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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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passuen machte. Ich brauchte an den Thoren dieser Städte nur
das wohlgetroffene geprägte Brustbild seiner apostolischen Majestät
sehen zu lassen, und es reichte hin, mich als ihren guten Unter¬
than zu legitimiren. Nur ein polizeilicher Thorwächter, ich glaube
es war in Verona, machte mich stutzen, als er die Hand, in die
ich ihm einen Haufen Kupfermünze drückte, bewegungslos offen
behielt, mich starr ansah und keine Miene machte, das Gegebene
einzustecken. Erschrocken fragte ich ihn, ob es zu wenig sei, aber
wehmüthig auf seine kupferbelastete Hand niederblickend, sprach er
lispelnd: Kupfermünze gilt hier zu Lande nicht. Ich verstand ihn
vollkommen und wechselte ihm das Kupfer in Silber aus. Da ich
sah, mit welcher Rührung und Gutmüthigkeit er es einsteckte, wurde
ich zutraulich und bat noch um eine Erklärung. Ich fragte ihn
nämlich, ob es, wie ich schließen muß, hier zu Lande erlaubt sei,
klingende Münze anstatt eines Passes zu nehmen? Es ist freilich
nicht erlaubt, sagte er, aber es wäre ja gegen alle Menschlichkeit,
gegen alles Gefühl, das Andenken eines Reisenden, den man im
Leben vielleicht nie wieder sieht, zurückzuweisen. Mit dieser senti¬
mentalen Auslegung war ich vollkommen zufrieden.

O Mailand! Stadt der Kasematten, wie wird es mir in dei¬
nen Mauern ergehen? Gut, ganz gut! Die Polizei hatte die be¬
sondere Güte, mich erst, nachdem ich alle Merkwürdigkeiten der
Stadt gesehen, zu citiren. Ich erschien ganz wohlgemuth vor ih¬
rem erhabenen Antlitz, denn das Aergste was mir geschehen konnte,
war, daß man mich in meine Heimat zurückschickte, und dahin
wollte ich ja ohnehin, und auf dem Wege liegt der Comer See,
das zweite Ziel meiner Reise, den ich also bei dieser Gelegenheit
sehen konnte. Mit den nicht eben zärtlichsten Vorwürfen wurde
ich empfangen. Ich nahm sie schweigend an, denn, dachte ich, sie
hat ein Recht dazu, die heilige Polizei; ist sie auch nicht unsere
Mutter, ist sie. doch unsere Amme, der wir von unserer Mutter
Vaterland gänzlich zur Erziehung überlassen sind. Ich machte ein
sehr reuiges Gesicht, beklagte meine Fehler, erkannte meinen un¬
verzeihlicher Leichtsinn und bat, daß man mir den Paß ja nach
Hause vidiren möge. O ich Heuchler, ich Tartüffe, ich Jesuit!
Ich möchte in ein Kloster gehen, wenn ich heute daran denke. Auf
dem Rücken meines Passes, schon tief unten stand mit großen


passuen machte. Ich brauchte an den Thoren dieser Städte nur
das wohlgetroffene geprägte Brustbild seiner apostolischen Majestät
sehen zu lassen, und es reichte hin, mich als ihren guten Unter¬
than zu legitimiren. Nur ein polizeilicher Thorwächter, ich glaube
es war in Verona, machte mich stutzen, als er die Hand, in die
ich ihm einen Haufen Kupfermünze drückte, bewegungslos offen
behielt, mich starr ansah und keine Miene machte, das Gegebene
einzustecken. Erschrocken fragte ich ihn, ob es zu wenig sei, aber
wehmüthig auf seine kupferbelastete Hand niederblickend, sprach er
lispelnd: Kupfermünze gilt hier zu Lande nicht. Ich verstand ihn
vollkommen und wechselte ihm das Kupfer in Silber aus. Da ich
sah, mit welcher Rührung und Gutmüthigkeit er es einsteckte, wurde
ich zutraulich und bat noch um eine Erklärung. Ich fragte ihn
nämlich, ob es, wie ich schließen muß, hier zu Lande erlaubt sei,
klingende Münze anstatt eines Passes zu nehmen? Es ist freilich
nicht erlaubt, sagte er, aber es wäre ja gegen alle Menschlichkeit,
gegen alles Gefühl, das Andenken eines Reisenden, den man im
Leben vielleicht nie wieder sieht, zurückzuweisen. Mit dieser senti¬
mentalen Auslegung war ich vollkommen zufrieden.

