen die Natur! ich mußte hinüber. Mein Wirth,
ein geborner Schweizer, fühlte sich durch meine Begeisterung und
Sehnsucht nach seinem Vaterlande geschmeichelt und führte mich
sogleich zu dem Beamten, der die Pässe über die Grenze zu visiren
hatte und in seinem Hause wohnte, um mich bei ihm zu prote-
giren. Der Beamte aber lächelte: Sehen Sie lieber, daß Sie mit
diesem Quasi-Paß so schnell als möglich nach Hause kommen, und
lassen Sie sich nicht erst auf Umwege ein. In die Schweiz könnte
ich Sie nun einmal damit nicht lassen, und wenn Sie ein Prinz
aus dem kaiserlichen Hause selber wären. Aergerlich warf ich mein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182216"/>
          <p xml:id="ID_919" prev="#ID_918"> Buchstaben zu lesen: überSondrio und die neue Straße zurück.<lb/>
Die neue Straße war durch einen Strich besonders hervorgehoben,<lb/>
daß es mir bei Leibe ja nicht einfalle, über die alte Straße nach<lb/>
Hause zurückzukehren, denn diese geht durch einen kleinen Theil der<lb/>
Schweiz und die Lust daselbst soll für gute Oesterreicher ungesun¬<lb/>
der sein, auch könnte man sich linksab und in die Freiheit verlie¬<lb/>
ren ohne Wiederkehr. Es ist das hier sicherlich eine der wenigen<lb/>
Ausnahmen, wo Oesterreich für seine Unterthanen die neue Straße<lb/>
der alten vorzieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_920" next="#ID_921"> Ich hielt mich gerne an die väterliche Instruction, besah mir<lb/>
den Comer See mit Muße und wanderte dann zu Fuße über<lb/>
Sondrio und durch das schöne Vältelin-Thal auf der neuen<lb/>
Straße. So kam ich an einem sehr schönen Morgen nach dem<lb/>
Städtchen Terano, wo ich vor der Thüre eines Gasthauses ein<lb/>
treffliches Frühstück einnahm. Vor mir lagen herrliche, himmelhohe<lb/>
Berge, und an ihnen, wie Schwalbennester an Riesenpalästen, hin¬<lb/>
gen kleine, kleine Hütten, und die Menschen, die oben vor ihren<lb/>
Wohnungen sich bewegten, waren kaum mit freien Augen zu sehen.<lb/>
Mein Wirth, der neben mir stand, sah, mit welchem Entzücken<lb/>
mein Auge an diesem herrlichen Schauspiele haftete, und mit Stolz<lb/>
zu mir gewendet, und die Hand nach jenen Bergen mit ihren Hüt¬<lb/>
ten ausgestreckt, sagte er: Das ist die Schweiz! &#x2014;So nahe der<lb/>
Schweiz, und ich sollte das classische Land der Freiheit und der<lb/>
Gemsen, die Heimat Wilhelm Teils und seines Sohnes, meines<lb/>
Jugendfreundes nicht sehen? ich sollte Altdorf, Rüttli, Bürgeln,<lb/>
Küßnacht und alle die classischen Stellen nicht sehen, von denen<lb/>
ich als zehnjähriger Knabe schon geträumt und declamirt habe?<lb/>
&#x2014; Das wäre gegen die Natur! ich mußte hinüber. Mein Wirth,<lb/>
ein geborner Schweizer, fühlte sich durch meine Begeisterung und<lb/>
Sehnsucht nach seinem Vaterlande geschmeichelt und führte mich<lb/>
sogleich zu dem Beamten, der die Pässe über die Grenze zu visiren<lb/>
hatte und in seinem Hause wohnte, um mich bei ihm zu prote-<lb/>
giren. Der Beamte aber lächelte: Sehen Sie lieber, daß Sie mit<lb/>
diesem Quasi-Paß so schnell als möglich nach Hause kommen, und<lb/>
lassen Sie sich nicht erst auf Umwege ein. In die Schweiz könnte<lb/>
ich Sie nun einmal damit nicht lassen, und wenn Sie ein Prinz<lb/>
aus dem kaiserlichen Hause selber wären. Aergerlich warf ich mein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Buchstaben zu lesen: überSondrio und die neue Straße zurück. Die neue Straße war durch einen Strich besonders hervorgehoben, daß es mir bei Leibe ja nicht einfalle, über die alte Straße nach Hause zurückzukehren, denn diese geht durch einen kleinen Theil der Schweiz und die Lust daselbst soll für gute Oesterreicher ungesun¬ der sein, auch könnte man sich linksab und in die Freiheit verlie¬ ren ohne Wiederkehr. Es ist das hier sicherlich eine der wenigen Ausnahmen, wo Oesterreich für seine Unterthanen die neue Straße der alten vorzieht. Ich hielt mich gerne an die väterliche Instruction, besah mir den Comer See mit Muße und wanderte dann zu Fuße über Sondrio und durch das schöne Vältelin-Thal auf der neuen Straße. So kam ich an einem sehr schönen Morgen nach dem Städtchen Terano, wo ich vor der Thüre eines Gasthauses ein treffliches Frühstück einnahm. Vor mir lagen herrliche, himmelhohe Berge, und an ihnen, wie Schwalbennester an Riesenpalästen, hin¬ gen kleine, kleine Hütten, und die Menschen, die oben vor ihren Wohnungen sich bewegten, waren kaum mit freien Augen zu sehen. Mein Wirth, der neben mir stand, sah, mit welchem Entzücken mein Auge an diesem herrlichen Schauspiele haftete, und mit Stolz zu mir gewendet, und die Hand nach jenen Bergen mit ihren Hüt¬ ten ausgestreckt, sagte er: Das ist die Schweiz! —So nahe der Schweiz, und ich sollte das classische Land der Freiheit und der Gemsen, die Heimat Wilhelm Teils und seines Sohnes, meines Jugendfreundes nicht sehen? ich sollte Altdorf, Rüttli, Bürgeln, Küßnacht und alle die classischen Stellen nicht sehen, von denen ich als zehnjähriger Knabe schon geträumt und declamirt habe? — Das wäre gegen die Natur! ich mußte hinüber. Mein Wirth, ein geborner Schweizer, fühlte sich durch meine Begeisterung und Sehnsucht nach seinem Vaterlande geschmeichelt und führte mich sogleich zu dem Beamten, der die Pässe über die Grenze zu visiren hatte und in seinem Hause wohnte, um mich bei ihm zu prote- giren. Der Beamte aber lächelte: Sehen Sie lieber, daß Sie mit diesem Quasi-Paß so schnell als möglich nach Hause kommen, und lassen Sie sich nicht erst auf Umwege ein. In die Schweiz könnte ich Sie nun einmal damit nicht lassen, und wenn Sie ein Prinz aus dem kaiserlichen Hause selber wären. Aergerlich warf ich mein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/406>, abgerufen am 01.09.2024.