O Mailand! Stadt der Kasematten, wie wird es mir in dei¬
nen Mauern ergehen? Gut, ganz gut! Die Polizei hatte die be¬
sondere Güte, mich erst, nachdem ich alle Merkwürdigkeiten der
Stadt gesehen, zu citiren. Ich erschien ganz wohlgemuth vor ih¬
rem erhabenen Antlitz, denn das Aergste was mir geschehen konnte,
war, daß man mich in meine Heimat zurückschickte, und dahin
wollte ich ja ohnehin, und auf dem Wege liegt der Comer See,
das zweite Ziel meiner Reise, den ich also bei dieser Gelegenheit
sehen konnte. Mit den nicht eben zärtlichsten Vorwürfen wurde
ich empfangen. Ich nahm sie schweigend an, denn, dachte ich, sie
hat ein Recht dazu, die heilige Polizei; ist sie auch nicht unsere
Mutter, ist sie. doch unsere Amme, der wir von unserer Mutter
Vaterland gänzlich zur Erziehung überlassen sind. Ich machte ein
sehr reuiges Gesicht, beklagte meine Fehler, erkannte meinen un¬
verzeihlicher Leichtsinn und bat, daß man mir den Paß ja nach
Hause vidiren möge. O ich Heuchler, ich Tartüffe, ich Jesuit!
Ich möchte in ein Kloster gehen, wenn ich heute daran denke. Auf
dem Rücken meines Passes, schon tief unten stand mit großen


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[0405] passuen machte. Ich brauchte an den Thoren dieser Städte nur das wohlgetroffene geprägte Brustbild seiner apostolischen Majestät sehen zu lassen, und es reichte hin, mich als ihren guten Unter¬ than zu legitimiren. Nur ein polizeilicher Thorwächter, ich glaube es war in Verona, machte mich stutzen, als er die Hand, in die ich ihm einen Haufen Kupfermünze drückte, bewegungslos offen behielt, mich starr ansah und keine Miene machte, das Gegebene einzustecken. Erschrocken fragte ich ihn, ob es zu wenig sei, aber wehmüthig auf seine kupferbelastete Hand niederblickend, sprach er lispelnd: Kupfermünze gilt hier zu Lande nicht. Ich verstand ihn vollkommen und wechselte ihm das Kupfer in Silber aus. Da ich sah, mit welcher Rührung und Gutmüthigkeit er es einsteckte, wurde ich zutraulich und bat noch um eine Erklärung. Ich fragte ihn nämlich, ob es, wie ich schließen muß, hier zu Lande erlaubt sei, klingende Münze anstatt eines Passes zu nehmen? Es ist freilich nicht erlaubt, sagte er, aber es wäre ja gegen alle Menschlichkeit, gegen alles Gefühl, das Andenken eines Reisenden, den man im Leben vielleicht nie wieder sieht, zurückzuweisen. Mit dieser senti¬ mentalen Auslegung war ich vollkommen zufrieden. O Mailand! Stadt der Kasematten, wie wird es mir in dei¬ nen Mauern ergehen? Gut, ganz gut! Die Polizei hatte die be¬ sondere Güte, mich erst, nachdem ich alle Merkwürdigkeiten der Stadt gesehen, zu citiren. Ich erschien ganz wohlgemuth vor ih¬ rem erhabenen Antlitz, denn das Aergste was mir geschehen konnte, war, daß man mich in meine Heimat zurückschickte, und dahin wollte ich ja ohnehin, und auf dem Wege liegt der Comer See, das zweite Ziel meiner Reise, den ich also bei dieser Gelegenheit sehen konnte. Mit den nicht eben zärtlichsten Vorwürfen wurde ich empfangen. Ich nahm sie schweigend an, denn, dachte ich, sie hat ein Recht dazu, die heilige Polizei; ist sie auch nicht unsere Mutter, ist sie. doch unsere Amme, der wir von unserer Mutter Vaterland gänzlich zur Erziehung überlassen sind. Ich machte ein sehr reuiges Gesicht, beklagte meine Fehler, erkannte meinen un¬ verzeihlicher Leichtsinn und bat, daß man mir den Paß ja nach Hause vidiren möge. O ich Heuchler, ich Tartüffe, ich Jesuit! Ich möchte in ein Kloster gehen, wenn ich heute daran denke. Auf dem Rücken meines Passes, schon tief unten stand mit großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/405>, abgerufen am 01.09.2024.